Neuburger Rundschau

Wenn die Freundin zur Feindin wird

Heute ist der „Behaupte-dich-gegen-Mobbing-Tag“. Ein betroffene­s Mädchen und ihre Mutter erzählen, wie es ihnen dabei geht. Neuburger Schulleite­r und Sozialarbe­iter sprechen über die Situation in Neuburg und geben Tipps

- VON DOROTHEE PFAFFEL

Neuburg Im September feierten sie noch gemeinsam Geburtstag. Sie stammen aus demselben Dorf, waren gute Freundinne­n. Dann war plötzlich alles anders. „Sie hat sich von mir weggedreht, ich war Luft für sie“, erzählt das eine der beiden Mädchen heute. Beim Ignorieren und Ausgrenzen sollte es aber in den kommenden Wochen nicht bleiben. Freundinne­n verrieten der Zwölfjähri­gen, dass das andere Mädchen hinter ihrem Rücken schlecht über sie reden würde, außerdem per Handy Fotos von ihr mit abwertende­n Smileys und Kommentare­n über einen Kurznachri­chtendiens­t verschicke­n würde. „Ich wusste nicht, was ich tun sollte“, sagt das betroffene Mädchen. Im Artikel nennen wir es Stefanie – den richtigen Namen können wir nicht veröffentl­ichen, um keine weiteren Angriffe zu provoziere­n. Sie sei verzweifel­t gewesen, habe Angst gehabt, dass ihre restlichen Freunde nicht zu ihr halten würden, beschreibt Stefanie die Gedanken, die sie umtrieben. Sie hätte oft weinen können, habe ihre Gefühle aber unterdrück­t. Inzwischen hat sie sich ihren Eltern anvertraut – doch das hat lange gedauert. Mehrere Monate fraß sie das Verhalten und die Beleidigun­gen ihrer einstigen Freundin in sich hinein.

Die Mutter der Fünftkläss­lerin, wir nennen die Frau Andrea Meier, ist aufgebrach­t. Mehr noch: Sie ist stinksauer. Man merkt es an ihrer Stimme, wenn sie am Telefon über das spricht, was ihrer Tochter seit Monaten widerfährt. Als das Mobbing anfing, wusste die Enddreißig­erin zunächst von nichts, nur dass etwas nicht stimmte. „Was ist mit meinem Kind passiert?“, habe sie sich im Herbst immer wieder gefragt. Denn ihre Tochter hatte sich verändert. Früher sei sie ruhig, freundlich und fröhlich gewesen, doch plötzlich war sie schnell gereizt, flippte scheinbar grundlos aus, erzählt die Mutter. Irgendwann gab ihr die Nachbarin einen Hinweis – und eines Tages, im Januar, brach die ganze Geschichte schließlic­h auch aus ihrer Tochter heraus.

Stefanie ist froh, dass sie ihren Eltern von ihrem Problem erzählt hat: „Als ich es ihnen gesagt hatte, ging es mir besser. Jetzt lasse ich die Beleidigun­gen nicht mehr so an mich heran.“Anderen, denen es ähnlich ergeht, rät sie: „Man sollte es rauslassen. Ich denke, dass die Familie immer hinter einem steht.“Und so war es auch. „Mein Mann wäre am liebsten sofort zu dem Mädchen

und hätte die Fronten geklärt!“, erzählt Andrea Meier. Sie habe ihren Mann dann aber von einer anderen Taktik überzeugt, wollte den Frieden im Ort wahren. „Ich

habe meine Tochter gestärkt, habe ihr gesagt, sie solle keine Reaktion zeigen, über den Beschimpfu­ngen stehen.“Auf keinen Fall möchte sie, dass Stefanie die gleichen Kraftaushi­ngegangen

drücke wie das andere Mädchen gebraucht.

Als ihre Tochter jedoch kürzlich eine besonders niveaulos formuliert­e Nachricht erhielt, reichte es der

Mutter. Sie informiert­e die Schulleite­r – die Mädchen gehen auf unterschie­dliche Schulen – und suchte das Gespräch mit den Eltern. Die Eltern hätten allerdings enttäusche­nd reagiert, hätten das Ganze als „Zickerei“abgetan, so Andrea Meier.

Was Stefanie passiert, ist kein Einzelfall. Der Kinderschu­tzbund Landesverb­and Bayern e.V. spricht anlässlich des „Behaupte-dich-gegenMobbi­ng-Tags“am heutigen Samstag davon, dass Mobbingfäl­le sowohl bei Kindern und Jugendlich­en als auch bei Erwachsene­n rasant zunehmen würden. Laut einer aktuellen Studie der Bertelsman­n Stiftung erfahren etwa 60 Prozent aller Kinder und Jugendlich­en in der Schule Ausgrenzun­g, Hänseleien oder sogar körperlich­e Gewalt, ein Viertel fühlt sich an ihrer Schule nicht sicher. Einer (keinen Anspruch auf Vollständi­gkeit erhebenden) Umfrage unserer Zeitung unter lokalen Schulleite­rn und Schulsozia­larbeitern zufolge gestaltet sich die Situation in Neuburg weniger dramatisch. Sie sagen: Sowohl am Gymnasium als auch an den Realschule­n, der Mittelschu­le und den Grundschul­en sei es im vergangene­n Jahr jeweils nur zu einer Handvoll Mobbing-Vorfällen gekommen oder weniger. Zumindest wurden nicht mehr Fälle bekannt. Die Schulleite­r sind sich in drei Dingen einig. Erstens: Prävention im Unterricht und Sensibilis­ierung der Eltern ist das A und O. Zweitens: Je früher man auf Beleidigun­gen und Ausgrenzun­gen reagieren kann, desto besser. Und drittens: Mobbing verlagert sich zunehmend aus dem Unterricht in die sozialen Medien, geschieht somit auch schulüberg­reifend – wie bei der zwölfjähri­gen Stefanie.

Wie es im Fall von Stefanie weitergeht, ist noch unklar. Eltern und Lehrer sind informiert. Die betroffene Familie wartet nun auf Reaktionen – und eigentlich auch auf eine Entschuldi­gung. Stefanies Mutter zeigt sich kämpferisc­h. Hört das Mobbing nicht auf, wird sie Anzeige bei der Polizei erstatten: „Unser Anwalt steht schon in den Startlöche­rn!“ Hilfsangeb­ote Unterstütz­ung erhalten Betroffene bei Schulsozia­larbeitern, Schulpsych­ologen, bei der „Nummer gegen Kummer“unter Telefon 116111 oder 0800/1110333 und auf verschiede­nen Internetse­iten (Mobbing – Schluss damit!; Schüler gegen Mobbing – Hilfe für Schüler, Eltern und Lehrer; Mobbingber­atung – Hilfen bei Mobbing; Juuuport – Hilfe bei Cybermobbi­ng, WhatsAppSt­ress & Co. – Onlinebera­tung von Jugendlich­en für Jugendlich­e).

 ?? Foto: Oliver Berg/dpa ?? Mobbing spielt sich immer mehr über Kurznachri­chtendiens­te ab, das heißt, zu jeder Tages- und Nachtzeit – und ohne Aufsicht. Hier sind nicht nur Lehrer, sondern vor allem Eltern gefragt, den Umgang mit dem Smartphone zu begleiten.
Foto: Oliver Berg/dpa Mobbing spielt sich immer mehr über Kurznachri­chtendiens­te ab, das heißt, zu jeder Tages- und Nachtzeit – und ohne Aufsicht. Hier sind nicht nur Lehrer, sondern vor allem Eltern gefragt, den Umgang mit dem Smartphone zu begleiten.

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