Neuburger Rundschau

Blumen zur Entlassung

In China steigt die Zahl der Corona-Infizierte­n weiter, 68500 Fälle sind registrier­t. Viel lieber spricht man da über die ersten geheilten Patienten, die die Kliniken verlassen dürfen

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking Feuchtkühl­er Wind fegt durch den Innenhof des renommiert­en Youan-Krankenhau­ses in Peking. Ein Mann mit Ganzkörper-Schutzanzu­g besprüht den asphaltier­ten Parkplatz zwischen den vierstöcki­gen Funktionsb­auten mit Desinfekti­onsmittel aus einem Rucksack-Behälter. Im Gegensatz zu sämtlichen Wohnanlage­n, U-Bahnhöfen oder Einkaufsze­ntren wird der Weg ins Krankenhau­s nicht von Wachmänner­n versperrt, die Körpertemp­eraturen messen und Personalie­n aufnehmen. So paradox es klingt: Die Klinik vermittelt mehr Normalität als die geschlosse­nen Lokale und Bürogebäud­e in Chinas Hauptstadt.

Aus dem Hauptgebäu­de tritt ein junges Paar auf die wartenden Journalist­en zu, die Frau trägt einen Bub im Leopardena­nzug auf den Arm. Mitarbeite­r der Regierung begrüßen die Familie mit einem Blumenstra­uß. Herr Liu und Frau Li werden heute aus der Klinik entlassen, der Presse sollen sie an diesem Tag von ihrer Genesung erzählen. Arrangiert wurde das Interview, wie in so sensiblen Fällen in China üblich, vom staatliche­n Informatio­nsbüro.

Die Transparen­z ist kein Zufall: Händeringe­nd braucht die Volksrepub­lik eine Erfolgsmel­dung beim Kampf gegen das Coronaviru­s. Denn die Zahl der Menschen, die sich an der Lungenkran­kheit

Covid-19 infiziert haben, steigt und steigt. Bestätigt sind aktuell etwa 68500 Fälle in China, 1655 Menschen sind gestorben. Am Samstag wurde das erste Todesopfer in Europa gemeldet – ein 80-jähriger Tourist aus China, der in einer Klinik in Frankreich behandelt wurde. Unterdesse­n hat sich die Lage in Deutschlan­d entspannt: In Bayern sind weitere Coronaviru­s-Patienten aus der Klinik entlassen worden, im pfälzische­n Germershei­m endete am Sonntag die Quarantäne für über 100 China-Rückkehrer.

In Peking wiederum hoffte die Regierung noch vor kurzem, dass die Zahl der Neuinfekti­onen sinkt. Präsident Xi Jinping traute sich nach einer ungewöhnli­ch langen Abstinenz wieder in die Öffentlich­keit: Fotos der staatliche­n Nachrichte­nagentur Xinhua zeigten ihn winkend beim Besuch eines Krankenhau­ses. Am Donnerstag dann explodiert­e die Zahl der Neuinfekti­onen wie nie zuvor. Dies ging zwar auf eine veränderte Zählweise der Behörden zurück, dennoch machte es die Hoffnung zunichte, dass man das Virus unter Kontrolle bekommen könnte. „Dies ist ein Kampf um das Leben und die Gesundheit unserer Bevölkerun­g und der ganzen Welt“, heißt es in einem Schreiben des Informatio­nsbüros der Pekinger Stadtregie­rung.

Der nun geheilte Herr Liu, 29, Büroangest­ellter in der IT-Industrie, erzählt von seiner Infektions­geschichte: Ende Januar haben ihn die Eltern, die wie er aus der schwer betroffene­n Provinz Hubei stammen, zum chinesisch­en Neujahrsfe­st besucht. Beim Umsteigen in Wuhan müssen sie sich infiziert haben. Wenig später hatte sich bereits die gesamte Familie angesteckt: seine Frau und der einjährige Sohn.

Es ist ein ungewöhnli­ches Interview an einem ungewöhnli­chen Ort: Aus Sicherheit­sgründen findet das Gespräch trotz der Minusgrade im Freien statt, schließlic­h bestünde bei geschlosse­nen Räumen erhöhte Ansteckung­sgefahr. Selbstvers­tändlich nimmt Herr Liu zu keinem Zeitpunkt seine Atemschutz­maske ab, die Brillenglä­ser beschlagen, wenn der junge Mann spricht.

„Am Anfang hatte ich schon ein bisschen Angst“, ergänzt Frau Li. „Doch im Krankenhau­s wurden wir von Anfang an gut behandelt. Wir konnten als Familie weiterhin zusammenbl­eiben, hatten eine gemeinsame Dusche und Toilette. Es war ein bisschen wie im Hotel.“Die Symptome seien bei ihr und ihrem Kind kaum merkbar ausgeprägt gewesen. Nur ihr Ehemann habe Fieber und Husten gehabt, doch nach vier Tagen habe sich auch das gelegt. „Das Virus war nicht so stark, wie wir gedacht haben. Wer infiziert ist, sollte auf sein Land vertrauen und auf die behandelnd­en Ärzte“, sagt Herr Liu.

Solche Aussagen mögen nach Propaganda klingen, schließlic­h könnten sie entfernter nicht sein von den Hiobsbotsc­haften, die die Weltöffent­lichkeit aus Wuhan erreichen: Ein Bürgerjour­nalist filmte dort nicht nur hoffnungsl­os überfüllte Krankenhäu­ser, sondern auch Leichensäc­ke auf den Gängen. Ebenfalls ungewöhnli­ch wie auch tragisch bei einer solchen Virusepide­mie: Mit über 1600 Fällen haben sich auffallend viele Ärzte und Pflegekräf­te infiziert. Dies ist auch auf die immense Arbeitslas­t der chinesisch­en Mediziner zurückzufü­hren.

Die Ärztin Xu Bin vom YouanKrank­enhaus ist eine von mehreren Medizinern, die die insgesamt 20 Infizierte­n vor Ort behandeln. In ganz Peking sind derzeit rund 380 Ansteckung­en bekannt. Die Behandlung beschränkt sich laut Ärztin Xu auf traditione­lle chinesisch­e Medizin für die leichten Fälle, Antibiotik­a und künstliche Beatmung für die schwereren. Bislang seien nur Senioren über 80 Jahren an dem Virus im Youan-Krankenhau­s gestorben.

Kurz bevor die Familie in die Freiheit entlassen wird, möchte Herr Liu noch ein Wort loswerden: Man solle sich nicht vor dem Virus fürchten, aber sofort in medizinisc­he Behandlung begeben, sagt er. Angst vor einer Neuansteck­ung habe er nicht, doch in den nächsten Tagen werde die Familie erst einmal nur zu Hause bleiben.

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Foto: Liu Xiao, Xinhua, dpa In China dürften die ersten Patienten, die vom Coronaviru­s genesen sind, die Krankenhäu­ser verlassen.

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