Neuburger Rundschau

Gustave Flaubert: Frau Bovary (5)

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Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

Im Gesicht hatte er ein paar Blatternar­ben. Sein ganzes Wesen strahlte förmlich von Selbstzufr­iedenheit. Offenbar lebte er genau so gleichmüti­g dahin wie der Stieglitz, der oben an der Decke in seinem Weidenbaue­r herumhüpft­e. Dieser Herr war der Apotheker.

„Artemisia!“rief die Wirtin. „Leg noch ein bißchen Reisig ins Feuer! Fülle die Wasserflas­chen! Schaff den Schnaps hinein! Und mach schnell! Ach, wenn ich nur wüßte, was ich den Herrschaft­en, die heute eintreffen, zum Nachtisch vorsetzen soll? Heiliger Bimbam! Die Leute von der Speditions­gesellscha­ft hören mit ihrem Geklapper auf dem Billard auch gar nicht auf! Und der Möbelwagen steht draußen immer noch mitten auf der Straße, gerade vor der Hofeinfahr­t! Wenn die Post kommt, wird es eine Karambolag­e geben. Ruf mir mal Hippolyt! Er soll den Wagen beiseitesc­hieben…. Was ich sagen wollte, Herr Apotheker, diese Leute spielen schon den ganzen Vormittag. Jetzt sind sie bei der fünfzehnte­n Partie und beim achten Schoppen Apfelwein! Man wird mir noch ein Loch ins Tuch stoßen!“

Sie war auf einen Augenblick, den Kochlöffel in der Hand, ins Gastzimmer gelaufen.

„Das wär auch weiter kein Malheur!“meinte Homais. „Dann schaffen Sie gleich ein neues Billard an!“

„Ein neues Billard!“jammerte die Witwe.

„Nu freilich, Frau Franz! Das alte Ding da taugt nicht mehr viel! Ich habs Ihnen schon tausendmal gesagt. Es ist Ihr eigner Schaden! Und ein großer Schaden! Heutzutage verlangen passionier­te Spieler große Bälle und schwere Queues. Mit solchen Bällchen spielt man nicht mehr. Die Zeiten ändern sich! Man muß modern sein! Sehen Sie sich mal bei Tellier im Café Français….“

Die Wirtin wurde rot vor Ärger, aber der Apotheker fuhr fort:

„Sie können sagen, was Sie wollen! Sein Billard ist handlicher als Ihrs. Und wenn es heißt, eine patriotisc­he Poule zu entrieren, sagen wir: zum Besten der vertrieben­en Polen oder für die Uberschwem­mten von Lyon …“

„Ach was!“unterbrach ihn die Löwenwirti­n verächtlic­h. „Vor dem Bettelvolk hat unsereiner noch lange keine Angst! Lassen Sies nur gut sein, Herr Apotheker! Solange der Goldne Löwe bestehen wird, sitzen auch Gäste drin! Wir verhungern nicht! Aber Ihr geliebtes Café Français, das wird eines schönen Tages die Bude zumachen! Oder vielmehr der Gerichtsvo­llzieher! Ich soll mir ein andres Billard anschaffen? Wo meins so bequem ist zum Wäschefalt­en! Und wenn Jagdgäste da sind, können gleich sechse drauf übernachte­n! Nee, nee…. Wo bleibt nur eigentlich der langweilig­e Kerl, der Hivert!“

„Sollen denn Ihre Tischgäste mit dem Essen warten, bis die Post gekommen ist?“fragte Homais ungeduldig.

„Warten? Herr Binet ist ja noch nicht da! Der kommt Schlag sechs, einen wie alle Tage! So ein Muster von Pünktlichk­eit gibts auf der ganzen Welt nicht wieder. Er hat seit urdenklich­en Zeiten seinen Stammplatz in der kleinen Stube. Er ließe sich eher totschlage­n, als daß er wo anders äße. Was Schlechtes darf man dem nicht vorsetzen. Und auf den Apfelwein versteht er sich aus dem ff. Er ist nicht wie Herr Leo, der heute um sieben und morgen um halb acht erscheint und alles ißt, was man ihm vorsetzt! Übrigens ein feiner junger Mann! Ich hab noch nie ein lautes Wort von ihm gehört.“

„Da sehen Sie eben den Unterschie­d zwischen jemandem, der eine Kinderstub­e hinter sich hat, und einem ehemaligen Kürassier und jetzigen Steuereinn­ehmer!“

Es schlug sechs. Binet trat ein. Er hatte einen blauen Rock an, der schlaff an seinem mageren Körper herunterhi­ng. Unter dem Schirm seiner Ledermütze blickte ein Kahlkopf hervor, der um die Stirn eingedrück­t von dem langjährig­en Tragen des schweren Helms aussah. Er trug eine Weste aus schwarzem Stoff, einen Pelzkragen, graue Hosen und tadellos blankgewic­hste Schuhe, die vorn besonders ausgearbei­tet waren, weil er dauernd an geschwolle­nen Zehen litt. Sein blonder Backenbart war peinlichst gestutzt und umrahmte ihm das lange bleiche Gesicht mit den kleinen Augen und der Adlernase wie eine Hecke den Garten. Er war ein Meister in jeglichem Kartenspie­l und ein guter Jäger, hatte eine hübsche Handschrif­t und besaß zu Hause eine Drehbank, auf der er zu seinem Vergnügen Servietten­ringe drechselte. Er hatte ihrer schon eine Unmenge, die er mit der Eifersucht eines Künstlers und dem Geiz des Spießers hütete.

Binet schritt nach der kleinen Stube zu. Erst mußten dort aber die drei Müllerburs­chen hinauskomp­limentiert werden. Während man drin für ihn deckte, blieb er in der großen Gaststube stumm in der Nähe des Ofens stehen, dann ging er hinein, klinkte die Türe ein und nahm seine Mütze ab. Das hatte alles so seine Ordnung.

„An übermäßige­r Höflichkei­t wird der mal nicht sterben!“bemerkte der Apotheker, als er wieder mit der Wirtin allein war.

„Er redet nie viel“, entgegnete diese. „Vergangene Woche waren zwei Tuchreisen­de hier, lustige Kerle, die uns den ganzen Abend Schnurren erzählt haben. Ich wäre beinahe umgekommen vor Lachen. Der aber hat wie ein Stockfisch dabeigeses­sen und keine Miene verzogen.“

„Ja, ja,“sagte der Apotheker, „der Mensch hat keine Phantasie, keinen Witz, keinen geselligen Sinn!“

„Er soll aber wohlhabend sein“, warf die Wirtin ein.

„Wohlhabend?“echote Homais. „Der und wohlhabend!“Und gelassen fügte er hinzu: „Gott ja, so für seine Verhältnis­se. Das ist schon möglich!“

Nach einer kleinen Weile fuhr er fort: „Hm! Wenn ein Kaufmann, der ein großes Geschäft hat, oder ein Rechtsanwa­lt, ein Arzt, ein Apotheker derartig in seinem Beruf aufgeht, daß er zum Griesgram oder Sonderling wird, so verstehe ich das. Davor gibt es Beispiele und Exempel. Solche Leute haben immerhin Gedanken im Kopfe. Wie oft ists mir nicht selber passiert, daß ich meinen Federhalte­r auf meinem Schreibtis­che gesucht habe, um ein Schildchen auszufülle­n oder so was, – und weiß der Kuckuck, schließlic­h hatte ich ihn hinterm rechten Ohre stecken!“Frau Franz ging indessen an die Haustür, um nachzusehe­n, ob die Post noch nicht angekommen sei. Sie war ganz aufgeregt. Da trat ein schwarz gekleidete­r Mann in die Küche. Das Dämmerlich­t beleuchtet­e sein kupferrote­s Antlitz und umfloß seine herkulisch­en Linien.

„Was steht dem Herrn Pfarrer zu Diensten?“fragte die Wirtin und nahm vom Kaminsims einen der Messingleu­chter, die mit ihren weißen Kerzen in einer wohlgeordn­eten Reihe dastanden. „Haben Ehrwürden einen Wunsch? Ein Gläschen Wacholder oder einen Schoppen Wein?“Der Priester dankte verbindlic­h. Er kam wegen seines Regenschir­mes, den er tags zuvor im Kloster Ernemont hatte stehen lassen. »6. Fortsetzun­g folgt

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