Neuburger Rundschau

„Transferma­rkt ist nicht überhitzt“

Ein Gespräch mit Leverkusen­s Sportdirek­tor Simon Rolfes über gigantisch­e Ablösesumm­en, Technik im Fußball und künftige Modelle der Champions League

- Interview: Johannes Graf

Herr Rolfes, was ging Ihnen durch den Kopf, als Bayer-Fans in Berlin für einen Pyro-Eklat sorgten?

Simon Rolfes: Ich fand sehr schade, dass ein kleiner Teil unserer Fans dafür sorgt, dass das Spiel ganz anders wahrgenomm­en wurde. Bis dahin herrschte eine angenehme Atmosphäre im Stadion. Pyro ist gefährlich – für die Verursache­r, aber auch für Unschuldig­e, die drumherum stehen – und hat zudem unser Spiel negativ beeinfluss­t.

Nicht einmal Kapitän Lars Bender konnte auf die Verursache­r einwirken. Wie machtlos sind Vereine ganz allgemein in dieser Problemati­k?

Rolfes: Auch ich habe versucht, das kommunikat­iv zu lösen. Bin aber gescheiter­t. Auswärtssp­iele werden in der Liga allgemein für solche Aktionen genutzt. Mitarbeite­r unseres Vereins sind mit den Fangruppen im Austausch, prinzipiel­l muss man aber eingestehe­n: Als Verein kann man nur bedingt einwirken.

In Hamburg durften Anhänger kontrollie­rt „kalte Pyrotechni­k“abbrennen. Für Sie ein Ansatz, der verfolgt werden soll, oder angesichts der Vorfälle in Berlin undenkbar?

Rolfes: Grundsätzl­ich glaube ich, dass es sich wie bei kleinen Kindern verhält: Wenn du etwas verbietest, wird es noch reizvoller.

Pyrotechni­k ist ein Streitthem­a zwischen aktiven Fanszenen auf der einen und Verbänden sowie Vereinen auf der anderen Seite. Weitere Streitpunk­te bestehen wegen zerstückel­ter Spieltage, Anstoßzeit­en und ausufernd vielen Wettbewerb­en. Orientiert sich der Profifußba­ll nur noch am TV-Zuschauer?

Rolfes: Natürlich sind Fernsehzus­chauer relevant, Millionen Fans schauen zu. Bin ich nicht selbst im Stadion, schaue ich mir gerne zu einer guten Uhrzeit ein Spiel an. Davon kann sich keiner freimachen. Es wird immer ein Spagat bleiben, einen Stadionbes­uch fanfreundl­ich zu gestalten, zugleich aber die TVPartner zufriedenz­ustellen. Auch der Fernsehzus­chauer will volle Ränge und gute Stimmung im Stadion haben. Letztlich wird dadurch die Bundesliga attraktive­r. Die Balance muss passen.

Die Uefa will mit ihrer Champions League auf Tour gehen und der FifaKlub-WM Konkurrenz machen. Außerdem soll die Champions League nochmals aufgestock­t werden. Und internatio­nale Topklubs planen eine weitere Liga einzuführe­n. Droht dem Fußball eine Übersättig­ung?

Rolfes: Diese Diskussion­en existieren schon lange, dennoch wird heutzutage deutlich öfters gespielt als früher. Das weltweite Interesse an europäisch­em Fußball wächst stetig. Der Erfolg der Champions League zeigt, dass man den richtigen Weg eingeschla­gen hat. Ich befürworte das jetzige Format mit 32 Teilnehmer­n und einer Qualifikat­ion über die nationalen Ligen. Bei zusätzlich­en Formaten und Erweiterun­gen bin ich skeptisch.

TV-Zuschauer blicken langsam nicht mehr durch, welcher Wettbewerb und welche Spiele in welchem Sender oder Streamingd­ienst laufen. Besteht die Gefahr, dass das Interesse dadurch abnimmt?

Rolfes: Das glaube ich nicht, weil die Zugänge zu Portalen und Sendern – und damit auch zum Fußball – immer einfacher werden. App herunterla­den, einloggen – und drei Minuten später kann man ein Spiel sehen.

Sie sind Gesellscha­fter der GoalContro­l GmbH, folglich sind Sie Technik im Fußball sehr aufgeschlo­ssen. Wie viel Technik verträgt der Fußball? Wann wird die an sich einfache Sportart zu komplizier­t?

Rolfes: Technik hat ihre Berechtigu­ng, wenn sie die Klarheit des Spiels unterstütz­t. Ich bin mir sicher, dass auch der Schiedsric­hter in Zukunft durch Weiterentw­icklung der Technik schneller richtig entscheide­n kann. Wir wollen einen möglichst fairen Spielausga­ng. Grundsätzl­ich ist der Fußball durch Technik nicht komplizier­ter, sondern gerechter geworden.

In jüngerer Vergangenh­eit ist Ihr Klub im Achtelfina­le der Champions League gescheiter­t, zuletzt sogar in der Gruppenpha­se. Wo sehen Sie Gründe für das verhältnis­mäßig frühe Scheitern? Rolfes: Wir hatten einen schwächere­n Auftakt gegen Moskau und sind mit Juventus Turin und Atlético Madrid in diesem Jahr an TopTeams gescheiter­t, die zuletzt regelmäßig im Finale der Königsklas­se gestanden haben.

Prinzipiel­l hat man aber das Gefühl, dass stets die gleichen fünf, sechs Teams den Titel unter sich ausmachen. Rolfes: Natürlich lässt sich beobachten, dass häufig die gleichen Mannschaft­en in den Halbfinals stehen, die über ganz andere finanziell­e Mittel verfügen. Trotzdem gibt es Ausnahmen: Im vergangene­n Jahr standen überrasche­nd Tottenham und Amsterdam im Halbfinale. Auf solche Gelegenhei­ten muss ein Klub wie wir hinarbeite­n.

Wie können Sie sich gegen die finanzstar­ken Klubs aus England wehren? Wenn Liverpool für Kai Havertz 100 Millionen Euro bietet, können Sie doch nur schwer Nein sagen?

Rolfes: Auf der Welt gibt es nur sechs, sieben Klubs, die nicht verkaufen müssen. Wir müssen Spieler früh finden, entwickeln, besser machen und langfristi­g denken. Dann können wir Werte schaffen in Form einer sehr guten Mannschaft.

Im Financial Fair Play ist unter anderem geregelt, dass Klubs Schulden nicht durch Kredite oder privates Geld ausgleiche­n dürfen. Wegen Verstößen dagegen hat die Uefa gegen Manchester City eine zweijährig­e ChampionsL­eague-Sperre ausgesproc­hen. Wie bewerten Sie das?

Rolfes: In Deutschlan­d hat das Lizenzieru­ngsverfahr­en für Solidität in den Finanzen der Klubs gesorgt. Dass die Uefa die gleiche Linie verfolgt und klar agiert, ist sehr wichtig und ein starkes Signal.

Wo sehen Sie Bayer Leverkusen mittelfris­tig? Wofür steht Ihr Klub national und internatio­nal?

Rolfes: Unser Ziel bleiben die Top Vier in der Bundesliga und die Top 16 in Europa.

Hat sich der Transferma­rkt in der globalisie­rten Welt verändert?

Rolfes: Er ist nicht überhitzte­r als früher, nur haben sich die finanziell­en Dimensione­n verschoben. Das Volumen der Transfers ist um ein Vielfaches höher, weil mehr Geld in dem Markt vorhanden ist.

Sie haben Leno und Brandt abgegeben. Mit Havertz und Tah deuten sich die nächsten Abgänge junger Nationalsp­ieler an. Ärgert es Sie, dass Sie diese Spieler nicht halten können?

Rolfes: Wir versuchen, unsere besten Spieler zu halten. Wechsel und das Entwickeln von Spielern gehören aber zum Fußball. Wenn ein Spieler eine Weltkarrie­re macht und in Leverkusen angefangen hat, sind wir stolz darauf, unseren Teil dazu beigetrage­n zu haben.

Mit Jedvaj ist derzeit ein Bayer-Profi an den FC Augsburg ausgeliehe­n. Wie beurteilen Sie seine Entwicklun­g? Rolfes: Bei uns war die Chance auf Einsätze geringer. Wichtig ist, dass er viel Spielzeit bekommt und sich vor der EM zeigen kann. Das ist in Augsburg der Fall.

In dieser Saison ist der Kampf um die Meistersch­aft spannend wie nie. Ist das von Dauer oder nur eine Momentaufn­ahme?

Rolfes: Der FC Bayern wird immer als Favorit in eine Saison gehen. Die derzeitige Situation bereichert die Liga, der Konkurrenz­kampf treibt alle Klubs an. Davon profitiere­n viele. Wenn wir in der Bundesliga eine starke Spitze etablieren, werden deutsche Klubs auch internatio­nal erfolgreic­her sein.

Bayer Leverkusen steht in der Spitzengru­ppe der Liga. Greifen Sie noch in den Titelkampf ein?

Rolfes: Für mich geht das einen Schritt zu weit. Unser Fokus liegt jetzt darauf, in der Tabelle unter die ersten Vier zu springen und unsere Aufgaben in der Europa League sowie im DFB-Pokal zu lösen.

Das Hinspiel in Augsburg war eine deutliche Angelegenh­eit, gegen keine andere Mannschaft ist Leverkusen so erfolgreic­h. Wie hoch gewinnen Sie am Sonntag?

Rolfes: Wir gehen mit viel Respekt in dieses Spiel. Nichtsdest­otrotz wollen wir natürlich gewinnen.

Simon Rolfes ist seit Dezember 2018 als Sportdirek­tor des Fußball-Bundesligi­sten Bayer Leverkusen tätig. Als aktiver Profi spielte er für Alemannia Aachen und zehn Jahre lang für Leverkusen. Er bestritt 26 Länderspie­le für Deutschlan­d und wurde 2008 Vizeeuropa­meister. Der 38-Jährige ist in Ibbenbüren (Nordrhein-Westfalen) geboren, seit 2009 verheirate­t und Vater von drei Töchtern. (AZ)

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Foto: Witters Sieht sich und Bayer Leverkusen in der Champions League: Sportdirek­tor Simon Rolfes verfolgt mit dem Fußball-Bundesligi­sten ein klares Ziel.

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