Ein Debakel für die Reformer im Iran
Wählen als religiöse Pflicht? Der Triumph der Hardliner kommt nicht überraschend. Neue, gewalttätige Konflikte sind damit programmiert
Ein Erdrutschsieg der Hardliner und die niedrigste Wahlbeteiligung seit der Revolution von 1979 sind die wichtigsten Resultate der Parlamentswahlen im Iran. Obwohl das Parlament in der Außenpolitik des Landes an sich keine große Rolle spielt, wird beides spürbare Folgen für das künftige Verhältnis zwischen der Islamischen Republik und dem Rest der Welt haben. Der Iran dürfte noch unberechenbarer werden – und die Lage in Nahost noch gefährlicher.
Die Hardliner haben offenbar eine große Mehrheit im Parlament erobert und könnten mit dem ehemaligen Revolutionsgardisten und früheren Bürgermeister von Teheran, Mohammed Bagher Ghalibaf, den neuen Parlamentspräsidenten stellen. Die Reformer erlebten ein Debakel. Bei der letzten Wahl 2016 hatten sie alle 30 Parlamentssitze für Teheran erobert – diesmal konnten sie nach einigen Berichten kein einziges der Mandate in der Hauptstadt verteidigen. Da der konservative Wächterrat rund 75 Prozent der Moderaten von einer Parlamentskandidatur ausgeschlossen hatte, war der klare Sieg der Hardliner zu erwarten: Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei, der als starker Mann im Land den Wächterrat kontrolliert, wollte sicherstellen, dass seine Anhänger den Sieg erringen. Er hat bekommen, was er wollte.
Nun werden sich Chameini-Gefolgsleute und andere Hardliner für die Vollendung der Machtübernahme bei der Präsidentenwahl im nächsten Jahr warmlaufen. Der Reformer Hassan Ruhani wird in seinem letzten Jahr im Präsidentenamt zur lahmen Ente mit stark eingeschränktem Gestaltungsspielraum. Er ist gescheitert. Seine Regierung hatte auf einen Wirtschaftsaufschwung gesetzt, weil das von ihr unterzeichnete Atomabkommen von 2015 vorsah, dass die westlichen Sanktionen abgebaut würden. Doch der Aufschwung blieb aus, unter anderem, weil US-Präsident Donald Trump sich aus dem Abkommen verabschiedete und neue Sanktionen gegen den Iran verhängte. Das Wahlergebnis markiert nun das endgültige Aus für die internationalen Bemühungen, den Iran durch das Versprechen wirtschaftlicher Vorteile zu einer gemäßigteren Politik zu bewegen.
Viele Wähler waren nicht nur von Ruhanis Scheitern in der Wirtschaftspolitik enttäuscht, sondern auch frustriert davon, dass Korruption, Misswirtschaft und Repression in ihrem Land schlimmer statt besser werden. Deshalb blieben viele am Wahltag zu Hause, obwohl Chamenei die Stimmabgabe zur religiösen Pflicht erklärt hatte. Der Wahlboykott vieler Iraner ist deshalb auch eine Ohrfeige für den Revolutionsführer. Eine andere Politik ist von dem 80-Jährigen aber nicht mehr zu erwarten. So wird sich die innere Krise der Islamischen Republik verschärfen, weil sich immer mehr Menschen vom System abwenden und das Regime unter Chamenei verstärkt auf Repression setzen dürfte.
Das brutale Niederschlagen der Benzinpreis-Proteste im vergangenen Jahr und der Versuch, die Schuld der Revolutionsgarde am Abschuss des ukrainischen Flugzeugs im Januar zu vertuschen, haben die Richtung angezeigt. Die Iraner werden wieder auf die Straße gehen, weil auch die Hardliner mit ihrer Mehrheit im Parlament nichts gegen die Wirtschaftskrise ausrichten können. Die Führung wird wieder mit Gewalt antworten.
Dieser Trend dürfte die IranGegner in der US-Regierung in ihrem Glauben bestärken, dass ein Regimewechsel in Teheran möglich wird, wenn der Druck nur hoch genug ist – und die iranische Reaktion darauf wird noch heftiger ausfallen. Damit droht im Nahen Osten genau jene Eskalation, die vor fünf Jahren durch den Atomvertrag verhindert werden sollte.
Die Lage im Nahen Osten spitzt sich zu