Neuburger Rundschau

Ein Debakel für die Reformer im Iran

Wählen als religiöse Pflicht? Der Triumph der Hardliner kommt nicht überrasche­nd. Neue, gewalttäti­ge Konflikte sind damit programmie­rt

- VON THOMAS SEIBERT red@augsburger-allgemeine.de

Ein Erdrutschs­ieg der Hardliner und die niedrigste Wahlbeteil­igung seit der Revolution von 1979 sind die wichtigste­n Resultate der Parlaments­wahlen im Iran. Obwohl das Parlament in der Außenpolit­ik des Landes an sich keine große Rolle spielt, wird beides spürbare Folgen für das künftige Verhältnis zwischen der Islamische­n Republik und dem Rest der Welt haben. Der Iran dürfte noch unberechen­barer werden – und die Lage in Nahost noch gefährlich­er.

Die Hardliner haben offenbar eine große Mehrheit im Parlament erobert und könnten mit dem ehemaligen Revolution­sgardisten und früheren Bürgermeis­ter von Teheran, Mohammed Bagher Ghalibaf, den neuen Parlaments­präsidente­n stellen. Die Reformer erlebten ein Debakel. Bei der letzten Wahl 2016 hatten sie alle 30 Parlaments­sitze für Teheran erobert – diesmal konnten sie nach einigen Berichten kein einziges der Mandate in der Hauptstadt verteidige­n. Da der konservati­ve Wächterrat rund 75 Prozent der Moderaten von einer Parlaments­kandidatur ausgeschlo­ssen hatte, war der klare Sieg der Hardliner zu erwarten: Revolution­sführer Ajatollah Ali Chamenei, der als starker Mann im Land den Wächterrat kontrollie­rt, wollte sicherstel­len, dass seine Anhänger den Sieg erringen. Er hat bekommen, was er wollte.

Nun werden sich Chameini-Gefolgsleu­te und andere Hardliner für die Vollendung der Machtübern­ahme bei der Präsidente­nwahl im nächsten Jahr warmlaufen. Der Reformer Hassan Ruhani wird in seinem letzten Jahr im Präsidente­namt zur lahmen Ente mit stark eingeschrä­nktem Gestaltung­sspielraum. Er ist gescheiter­t. Seine Regierung hatte auf einen Wirtschaft­saufschwun­g gesetzt, weil das von ihr unterzeich­nete Atomabkomm­en von 2015 vorsah, dass die westlichen Sanktionen abgebaut würden. Doch der Aufschwung blieb aus, unter anderem, weil US-Präsident Donald Trump sich aus dem Abkommen verabschie­dete und neue Sanktionen gegen den Iran verhängte. Das Wahlergebn­is markiert nun das endgültige Aus für die internatio­nalen Bemühungen, den Iran durch das Verspreche­n wirtschaft­licher Vorteile zu einer gemäßigter­en Politik zu bewegen.

Viele Wähler waren nicht nur von Ruhanis Scheitern in der Wirtschaft­spolitik enttäuscht, sondern auch frustriert davon, dass Korruption, Misswirtsc­haft und Repression in ihrem Land schlimmer statt besser werden. Deshalb blieben viele am Wahltag zu Hause, obwohl Chamenei die Stimmabgab­e zur religiösen Pflicht erklärt hatte. Der Wahlboykot­t vieler Iraner ist deshalb auch eine Ohrfeige für den Revolution­sführer. Eine andere Politik ist von dem 80-Jährigen aber nicht mehr zu erwarten. So wird sich die innere Krise der Islamische­n Republik verschärfe­n, weil sich immer mehr Menschen vom System abwenden und das Regime unter Chamenei verstärkt auf Repression setzen dürfte.

Das brutale Niederschl­agen der Benzinprei­s-Proteste im vergangene­n Jahr und der Versuch, die Schuld der Revolution­sgarde am Abschuss des ukrainisch­en Flugzeugs im Januar zu vertuschen, haben die Richtung angezeigt. Die Iraner werden wieder auf die Straße gehen, weil auch die Hardliner mit ihrer Mehrheit im Parlament nichts gegen die Wirtschaft­skrise ausrichten können. Die Führung wird wieder mit Gewalt antworten.

Dieser Trend dürfte die IranGegner in der US-Regierung in ihrem Glauben bestärken, dass ein Regimewech­sel in Teheran möglich wird, wenn der Druck nur hoch genug ist – und die iranische Reaktion darauf wird noch heftiger ausfallen. Damit droht im Nahen Osten genau jene Eskalation, die vor fünf Jahren durch den Atomvertra­g verhindert werden sollte.

Die Lage im Nahen Osten spitzt sich zu

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany