Hochdeutsch, nur noch Hochdeutsch …
Zum Tag der Muttersprache ziehen Dialektforscher eine traurige Bilanz. Sie haben aber auch Rettungsideen
Augsburg Stirbt die Mundart in Bayern irgendwann aus? Eine Studie des Augsburger Dialektforschers Werner König, der in den 1980ern auf breiter Basis bereits den Schwäbischen Sprachatlas erstellt hat, gelangt zu einer ernüchternden Prognose: „Dialekt sprechende Kinder haben in Bayerisch-Schwaben nur mehr einen Anteil von unter zwanzig Prozent“, fasst er das Ergebnis seiner Befragung in Kindergärten aus den Jahren 2016/17 zusammen. Dafür werteten die Sprachforscher der Universität Augsburg die Angaben von 5341 Kindern im Vorschulalter und 380 Erzieher aus.
Zum heutigen Internationalen Tag der Muttersprache schlagen bayerische Mundartpfleger deshalb politische Initiativen vor, um gesellschaftliche Vorbehalte gegenüber Dialekten abzubauen. So regte der Bund Bairische Sprache den Städteund Gemeindetag an, Eltern parallel zur Geburtsurkunde ihres Kindes eine Broschüre auszuhändigen, die „über die Vorteile des zweisprachigen Aufwachsens mit bodenständigem Dialekt und guter deutscher Literatursprache aufklärt“, wie der Vorsitzende Sepp Obermeier erklärte. Diese Handreichung soll die Regionen Altbayern, Franken und Schwaben berücksichtigen.
Weite Teile der Gesellschaft hielten Dialekte für „provinzielle Gaudisprachen“, bemängelte
Obermeier. Die
Politik könne zu einem Bewusstseinswandel beitragen.
Tatsächlich bestätigt die Studie von Professor König: Je städtischer die Umgebung ist, in der Kinder aufwachsen, desto weniger Mundart sprechen sie. Zwischen den Dörfern und der Großstadt stürzt ihr Anteil von knapp einem Viertel (23,8 Prozent) auf spärliche 5,3 Prozent ab. Das liege weniger an der hier höheren Zahl von Migrantenkindern, erklärt König, sondern an der stärkeren Zurückhaltung der Erzieherinnen, mit den Kindern Dialekt zu sprechen – selbst wenn sie privat in der Mundart reden. Umgekehrt gilt: „Wenn die Erzieherinnen selbst Dialekt mit den Kindern sprechen, erhöhte sich der Anteil der Dialekt sprechenden Kinder erheblich: 475 von 1000 Kindern sprechen in diesem Fall Dialekt“, weiß König. „Ein Kind lernt die Sprache, der es ausgesetzt ist; es spiegelt die Sprache seiner Umgebung.“
Auch „etwas dazwischen“gibt es, also eine dialektgefärbte Umgangssprache. „Die Grenzen sind fließend“, sagt der Sprachforscher. Hubert Aiwanger, der bayerische Wirtschaftsminister, habe „nur ein paar Merkmale von Dialekt“behalten, doch alle sagen, der Freie WählerPolitiker spreche Niederbayerisch.
Und rasch werde er dafür ausgelacht, denn dem Dialekt hafte etwas Tölpelhaft-Bäuerliches an. Selbst wenn die Mundart jetzt, wo sie vom Verschwinden bedroht ist, wieder als schön und ursprünglich angesehen wird, meinen doch viele Erzieherinnen bei Professor Königs Befragung weiterhin, die Kinder müssten hochdeutsch sprechen, weil Dialekt sich „eher nachteilig“auf ihre Bildungskarriere auswirke.
Der Förderverein Bairische Sprache und Dialekte aus München und die Universität Salzburg wollen mit einem grenzübergreifenden Schulprojekt bei Kindern eine Zweisprachigkeit von Dialekt und Hochdeutsch fördern. Drei Schulen im Landkreis Berchtesgadener Land, drei weitere im Landkreis Traunstein sowie sechs Schulen im Salzburger Land werden von Herbst an teilnehmen. Das Projekt soll auch zum Abbau von Vorurteilen gegenüber anderen sprachlichen Eigenarten beitragen, wie ein ausländischer
Akzent bei Migranten oder Dialektfärbungen aus Nord- oder Ostdeutschland. „Uns geht es um eine Entstigmatisierung von Varietäten“, sagt Eugen Unterberger von der Universität Salzburg.
Vorbild könnte Norwegen sein, wo so viele Dialekte wie nirgends in Europa sonst lebendig sind. Das skandinavische Land hat, so weiß es Sprachforscher König, einen großen Sprachenstreit durchgemacht, infolgedessen den norwegischen Lehrern verboten wurde, ein Kind in seiner Aussprache zu kritisieren. Korrigiert werden die Schüler dort seither nur mehr im schriftlichen Ausdruck. Den Kindern bereite die Dialekt-Vielfalt keine Schwierigkeit: „Sie haben Übung im Decodieren“, erklärt König und ergänzt: „Das passiert im Kopf ganz automatisch.“Genauso sei es, wo Kinder zweisprachig aufwachsen. „Sie können die Sprachen unterscheiden. Und sie können zwischen ihnen mühelos wechseln.“