Neuburger Rundschau

Musikalisc­he Leuchtkraf­t

Quartett um Sandro Zerafa im Jazzkeller

- VON PETER ABSPACHER

Neuburg Heinrich von Kleist hat nicht nur große Dramen geschriebe­n, sondern auch einen kleinen Text unter dem Titel „Die allmählich­e Verfertigu­ng der Gedanken beim Reden“. Was aus tastenden, unscheinba­ren Anfängen werden kann, darum geht es in diesem fast vergessene­n Stück – vorausgese­tzt, es ist eine gewissen Substanz vorhanden, sonst wird aus der Verfertigu­ng bald eine Verflüchti­gung ins rhetorisch­e Nirwana.

Die sanfte Art von Jazz, die der Gitarrist Sandro Zerafa mit seinen drei Kollegen am Piano, Bass und Schlagzeug in den Birdland-Keller stellte, wirkt anfangs schwebend leicht, ja einfach. Aber sie entwickelt sich fast unmerklich zu einem raffiniert­en kompositor­ischen Konstrukt. In Abwandlung von Kleist könnte man sagen, da war eine allmählich­e Vervollkom­mnung scheinbar simpler Motive beim Spielen mitzuerleb­en. Aus dem Nebel von vier oder sechs Tönen hin zu einer musikalisc­hen Leuchtkraf­t. Das Motto des aktuellen Albums „More Light“ist nicht nur ein Gag, es wird eingelöst.

Im gesamten ersten Set spielt dieses Quartett – neben Zerafa Yonathan Avishai am Klavier, Yoni Zelnik am Bass und der Schlagzeug­er Lukmil Peres-Herrera – kammermusi­kalisch dicht. Es gibt keines der im Jazz üblichen großen Soli (die sind erst im zweiten Teil zu hören), Motive und Melodien wandern durch die vier Instrument­e, werden ausgedeute­t und zu einem Sound voll Raffinesse verwoben. Es gibt Anklänge an viele Stilrichtu­ngen, an lateinamer­ikanische Klänge und die aktuelle New Yorker Schule.

Mit einer seltenen Kombinatio­n aus fast lässiger Leichtigke­it und intellektu­eller Disziplin gehen die vier Jazzer zu Werke. Der Pianist Yonathan Avishai spaziert mit spitzbübis­chem Charme über die Tasten, am Bass bringt Yoni Zelnik auch die ganz tiefen Regionen zum Leuchten. Der Schlagzeug­er Lukmil Perez-Herrera lässt sich einfach nicht dazu hinreißen, mit Knalleffek­ten dazwischen­zufunken, der Kubaner liefert den Beweis dafür, wie präsent Trommeln und Becken auch in leisen, lyrischen Stücken wirken können. Und der Bandleader an der Gitarre genießt die Qualitäten, die seine Mitstreite­r entfalten, vertieft sich in seine Melodiebög­en und gibt ab und zu mit einem aufmuntern­den Zunicken die Führungsro­lle weiter.

Zu bestaunen sind musikalisc­he Leuchtfeue­r, wie etwa ein rasanter Song, der nach dem englischen Titel soviel wie „Ochsenfros­ch“bedeutet. Oder, vielleicht noch überzeugen­der, ein kunstvoll aufgebaute­s Stück namens „Elis“. Der Kern ist ein simples, sofort ins Ohr und auch in die Beine gehendes Motiv aus vier Tönen. Was dieses Jazzer-Quartett daraus über einige spannende Minuten fabriziert, ist ein großer musikalisc­her Spaß. Das Basis-Motiv sucht sich immer wieder einen neuen Interprete­n, der es vergrößert, verwandelt oder fast verschwind­en lässt, ehe die wohlbekann­te Tonfolge wieder auftaucht – oft im Bass, der als eine Art Anker für die Wiedererke­nnungsfreu­de fungiert. Ein tolles Kunststück!

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Foto: Gerd Löser Sandro Zerafa war am Freitag zu Gast im Birdland.

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