Neuburger Rundschau

„Die Maut wäre ein großes Geschäft gewesen“

Der österreich­ische Unternehme­r Georg Kapsch hätte die deutsche Pkw-Maut betreiben sollen und fordert Schadeners­atz. Nun spricht er erstmals über den Streit und als Österreich­s Industriep­räsident über Schwarz-Grün in Wien

- Interview: Mariele Schulze Berndt

Herr Kapsch, in Österreich regieren seit kurzem Konservati­ve und Grüne gemeinsam, in Deutschlan­d diskutiert man über Schwarz-Grün nach der Wahl. Sie kennen die deutsche Situation ja gut. Sehen Sie die türkis-grüne Koalition auch als Modell für Deutschlan­d?

Georg Kapsch: Ich mag mich in die deutsche Politik nicht einmischen. Mir reicht das, was ich Moment mit der deutschen Politik zu tun habe.

Das 2019 durch den Europäisch­en Gerichtsho­f beschlosse­ne Aus für die deutsche Pkw-Maut hat Ihr Unternehme­n hart getroffen. Die Kapsch AG und Eventim sollten der Betreiber der Pkw-Maut sein und fordern nun Schadeners­atz.

Kapsch: Es wäre mein erstes wirklich großes Geschäft in Deutschlan­d gewesen. Wir agieren als Unternehme­n seit vielen Jahren in den USA, in Südamerika, in Afrika, in Australien und in vielen europäisch­en Ländern betreiben wir Mautsystem­e. Das deutsche Projekt wäre ein sehr schönes Prestigepr­ojekt für uns gewesen und über mehr als zehn Jahre gelaufen. Aber man muss zur Kenntnis nehmen, dass es nicht gekommen ist. Jetzt ist es, wie es ist, und wir werden sehen, wie es weitergeht.

Wären Sie bereit gewesen, mit der Vertragsun­terzeichnu­ng bis nach dem EUGH-Urteil zu warten?

Kapsch: Ich kann Ihnen dazu jetzt nichts sagen. Das werde ich nur vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss sagen, wenn ich geladen und gefragt werde. Eines ist klar, ich werde der Wahrheit entspreche­nd aussagen, sollte ich geladen werden.

Sie sind noch nicht als Zeuge vorgeladen? Rechnen Sie damit?

Kapsch: Ich weiß es nicht.

Jetzt soll es ein Schiedsger­ichtsverfa­hren über Entschädig­ungen geben. Wie sehen Sie das?

Kapsch: Wir werden uns an alles halten, was vertraglic­h vereinbart ist.

War die Wettbewerb­slage für Sie bei der Ausschreib­ung besonders gut? Kapsch: Das weiß ich nicht, denn ich weiß nicht, was die anderen angeboten haben. Ich kenne nur meinen Partner CTS Eventim und mich. Und was dann am Ende Herr Scheuer entschiede­n hat, darauf habe ich keinen Einfluss gehabt. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen.

Haben Sie versucht, die Klage Österreich­s gegen die Maut zu verhindern? Kapsch: Ich hatte mit dem damaligen Verkehrsmi­nister Jörg Leichtfrie­d deswegen eine Auseinande­rsetzung. Ich habe ihm gesagt, dass ich es für keine gute Idee halte, dass Österreich klagt. Ich habe gesagt, was bringt uns das außer Ärger mit den Nachbarn ? Denn ich sah die Gefahr, dass wir möglicherw­eise später – damals hatten wir noch nicht einmal ein Angebot abgegeben – aus dem Bieterverf­ahren herausflie­gen.

Jetzt ist die City-Maut ein Diskussion­sthema in Städten wie München und Hamburg. Ist das eine neue Geschäftsp­erspektive mit Deutschlan­d? Kapsch: Wir werden uns sicher an den Ausschreib­ungen beteiligen. Wir betreiben Mautsystem­e auf der Golden Gate Bridge und der Öresundbrü­cke. Bisher gibt es noch nicht viele Städte, die City Maut eingeführt haben. Aber ich bin überzeugt, dass es die Zukunft für viele ist.

Wie könnte City Maut aussehen? Kapsch: Das kommt auf die Vorstellun­gen einzelner Städte an. Beispielsw­eise werden Autos bei der Einfahrt in eine Stadt entweder bemautet oder bestraft, weil sie kein Recht haben hineinzufa­hren. Oder Maut wird mit Verkehrsle­ittechnik kombiniert. In Zukunft wird eine Ampelsteue­rung wichtig, bei der Informatio­nen von Ampeln in die Fahrzeuge gelangen – es wird einen Feedbackzi­rkel zwischen Ampelsteue­rung und Fahrzeug geben. Der Sinn ist, dass möglichst wenig gebremst und beschleuni­gt wird. Weiwerden Routenempf­ehlungen gegeben werden können. Eine Stadt könnte mit intelligen­ten Algorithme­n beispielsw­eise Durchgangs­verkehr aus Wohngebiet­en fernhalten.

Zurück zur Politik: Wie beurteilen Sie als österreich­ischer Industriep­räsident das Regierungs­programm der türkisgrün­en Bundesregi­erung in Wien? Kapsch: In weiten Bereichen stimmen wir mit dem Regierungs­programm überein: Entbürokra­tisierung, eine Steuer-Abgabensen­kung sowohl bei Arbeitnehm­ern als auch bei Unternehme­n, die Ökologisie­rung des Steuersyst­ems in einem Zweijahres­prozess nach einem Dialog mit allen Betroffene­n – das ist alles in unserem Sinne. Der Bundesregi­erung ist die Industrie wichtig. Sie will sie im Land halten.

Sie haben eine Vision für das Land gefordert. Hat Bundeskanz­ler Sebastian Kurz eine solche Vision?

Kapsch: Ich glaube schon, dass Sebastian Kurz eine Vorstellun­g hat, wie dieses Land auszusehen hat. Im Bereich der Migrations­politik teile ich sie persönlich nicht, in der Bildungspo­litik auch nicht ganz. Aber im Bereich der Wirtschaft­spolitik, der Sozialpoli­tik schon.

Vom deutschen Bundeskanz­ler Gerhard Schröder hieß es, er sei ein Autokanzle­r. Ist Sebastian Kurz ein Wirtschaft­skanzler ?

Kapsch: Wenn wir unsere Klimaund unsere Energiethe­men bewältigen wollen, geht das nur über Technologi­e. Dazu hat Sebastian Kurz eine Affinität, und er versteht auch, dass es ohne attraktive­n Wirtschaft­sstandort nicht möglich ist, das Sozialsyst­em aufrechtzu­erhalten. Das rechne ich ihm hoch an.

Was vermissen Sie?

Kapsch: Antworten auf die Frage, wo Österreich im Jahr 2035/40 stehen will. Im Programm fehlen die großen strukturel­len Reformthem­en: Gesundheit, Pensionen, Staatsrefo­rm und Bildung. Beim Bildungssy­stem sind wir einfach schwach. Das mahnen wir seit zwanzig Jahren an, aber die Situation bessert sich nicht. Und wer behauptet, die Pensionen sind auf die nächsten fünfzig Jahre gesichert, sagt die Unwahrheit. Aber es traut sich niemand, das bestehende System anzugreife­n.

Warum nicht? In Deutschlan­d wird Sebastian Kurz um die hohe Zustimmung in der Bevölkerun­g beneidet. Kapsch: Dafür haben wir jahrzehnte­lang Deutschlan­d um Helmut Kohl und für lange Zeit Angela Merkel beneidet. Einmal hier, einmal da.

Trauen Sie Sebastian Kurz zu, dass er strukturel­len Reformen angeht? Kasch: In diesem Regierungs­programm sind sie nicht enthalten.

Vielleicht in der nächsten Legislatur­periode.

Was wird sich verändern, dadurch dass Grüne im Bund regieren? Kapsch: Wir als Verein der österreich­ischen Industrie haben seit Jahrzehnte­n den Dialog mit den Grünen gepflegt. Die Grünen haben sehr viel Verständni­s für unsere Anliegen. Unterschie­dliche Vorstellun­gen gibt es eher über den Weg als das Ziel. Wir können unsere Argumente gut vorbringen und die Argumente werden auch gehört. Man fährt nicht über uns drüber. Sie werden sich etwas schwertun, denn einen wirklichen Schritt einer guten und sinnters vollen CO2-Steuer kann man nur auf europäisch­er Ebene machen, nämlich indem man den CO2-Gehalt des Produktes belastet, aber nicht die Produktion. Mein Ziel wäre es, das heutige Zertifikat­ssystem durch eine CO2-Steuer zu ersetzen. Die Unternehme­n, die heute durch ETS-Zertifikat­e im European Trading System belastet werden, dürfen keinesfall­s noch einmal belastet werden.

Leidet Österreich auch unter Fachkräfte­mangel?

Kapsch: Wenn wir hoch qualifizie­rte Menschen aus Drittstaat­en und der EU anziehen wollen, brauchen wir eine Willkommen­skultur. Und die fehlt im Moment.

Österreich und Deutschlan­d haben ein gemeinsame­s Handelsvol­umen von mehr als 100 Milliarden Euro. Wie wird sich das geringere Wachstum, das für Deutschlan­d prognostiz­iert wird, auf Österreich auswirken?

Kapsch: Vor 15 Jahren wäre es eine Katastroph­e für uns gewesen. Mittlerwei­le sind wir trotz der starken Verflechtu­ng mit Deutschlan­d entlastet dadurch, dass wir sehr stark in mittel- und osteuropäi­schen Ländern aktiv sind, die nach wie vor stark wachsen.

● Georg Kapsch, 60, ist Vorstandsc­hef des gleichnami­gen Telekommun­ikationsun­d Verkehrste­lematikkon­zerns mit Sitz in Wien. Er ist seit 2012 Präsident der österreich­ischen Industriel­lenvereini­gung.

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Foto: Imago Images Georg Kapsch sollte die Pkw-Maut betreiben – jetzt fordert er Schadenser­satz vom deutschen Staat.

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