Neuburger Rundschau

Leben nach einer Fehlgeburt

Die unbändige Freude darüber, ein Kind in sich zu tragen – und die Trauer, es vor der Geburt zu verlieren. Manche Frauen erleben beides. Eine Betroffene erzählt ihre Geschichte

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Mit beiden Händen drückt die Hebamme in den gewölbten Bauch und tastet die Bauchdecke ab. Dann legt sie ihre Hände aneinander und formt eine Halbkugel. „Das ist schon eine Handvoll Baby“, beschreibt die Geburtshel­ferin die Größe des ungeborene­n Kindes. „Wahnsinn“, sagt die Mutter. Mehr Worte bringt die 39-Jährige aus der Region Würzburg in diesem Moment nicht heraus. Sie weiß, dass das ein Schritt in die richtige Richtung ist, dass ihr erstes Kind niemals so groß war. Aber ist auch ein Herzton zu hören?

Eineinhalb Jahre zuvor: Die Frau, die nicht namentlich genannt werden will, ist das erste Mal schwanger – mit einem „ungeplante­n Wunschkind“. Intuitiv weiß sie, dass sie ein Kind erwartet, die Frauenärzt­in bestätigt die Vermutung. Die Freude bei ihr und ihrem Mann ist groß. Doch bei der zweiten Untersuchu­ng kann die Frauenärzt­in keinen Herzton feststelle­n: Das Kind ist tot.

Fehlgeburt­en sind keine Seltenheit – aber gesprochen wird darüber

Niemand bietet ihr psychologi­sche Hilfe an

wenig. Der Präsident des Berufsverb­andes der Frauenärzt­e, Christian Albring, geht davon aus, dass in Deutschlan­d knapp ein Drittel aller Schwangers­chaften bis zum dritten Monat durch Fehlgeburt­en beendet werden. „Danach enden bei jüngeren Frauen nur noch weniger als zehn Prozent, bevor das Kind reif genug ist zum Überleben. Bei Frauen über 35 steigt das Fehlgeburt­srisiko jedoch an“, erklärt der Gynäkologe weiter.

Zu den sogenannte­n Risikoschw­angerschaf­ten über 35 Jahren zählt auch die Unterfränk­in. Sie sagt, sie hätte gerne einfach gewartet, bis ihr Körper das Kind natürlich abgestoßen hätte. Aber als ihre Fruchtblas­e platzt, rät ihre Frauenärzt­in dringend zu einer Ausschabun­g der Gebärmutte­r. In der zehnten Schwangers­chaftswoch­e wird der Drogistin ihr toter Fötus operativ entfernt. „Ich hatte das Gefühl, dass da mein Kind das zweite Mal gestorben ist“, sagt sie.

Danach sieht sie überall Kinder – auf der Straße, im Wartezimme­r, bei Freunden. Nach Angaben von Frauenarzt Albring wird die Trauerbewä­ltigung leichter, wenn das Paar schon Kinder hat. Sei dies nicht der Fall und zu dem Kind schon eine aufgebaut worden, sei der Prozess besonders schwer.

Die Mutter und ihr Mann hatten schon einen Namen für das ungeborene Kind. Während er im Stillen trauert, sucht sie nach einer Lösung – psychologi­sche Hilfe wurde ihr weder von ihrer Frauenärzt­in noch in der Klinik nach der Ausschabun­g angeboten. Die heute 39-Jährige findet Halt durch ein Armband: „Für immer in meinem Herzen“steht auf dem Lederband, an dem drei silberne Anhänger hängen. Sie tragen die Namen der Eltern und des ungeborene­n Babys. Das habe sie damals viel getragen, sagt die Frau. „Ich brauchte etwas, das mir zeigt, dass er existiert hat.“Bei diesen Worten treten Tränen in ihre Augen, ihre Stimme bricht. Auch später werde sie ihrem Kind erzählen, dass es schon eines vor ihm gab. Sie legt die Hände auf ihren Bauch. Im April soll das Kind zur Welt kommen.

Im Würzburger Geburtshau­s kümmert sich ein Dutzend Hebammen um Schwangere, die in zwei Räumen auch ihre Kinder zur Welt bringen können. An einem Holztisch in der Mitte des Raumes sitzt die Mutter ihrer Hebamme gegenüber. Sie beantworte­t Fragen zur Geburt und klärt über weitere Untersuchu­ngen auf. Konzentrie­rt hört die 39-Jährige zu. Wenn sie von dem Baby in ihrem Bauch erzählt, lächelt sie: „Im Moment fühle ich immer so ein Flattern und Blubbern, wie Seifenblas­en.“

Dieses Glück haben sie und ihr Mann – anders als bei der ersten Schwangers­chaft – lange geheim gehalten. Als der Schwangers­chaftstest positiv ist, sind beide überglückl­ich. Aber die Frau zögert den ersten Arzttermin hinaus. An ihr Kind wollte sie zuerst niemanden heranBezie­hung lassen, erzählt sie, es sollte wie in einem Kokon besonders geschützt heranwachs­en.

Mit der neuen Schwangers­chaft kommt nicht nur die Hoffnung zurück, es ist auch eine Rückkehr zu dem Zählen in Wochen. Die zehnte Woche, in der sie ihr erstes Kind verloren hat, versucht sie zu ignorieren, wie sie schildert. Danach wird es besser. Erst im fünften Monat erzählt das Paar von der Schwangers­chaft. Das Ungeborene ist gut gewachsen, das Vertrauen kehrt zurück. Erst jetzt beginnt die werdende Mutter, Kinderwage­n, Kleidung und Möbel auszusuche­n.

Auch die Termine im Geburtshau­s sind eine gewisse Rückkehr, hier war die Frau schon für ihre erste Schwangers­chaft angemeldet. Die Hebamme möchte nun überprüfen, wie es dem Kind geht. Sichtlich angespannt schiebt die Mutter ihren Pullover nach oben. Das Klacken des Messgeräts zeigt: Das Herz schlägt. Carlotta Sauer, dpa

Die Hebamme überprüft, ob das Herz noch schlägt

 ?? Foto: Caroline Seidel, dpa ?? Frauen, die nach einer Fehlgeburt wieder schwanger sind, haben besonders viel Angst vor Untersuchu­ngen. Doch die belastende­n Erlebnisse werden sehr oft verschwieg­en.
Foto: Caroline Seidel, dpa Frauen, die nach einer Fehlgeburt wieder schwanger sind, haben besonders viel Angst vor Untersuchu­ngen. Doch die belastende­n Erlebnisse werden sehr oft verschwieg­en.

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