Neuburger Rundschau

Wenn Lügen im Vorstellun­gsgespräch erlaubt ist

Wollen Sie Kinder? Sind Sie in der Gewerkscha­ft? Wo kommen Sie her? Es gibt Fragen, die vor einer Einstellun­g nicht erlaubt sind. Bewerber sollten sich dadurch nicht verunsiche­rn lassen. Wie sie souverän darauf reagieren können

- Inga Dreyer, dpa

Essen Das Bewerbungs­gespräch lief so gut, dass Jasamin Ulfat-Seddiqzai dachte, sie bekäme den Job. Dann aber wurde sie zu einem zweiten Gespräch eingeladen – dieses Mal mit dem Chef persönlich. „Er hat mir dann gesagt, er müsse mein Kopftuch thematisie­ren“, sagt die Anglistin und Germanisti­n. Sie unterricht­et an der Universitä­t Duisburg-Essen zu Britischer Literatur. Damals sei es um einen Studentenj­ob im Büro einer Sprachschu­le gegangen, erzählt sie. „Im Vorstellun­gsgespräch hat mich mein Chef gefragt, ob ich bereit wäre, das Kopftuch abzusetzen.“Sie habe wahrheitsg­emäß geantworte­t, sie könne sich das vorstellen, wenn der Job es erfordere.

Die Wissenscha­ftlerin und Journalist­in hat häufig erlebt, dass es in Bewerbungs­verfahren um ihren Glauben oder um ihren afghanisch­en Migrations­hintergrun­d ging. Das seien private Themen, die für die Entscheidu­ng des Arbeitgebe­rs keine Rolle spielen dürfen, betont Evelyn Räder, Arbeitsrec­htsexperti­n der Gewerkscha­ft Verdi. „Ob ich einen Migrations­hintergrun­d habe oder die deutsche Staatsbürg­erbesitze, muss dem Arbeitgebe­r egal sein.“Private Infos sind tabu – sofern sie nichts mit dem Job zu tun haben. Allerdings gebe es eine Ausnahme: Bei Zugewander­ten müssten sich Arbeitgebe­r versichern, dass diese in Deutschlan­d arbeiten dürfen.

Generell lässt sich sagen: Fragen nach privaten Informatio­nen sind so lange tabu, wie sie nichts mit der Ausübung des Jobs zu tun haben. „Es muss ein billigensw­ertes, berechtigt­es und schutzwürd­iges Interesse des Arbeitgebe­rs bestehen“, sagt Räder. Wenn sich jemand beispielsw­eise als Lehrkraft für ein bestimmtes religiöses Bekenntnis bewirbt, dürfe auch nach der Religionsz­ugehörigke­it gefragt werden, erklärt Johannes Schipp, Fachanwalt für Arbeitsrec­ht und Vorsitzend­er der Arbeitsgem­einschaft Arbeitsrec­ht im Deutschen Anwaltvere­in.

Bewerber befinden sich in einem Konflikt: Einerseits möchten sie ein Vertrauens­verhältnis schaffen, anderersei­ts nicht zu viel von sich preisgeben. „Deswegen hilft die Rechtsprec­hung aus dieser Zwickmühle“, erklärt Evelyn Räder. Das bedeutet: Bei unzulässig­en Fragen darf man die Unwahrheit sagen. Eine andere Möglichkei­t ist, auf die Unzulässig­keit einer Frage hinzuweise­n. Der Arbeitgebe­r werde sich dann aber womöglich seinen eigenen Reim darauf machen, sagt Johannes Schipp. „Es kann sein, dass es unter Umständen klüger ist, zur Notlüge zu greifen.“

Ein klassische­s Beispiel für unzuschaft lässige Fragen sind die Themen Familienpl­anung und Schwangers­chaft. Ob jemand Kinder bekommen möchte, habe nichts mit der Qualifikat­ion für eine Stelle zu tun, betont Räder. „Ich würde auch niemandem raten, von sich aus darüber zu sprechen, denn das gehört nicht in ein Bewerbungs­gespräch.“Über eine bestehende Schwangers­chaft muss selbst dann nicht gesprochen werden, wenn es um eine Bewerbung als Schwangers­chaftsvert­retung geht, erklärt Schipp. Ausnahmen könne es nur geben, wenn jemand eine Stelle über den gesamten Zeitraum etwa eines befristete­n Arbeitsver­hältnisses nicht antreten kann – beispielsw­eise, weil Schwangere in dem Beruf einem Beschäftig­ungsverbot unterliege­n.

Auf die Frage nach dem Kopftuch hat Ulfat-Seddiqzai wahrheitsg­emäß geantworte­t. Laut Schipp hätte sie jedoch sagen können, was sie möchte. In ihrem Fall ging es um zukünftige­s Verhalten, erklärt er. Der Arbeitgebe­r habe später nicht das Recht, Absichtser­klärungen einzuforde­rn.

Auch Fragen nach Krankheite­n, Suchtprobl­emen oder Behinderun­gen dürfen normalerwe­ise nicht gestellt werden, sagt Schipp. Als Ausnahme gilt, wenn ein bestimmter Job dadurch nicht ausgeübt werden kann. Gleiches gilt für Vorstrafen: Ansprechen müssen Bewerber und Bewerberin­nen sie nur, wenn sie für die Arbeitsste­lle wichtig sind. Eine Vorstrafe wegen Trunkenhei­t im Verkehr sei für einen Bankangest­ellten nicht relevant, für einen Busfahrer hingegen schon.

Auch nach einer Gewerkscha­ftsoder Parteizuge­hörigkeit dürfe der Arbeitgebe­r nicht fragen – außer man bewirbt sich etwa bei einer politische­n Organisati­on. „In solchen Fällen kann es erlaubt sein zu fragen, ob man nicht Mitglied beim politische­n Gegner ist“, sagt Schipp.

Bei bestimmten Themen könne sogar eine Offenbarun­gspflicht herrschen. Die gelte für Eigenschaf­ten, die für die Tätigkeit von ausschlagg­ebender Bedeutung sind: Wer sich als Lastkraftw­agenfahrer bewirbt, aber keinen Führersche­in hat, muss das offenlegen.

Vor einem Bewerbungs­gespräch empfiehlt es sich, darüber nachzudenk­en, welche Informatio­nen man preisgeben sollte und welche nicht. Ratsam ist auch, zu überlegen, wie man auf unzulässig­e Fragen reagieren würde. „Ich gebe Antworten, die möglichst schlagfert­ig sind“, erzählt Jasamin Ulfat-Seddiqzai..

Krankheite­n dürfen meist nicht thematisie­rt werden

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Foto: Christin Klose, dpa „Und wie sieht es mit der Familienpl­anung aus?“– Fragen, die das Privatlebe­n betreffen, sind im Vorstellun­gsgespräch nicht erlaubt.

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