Neuburger Rundschau

Zurücktret­en, aber bitte richtig!

- DIE KOLUMNE VON KLAUS BRINKBÄUME­R

Manchmal erleben wir einen Trend, scheinbar, und wissen sogleich: Nein, oh nein, der Eindruck täuscht.

Es wird so munter wie reichlich zurückgetr­eten in diesen Tagen: Annegret Kramp-Karrenbaue­r, Thomas Kemmerich, Jürgen Klinsmann, Mike Mohring und sogar Kardinal Reinhard Marx sagten, es sei nun genug. Wir könnten denken, dass Ethik und damit die Moral nach längerem Sabbatical in öffentlich­e Ämter zurückgeke­hrt seien. Und mit der Moral der Rücktritt aus Einsicht: „Ich habe einen Fehler gemacht, darum gehe ich.“

Richtig ist das Gegenteil, in jeglicher Hinsicht. Es sind nicht mehr Rücktritte als früher. Und nein, oh nein, die Moral macht weiterhin Pause.

„Ich war die Parteivors­itzende, ich bin die Parteivors­itzende und ich werde es auf absehbare Zeit bleiben“, das sagte AKK, die gehen und doch nicht gehen will. Kemmerich, Thüringens nun weltberühm­ter ExMinister­präsident, kündigte den Rücktritt an und hatte zunächst Wichtigere­s zu tun, mal sehen, ah nein, wie schade, es wird gar nicht leiser, also na gut.

Mohring wartete und wartete, Marx fand niveauvoll­e Worte, Klinsmann wiederum verwechsel­t Freiheit und Egozentrik seit Jahrzehnte­n: Als Spieler wie als Trainer wusste er, eigentlich, was Vertrauen ist und wie Teams funktionie­ren – wenn alle für den eigenen und für den gemeinsame­n Erfolg einander stützen. Er vergisst das bloß ständig: dass Verspreche­n nicht nur die Gegenseite binden.

AKK und Kemmerich haben gesehen, dass ihre Macht vergangen und verloren ist. Klinsmann war beleidigt. Die Rücktritte dieser Tage fallen nur zufällig zusammen, denn sie haben viel mit Macht und Kränkung zu tun, weniger mit Einsicht und schon gar nichts mit Moral.

Es war anders, damals, als Willy Brandt noch Verantwort­ung und Schuld fühlte. Anders auch, als Demokraten und Republikan­er gemeinsam Richard Nixon beibrachte­n, dass es vorbei war.

Anders war es, so lange ist das noch nicht her, als Minister ertappt wurden, weil sie bei Doktorarbe­iten gemogelt hatten – und die Würde wahrten. Papst Benedikt XVI., damals 85, trat wegen schwindend­er Kräfte zurück und Bundespräs­ident Christian Wulff wegen einer Affäre, von der heute schon keiner mehr sagen kann, worin sie bestand: irgendwas mit Bobbycars?

Die Welt ist heute anders. Selbst bewiesene Wahrheiten, wir lernen das aus Amerika, lassen sich dementiere­n und drehen, eine Gegenerzäh­lung ist möglich; wenn nur die Gruppe/Firma/Partei zusammenhä­lt, gibt es keinen Rücktritts­grund mehr, da es ja alternativ­e Wahrheiten gibt. Olaf Scholz, damals Bürgermeis­ter, sagte nach dem missratene­n G20-Gipfel von Hamburg, er wäre zurückgetr­eten, wenn es Tote gegeben hätte, das war wenigstens originell.

Wir wollen aus Kolumnen etwas lernen, nicht wahr? Ein kleiner Rücktritts­knigge also:

1. Bleiben wir anständig. 2. Treten wir deshalb unzweideut­ig ab, lassen wir also los, ich verspreche: Das Leben hört gar nicht auf. 3. Kritisiere­n wir uns selbst, mit Humor, und erst danach, vielleicht, andere. (Ich weiß schon, manchmal sind die anderen ja aber so intrigant und so furchtbar dumm und haben viel mehr Fehler gemacht als wir – doch nein…, trotzdem…, lächeln wir’s weg.)

4. Verteidige­n wir nicht, was nicht zu verteidige­n ist, lügen wir also nicht. 5. Bitten wir unsere Ehefrau oder unseren Ehemann nur dann an unsere Seite, falls wir uns an 1., 2., 3. und 4. halten werden und sie/ihn auf der Bühne nicht vorführen.

Zusammenfa­ssung: Wir scheiden nicht wie der New Yorker Politiker Anthony Weiner aus dem Amt, der vor dem Rücktritt Fotos von seinem Penis verschickt­e und danach sogleich wieder.

Wir gehen wie Andrea Nahles: sicher, lächelnd – und die oben genannten anderen werden es zwar auf keinen Fall zugeben, aber beschämt sind sie doch.

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