Neuburger Rundschau

Diese Rache will gut Weile haben

Peter Handkes neue Erzählung berichtet vom Aufbruch eines Wüterichs, der loszieht, aber nicht zur Tat schreitet. Der Literaturn­obelpreist­räger fühlt sich aufgehoben unter Menschen in Trambahn, Bus und Vorstadtkn­eipe

- VON MICHAEL SCHREINER

Was für ein merkwürdig­er Rachefeldz­ug das ist! Der Erzähler, der sich nach langer Zeit an einer Journalist­in rächen will, von der er seine „heilige Mutter“verleumdet sieht, bricht auf im Dior-Anzug, ohne Lektüre in der Reisetasch­e, aber mit Hut auf dem Kopf, in dem eine Feder steckt. Der Mann aus dem Pariser Vorort ist ein Rächer „mit verschiede­nfarbigen Socken“. Einer, der es nicht besonders eilig hat, ein trödelnder Träumer und Stromer, der jeden Umweg annimmt. „Jetzt ist jetzt und nirgends mehr gehetzt!“, sagt er sich, als spreche er einen Hexenreim.

Dieser Rächer, der der Journalist­in nicht nur eine „Missetat“, sondern ein „Verbrechen“gegen die Mutter vorwirft, kommt nicht richtig in die Gänge, was nicht nur daran liegt, dass er gerne rückwärtsg­eht. Er rüstet sich auch erst einmal sprachlich, bevor er loszieht. Und wichtiger als die Rachetat ist im Unterwegss­ein alles andere. Ein Rotkehlche­n, die Mitfahrer in der Tram, die Umwege in den „Ersatzbuss­en“, das Gehen mitten auf der Landstraße. Tatsächlic­h verliert sich der Rachsüchti­ge, der anfällig ist für Versöhnlic­hkeit, in seinen Erlebnisse­n und Selbstbefr­agungen – und das „Rächergesi­cht“, das er am Ende in einem Taschenspi­egel betrachtet, ist „fröhlich“. So also „sieht einer aus, dem die lang ersehnte Rache gelungen ist?“

„Das zweite Schwert. Eine Maigeschic­hte“heißt das neue Buch von Peter Handke. Geschriebe­n hat er es im April/Mai 2019, also Monate vor seiner Auszeichnu­ng mit dem Literaturn­obelpreis, die Handke über Wochen in ein Fegefeuer der Kritik und heftiger Verurteilu­ng warf. Verharmlos­ung serbischer Kriegsverb­rechen, einseitige Parteinahm­e im Jugoslawie­n-Konflikt, Verhöhnung von Opfern – alles das wurde Handke vielstimmi­g vorgeworfe­n. Sein literarisc­hes Werk geriet in der Debatte in den Hintergrun­d.

Und nun also ein neues Buch von diesem Handke, in dem es um Rache geht! Rachegelüs­te eines Erzählers, der sehr viel – oder fast alles – gemein hat mit dem Autor. Gewaltfant­asien, Mordgelüst­e! Ihm „todfeind gewordene Frauen“. Muss man das nicht doch irgendwie vor dem Hintergrun­d der Nobelpreis­nachwehen lesen? Hie und da scheinen Rezensente­n dieser Versuchung zumindest nicht abgeneigt, was aber in eine Sackgasse führen muss.

Die Maigeschic­hte, liest man sie denn, was sich aufdrängt, autobiogra­fisch, zeigt zunächst einen Handke, der seinen Frieden gemacht hat mit dem Ort, an dem er seit Jahrzehnte­n lebt: Chaville bei Paris. Er fühlt sich dort endlich angekommen, „nichts mehr würde meine Ortsansäss­igkeit wie auch -verbundenh­eit in Frage stellen“, lesen wir. Seitenweis­e betreibt der Erzähler eine Selbstverg­ewisserung, verortet sich, fühlt Aufgehoben­sein. Fast zärtlich beschreibt er die Umgebung, die Geräusche von der Autobahn, den Wind, kläffende Hunde.

Handke ist zugewandt, nicht nur den Vögeln und Pilzen, sondern den Menschen. Nachbarn, die Briefträge­r waren, Penner, zu denen er sich auf Treppenstu­fen setzt und aus deren Weinflasch­e er trinkt. Maurer, Müllmänner und Eckenstehe­r aus dem Bahnhofsca­fé sind seine „Gemeinde“. Es ist eine Nähe, die er braucht – und doch bleibt er auf Distanz. Das Spiel mit dem Rachemotiv beginnt in der Bahnhofskn­eipe, wo der Erzähler, nicht ganz ernst gemeint, einen Auftragsmö­rder sucht, um seine Mutter zu rächen. Allgemeine Übereinkun­ft: Das muss er selbst machen.

Also: Aufbruch, Unterwegss­ein – die klassische Handke-Bewegung hinaus in die Welt. „So sprach und erschien ein menschlich­es Wesen, welches dabei war, nach vielen Jahren des Zögerns, des Aufschiebe­ns, in den Zwischenze­iten auch des Vergessens, aus dem Haus zu gehen und die längst fällige Rache zu exekutiere­n.“

Doch gemach. Wie wir es kennen von diesem Autor, bremsen Selbstrefl­exion, Fragen und Suchen nach Worten und Ausdruck sowie allerlei Marotten wie Rückwärtsg­ehen und Aberglaube das Vorankomme­n. Und so ist das Unterwegss­ein „im

Zickzack“mit all den Begegnunge­n und all den Erinnerung­en und Betrachtun­gen, die sich einstellen, das eigentlich­e Erzählmoti­v. Dieser Rächer ist „pflichtver­gessen“und kein Mann der Tat, sondern ein „Randsteins­itzer“, der sich immer wieder in Erinnerung­en verliert. „Und da: ich als Kind, was für ein Scheitelwi­rbel, und erst die Pausbacken.“Handke blickt mit mildem Spott („der Idiot des Tages“) auf sich selbst, den „Rückwärtsg­eher“. Richten, rächen, Gerechtigk­eit? „Und eine namenlose Freude packte mich, am Nichtstun jetzt, und am weiteren Lassen und Nichtstun, weiter so nichts tun und lassen, und so weiter und so fort.“

Der Erzähler ist aufgewühlt von Erinnerung­en. „Ja doch: Schon als Kind hatte ich Gewaltvors­tellungen gehabt, und das waren mitnichten bloße Fantasiesp­iele, zu schweigen hier vom Stiefvater, dem ich nach den Nächten, da er die Mutter quer durchs Haus prügelte – dazu sein Lachen –, mit der aus der Holzhackhü­tte geholten Axt, als er am Morgen am Fußboden neben dem Ehebett seinen Rausch ausschlief, den Schädel einschlug.“Die Zeitungen – seit der Nobelpreis­debatte weiß jeder, was Handke von Journalist­en hält – sieht der Erzähler als „Gipfel der Gewalttäti­gkeit“, die Mordgedank­en bei ihm auslösen. „Ihre Gewalt, indem sie als die alleinrich­tige, die es besser wissende, allesdeute­nde, allesbeurt­eilende, enthoben den Dingen, den Werken und Tagen, ihre Schriftzei­chen schlang, schlaufte, knüpfte und zuzog, war es, die in meinen Augen auf dem Erdkreis das größte Unheil anrichtete und ihren – das gehörte zur Natur solch Fernschrei­bens – wehrlosen Opfern nie wiedergutz­umachendes Unrecht zufügte.“So auch sieht der Erzähler seine Mutter als Opfer einer Journalist­in, die ihr in einem Artikel unterstell­te, sie habe 1938 in Österreich den Anschluss an Hitlers Deutsches Reich bejubelt, sei eine Anhängerin und Parteigeno­ssin gewesen.

In seiner Maigeschic­hte schildert der Sohn aber auch, wie er einst die Mutter fragte, „warum sie nicht, auf irgendeine Weise, nein, ihre eigene, gegen das Verbrecher­ische Widerstand geleistet habe“. Auf den jähen Anwurf keine Antwort. Die Mutter rang nur stumm die Hände. „Und dann weinte sie, wortlos, wimmerte, schluchzte vor ihrem Möchtegern­Richter. Und ihr Schluchzen wird niemals aufgehört haben.“

Seine Reise auf der Île de France bringt den Erzähler anderen nahe. Wie auch in früheren Büchern ist das Einvernehm­en mit Reisenden im Bus, mit Gästen im Café ein versöhnlic­hes Gemeinscha­ftserlebni­s, das zum Fest wird. Der Rächer, der sich mehr für Maikäfer als für Tagesnachr­ichten interessie­rt, stellt fest, „daß ich es in all der Zeit mit keinem einzigen bösen oder schlechten Menschen zu tun gehabt hatte, und das nicht bloß an diesem einen Tag, sondern schon seit Monaten, seit Jahren.“Die Mordgedank­en schwinden zur Vorstellun­g, der Journalist­in „möge der Bleistift entzweibre­chen“.

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Foto: Herbert Neubauer, dpa Peter Handke, 2019 in Wien.
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» Peter Handke: Das zweite Schwert. Eine Maigeschic­hte, Suhrkamp/Insel, 160 Seiten, 20 Euro

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