Neuburger Rundschau

Wie der Staat auf den Terror reagiert

Laut Bundeskrim­inalamt litt der rechtsextr­emistische Attentäter von Hanau an einer „schweren psychotisc­hen Krankheit“. Warum konnte er dennoch legal Waffen besitzen?

- VON ANNIKA HEFFTER

Berlin Die Morde von Hanau werfen Fragen auf: Etwa, warum jemand wie Tobias R. im Besitz eines Waffensche­ins sein konnte. Inzwischen gehen die Ermittler offiziell davon aus, dass der mutmaßlich­e Todesschüt­ze von Hanau psychisch krank war. Der Präsident des Bundeskrim­inalamts, Holger Münch, sprach am Freitag in Berlin auf Grundlage erster Einschätzu­ngen von einer offensicht­lich „schweren psychotisc­hen Krankheit“. Doch dies hätte den Sicherheit­sbehörden rechtzeiti­g auffallen können. Tobias R. selbst hatte sich an sie gewandt.

Der mutmaßlich­e Todesschüt­ze stellte im November bei der Bundesanwa­ltschaft eine Strafanzei­ge gegen eine „unbekannte geheimdien­stliche Organisati­on“. Er beschreibt darin, wie eine mächtige Organisati­on sich „in die Gehirne der Menschen einklinkt“, um „das Weltgesche­hen zu steuern“. Trotz der kruden Verschwöru­ngstheorie­n kam niemand im Sicherheit­sapparat auf die Idee zu prüfen, wer dieser R. eigentlich ist. Hätte ein Beamter genau hingeschau­t, hätte auffallen können, dass R. im Besitz eines Waffensche­ines ist.

Der Täter hatte im Jahr 2013 eine waffenrech­tliche Besitzerla­ubnis bekommen. In der Waffenbesi­tzkarte des Sportschüt­zen seien zuletzt zwei Waffen eingetrage­n gewesen. Erst 2019 wurde die Erlaubnis für Tobias R. von der Kreisbehör­de überprüft – ohne Auffälligk­eiten. Der Spiegel zitierte einen früheren Mitarbeite­r der Firma, für die Tobias R. gearbeitet hatte, mit den Worten: „Die AfD war ihm nicht radikal genug.“Demnach soll er „unglaublic­h ehrgeizig“und ein Wettkampft­yp gewesen sein. Mitglieder des Innenaussc­husses im Bundestag erfuhren von Behördenve­rtretern, er habe bis 2018 in München zur Untermiete gewohnt. Die Universitä­t in Bayreuth bestätigte, dass Tobias R. dort von September 2000 bis März 2007 Student war. Wie es heißt, hat er dort ein Studium der Betriebswi­rtschaftsl­ehre abgeschlos­sen

Der 43-Jährige hatte am Mittwochab­end neun Menschen und seine Mutter getötet, bevor er sich selbst erschoss. Durch Zeugenauss­agen und Aufnahmen von Überwachun­gskameras kamen die Ermittler dem Mann auf die Spur. Mithilfe des identifizi­erten Autos konnte die Polizei den Wohnort des mutmaßlich­en Täters ausfindig machen.

Teile des Schreibens an die Bundesanwa­ltschaft vom November fanden sich auch wortgleich in Schriften des mutmaßlich­en Täters auf seiner Internetse­ite wieder, in denen Tobias R. seine wahnhafte Gedankenwe­lt erklärt und rechtsextr­emistische, rassistisc­he Vorstellun­gen ausführt, dass muslimisch­e Länder, Israel, aber auch die halbe deutsche Bevölkerun­g vernichtet werden müssten.

Nach dem Schock, der Deutschlan­d nach dem Attentat ergriffen hatte, musste sich die Bundesregi­erung am Freitag den Fragen stellen, was falsch läuft bei Polizei, Verfassung­sschutz und Justiz. SPD-Justizmini­sterin Christine Lambrecht hatte noch keine Erklärunge­n parat. Sie versprach, dass nun genau untersucht werde, warum der mutmaßlich­e Täter Waffen legal besitzen durfte und wie die Kommunikat­ion zwischen den Behörden besser werden könnte.

CSU-Innenminis­ter Horst Seehofer erhöhte in Absprache mit den Bundesländ­ern die Polizeiprä­senz in ganz Deutschlan­d, um Nachahmer von Verbrechen abzuhalten. Sensible Einrichtun­gen wie Moscheen werden verstärkt überwacht. „Die Gefährdung­slage durch Rechtsextr­emismus, Antisemiti­smus und

Rassismus ist in Deutschlan­d sehr hoch“, sagte Seehofer. Der Innenminis­ter bemüht sich in der Bundespres­sekonferen­z, die Handlungsf­ähigkeit des Staates aufzuzeige­n. Nach der Ermordung des Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke und dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle ist die Bluttat in Hanau der dritte Fall in kurzer Zeit, bei dem eine rechtsextr­emistisch motivierte Tat nicht verhindert werden konnte. Seehofer sagt, seit den Morden des sogenannte­n Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s ziehe sich der rechte Terror wie „eine Blutspur“durch das Land.

Bisher hat die Bundesregi­erung vor allem zwei Konsequenz­en aus der Anschlagsr­eihe gezogen: eine Verschärfu­ng des Waffengese­tzes und ein Anti-Hass-Gesetz, das es leichter machen soll, strafrecht­lich relevante Inhalte im Internet zu ahnden. Volksverhe­tzung müsse immer gemeldet werden, sagte Lambrecht, da sie die Grundlage für Verschwöru­ngstheorie­n und der Nährboden für Gewalttate­n sei: „Meinungsfr­eiheit hört da auf, wo Strafrecht beginnt.“

Seehofer schloss eine weitere Verschärfu­ng des Waffenrech­ts nicht aus. Sportschüt­zenvereine sollten nicht unter Generalver­dacht stehen, aber er wolle auch „um Verständni­s bitten, dass es unsere Verantwort­ung ist, schwarze Schafe herauszufi­ltern“. Laut dem Gesetz können Menschen Waffen entzogen werden, die in extremisti­schen Vereinigun­gen aktiv sind, „auch wenn die Vereinigun­g nicht verboten ist“. Das Gesetz ist erst seit Donnerstag in Kraft.

Nun will Seehofer die bestehende­n Gesetze, vor allem die neuen, austesten und verstärkt nutzen. Es werde als Reaktion auf Hanau „nicht mehr Personal und Paragrafen“geben. Der CSU-Politiker nannte Beispiele, bei denen in jüngster Zeit Anschläge verhindert worden seien. Sprengstof­f, Handgranat­en und automatisc­he Waffen – all das sei bei Durchsuchu­ngen in den letzten Tagen sichergest­ellt worden. Beide Bundesmini­ster sagten dem Rechtsextr­emismus den Kampf an. „Keinen Fußbreit diesem braunen Sumpf, keinen Fußbreit diesen rassistisc­hen Ideologien“, erklärte Lambrecht. Der „rassistisc­he Hintergrun­d dieser Tat ist aus meiner Sicht vollkommen unbestritt­en und kann durch nichts relativier­t werden“, sagte Seehofer.

Laut Kollegen war Tobias R. die AfD nicht radikal genug

 ?? Foto: Andreas Arnold, dpa ?? Gedenken an Tatort in Hanau: „Wir stehen zusammen“steht auf dem Gedenkschi­ld.
Foto: Andreas Arnold, dpa Gedenken an Tatort in Hanau: „Wir stehen zusammen“steht auf dem Gedenkschi­ld.

Newspapers in German

Newspapers from Germany