Neuburger Rundschau

Debakel in Thüringen, Debakel in Hamburg

Die CDU gerät immer tiefer in die Krise: Die Landtagswa­hl in der Hansestadt beschert ihr ein historisch schlechtes Ergebnis. Doch die tiefen Probleme sind ungelöst: Die Führungsfr­age der Partei und ein Weg aus der Katastroph­e in Erfurt

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin/Hamburg Das magere Ergebnis in Hamburg ist das kleinere Problem der CDU in diesen Tagen. In der Hansestadt holten die Christdemo­kraten laut den vorläufige­r Auszählung nur elf Prozent der Stimmen. Ihr historisch schlechtes­tes Ergebnis und die Verluste in Hamburg sind für die CDU eine kleine Katastroph­e. Eine möglicherw­eise noch größere Katastroph­e für das Innenleben der CDU bahnt sich in Thüringen an. Wider den bestehende­n Beschluss der Bundespart­ei wollen Teile der Thüringer CDU-Landtagsfr­aktion nun doch Bodo Ramelow von der Linksparte­i zum Ministerpr­äsidenten wählen.

Für die Christdemo­kraten ist es eine weitere Zerreißpro­be: Nach dem Tabubruch von Erfurt, als die CDU mit der AfD einen FDP-Mann zum Ministerpr­äsidenten wählte, streitet die Partei nun über die Unterstütz­ung der Linken. Die Thüringer CDU-Abgeordnet­en wollen unbedingt Neuwahlen verhindern, weil ihre Landespart­ei schwere Verluste fürchten muss. Den Preis, den die Partei dafür zahlt, ist sehr hoch: Annegret Kramp-Karrenbaue­r stürzte über das Fiasko von Erfurt, genauso wie Landeschef Mike Mohring. Die CDU ist in dieser prekären Lage ohne Führung. Das Debakel der Christdemo­kraten in Hamburg scheint eine weitere Folge der Thüringer CDU-Achterbahn­fahrt.

Ob es besser wird, wenn sich schließlic­h einer der vier Bewerber auf den Vorsitz durchgeset­zt hat, ist offen. Denn alle vier kommen aus dem tiefen Westen der Republik, aus Nordrhein-Westfalen. Der seit der Gründung der Bundesrepu­blik eingeimpft­e Anti-Kommunismu­s funktionie­rt immer noch wie ein Reflex, wenn es gegen die Nachfolger der SED geht, auch wenn die Mauer vor 30 Jahren gefallen ist.

Im Osten der Republik haben sich die Verhältnis­se aber mittlerwei­le derart gewandelt, dass der Reflex zur wirkungslo­sen Abwehrreak­tion verkümmert. Bleibt die CDU dabei, auf keinen Fall mit der Linksparte­i zusammenzu­arbeiten, fehlen ihr Machtoptio­nen, wenn die AfD glaubhaft an den Rand gedrückt werden soll. Im Zweifel verursacht die Partei, die immer das Wohl des Landes vor das der Partei stellen wollte, einen regierungs­losen Schwebezus­tand wie in Erfurt.

Der künftige CDU-Chef muss also eine Antwort geben auf dieses strategisc­he Dilemma, denn Verhältnis­se wie in Thüringen drohen überall in Ostdeutsch­land. Die Hamburg-Wahl legte ein weiteres Problem der Partei offen. Spitzenkan­didat Marcus Weinberg hatte es bereits vor der Wahl benannt. In den großen Städten ist die CDU zu einer kleinen Partei geschrumpf­t. „Wir haben hier in Hamburg momentan keine guten Ergebnisse, seit einigen Jahren nicht.“Darüber müsse man sprechen und sich fragen, ob die Partei überhaupt noch in den Großstädte­n verankert sei.

Das sei ein Thema für die gesamte CDU „und das machen wir dann in größerem Rahmen“, kündigte

Weinberg vorsorglic­h an. An ihm hat es nicht gelegen. Der Spitzenkan­didat war vergleichs­weise spät, im März 2019, nominiert worden, und das auch erst, nachdem zwei weitere Aspiranten aus Krankheits­gründen zurückgezo­gen hatten. Im Wahlkampf wirkte er trotz einer ziemlich aussichtsl­osen Position aber keineswegs wie ein Ersatzmann. Weinberg hängte sich vielmehr voll rein. Was beim Wahlvolk dabei gut ankam: Der CDU-Politiker gehört seit 15 Jahren dem Bundestag an, sein Mandat will er nach der Bürgerscha­ftswahl aufgeben und sich der Landespoli­tik widmen.

Die CDU befindet sich in einer doppelt delikaten Lage, die der neue Parteichef in den Griff bekommen muss. Am Montag geht es im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin darum, wie der Neue gekrönt wird. Am Morgen tritt das Präsidium zusammen, am Vormittag versammelt sich der Bundesvors­tand. Doch die Analyse der Wahl in Hamburg ist Nebensache. Wichtiger ist die Kür des künftigen Vorsitzend­en.

Ob die Parteiführ­ung nach ihrem Treffen bereits einen konkreten Fahrplan vorgeben wird, war bis zuletzt offen. Fest steht nur, dass Kramp-Karrenbaue­r „als NochPartei­vorsitzend­e das Verfahren weiter von vorne führen“und „zu gegebener Zeit konkrete Schritte einleiten“wird, wie es aus der Parteizent­rale hieß. Diese Schritte sollen am Ende zu einem Parteitag und der Wahl eines neuen Chefs führen.

Wann dieser Parteitag stattfinde­t, ist noch völlig offen. AKK stimmt sich über das Verfahren nicht nur mit ihrer Partei, sondern auch mit CSU-Chef Markus Söder ab. Beide stehen in einem engen Austausch, nach Angaben aus Parteikrei­sen vereinbart­en beide bei einem Treffen die Abhaltung einer gemeinsame­n Präsidiums­sitzung von CDU und CSU. Ein Termin dafür steht demnach noch nicht fest.

Mit Armin Laschet, Friedrich Merz, Jens Spahn und Norbert Röttgen steht ein Quartett bereit, ihr im Amt zu folgen. Mit allen vier führte die Noch-Chefin die Woche über Gespräche, es wurde Vertraulic­hkeit vereinbart und auch eingehalte­n. Es deutet sich aber an, dass Kramp-Karrenbaue­r mit der Vorsitzend­en-Wahl nicht bis zum regulären Parteitag Anfang Dezember warten wird. Wahrschein­licher ist ein Sonderpart­eitag vor der Sommerpaus­e, vermutlich im Mai oder spätestens im Juni, wie es Röttgen bereits gefordert hat. Seine zweite Forderung ist ein Mitglieder­entscheid. Die Beschlussl­age der CDU sieht das allerdings ausdrückli­ch nicht vor. Zumal der nordrheinw­estfälisch­e Ministerpr­äsident Laschet zusammen mit Gesundheit­sminister Spahn für eine Teamlösung wirbt, die den Rahmen eines Mitglieder­entscheids sprengen würde.

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Foto: Franck, Imago Images Thüringer Dilemma auch im Hamburger CDU-Wahlkampf: Plakat von Spitzenkan­didat Marco Weinberg.

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