Debakel in Thüringen, Debakel in Hamburg
Die CDU gerät immer tiefer in die Krise: Die Landtagswahl in der Hansestadt beschert ihr ein historisch schlechtes Ergebnis. Doch die tiefen Probleme sind ungelöst: Die Führungsfrage der Partei und ein Weg aus der Katastrophe in Erfurt
Berlin/Hamburg Das magere Ergebnis in Hamburg ist das kleinere Problem der CDU in diesen Tagen. In der Hansestadt holten die Christdemokraten laut den vorläufiger Auszählung nur elf Prozent der Stimmen. Ihr historisch schlechtestes Ergebnis und die Verluste in Hamburg sind für die CDU eine kleine Katastrophe. Eine möglicherweise noch größere Katastrophe für das Innenleben der CDU bahnt sich in Thüringen an. Wider den bestehenden Beschluss der Bundespartei wollen Teile der Thüringer CDU-Landtagsfraktion nun doch Bodo Ramelow von der Linkspartei zum Ministerpräsidenten wählen.
Für die Christdemokraten ist es eine weitere Zerreißprobe: Nach dem Tabubruch von Erfurt, als die CDU mit der AfD einen FDP-Mann zum Ministerpräsidenten wählte, streitet die Partei nun über die Unterstützung der Linken. Die Thüringer CDU-Abgeordneten wollen unbedingt Neuwahlen verhindern, weil ihre Landespartei schwere Verluste fürchten muss. Den Preis, den die Partei dafür zahlt, ist sehr hoch: Annegret Kramp-Karrenbauer stürzte über das Fiasko von Erfurt, genauso wie Landeschef Mike Mohring. Die CDU ist in dieser prekären Lage ohne Führung. Das Debakel der Christdemokraten in Hamburg scheint eine weitere Folge der Thüringer CDU-Achterbahnfahrt.
Ob es besser wird, wenn sich schließlich einer der vier Bewerber auf den Vorsitz durchgesetzt hat, ist offen. Denn alle vier kommen aus dem tiefen Westen der Republik, aus Nordrhein-Westfalen. Der seit der Gründung der Bundesrepublik eingeimpfte Anti-Kommunismus funktioniert immer noch wie ein Reflex, wenn es gegen die Nachfolger der SED geht, auch wenn die Mauer vor 30 Jahren gefallen ist.
Im Osten der Republik haben sich die Verhältnisse aber mittlerweile derart gewandelt, dass der Reflex zur wirkungslosen Abwehrreaktion verkümmert. Bleibt die CDU dabei, auf keinen Fall mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten, fehlen ihr Machtoptionen, wenn die AfD glaubhaft an den Rand gedrückt werden soll. Im Zweifel verursacht die Partei, die immer das Wohl des Landes vor das der Partei stellen wollte, einen regierungslosen Schwebezustand wie in Erfurt.
Der künftige CDU-Chef muss also eine Antwort geben auf dieses strategische Dilemma, denn Verhältnisse wie in Thüringen drohen überall in Ostdeutschland. Die Hamburg-Wahl legte ein weiteres Problem der Partei offen. Spitzenkandidat Marcus Weinberg hatte es bereits vor der Wahl benannt. In den großen Städten ist die CDU zu einer kleinen Partei geschrumpft. „Wir haben hier in Hamburg momentan keine guten Ergebnisse, seit einigen Jahren nicht.“Darüber müsse man sprechen und sich fragen, ob die Partei überhaupt noch in den Großstädten verankert sei.
Das sei ein Thema für die gesamte CDU „und das machen wir dann in größerem Rahmen“, kündigte
Weinberg vorsorglich an. An ihm hat es nicht gelegen. Der Spitzenkandidat war vergleichsweise spät, im März 2019, nominiert worden, und das auch erst, nachdem zwei weitere Aspiranten aus Krankheitsgründen zurückgezogen hatten. Im Wahlkampf wirkte er trotz einer ziemlich aussichtslosen Position aber keineswegs wie ein Ersatzmann. Weinberg hängte sich vielmehr voll rein. Was beim Wahlvolk dabei gut ankam: Der CDU-Politiker gehört seit 15 Jahren dem Bundestag an, sein Mandat will er nach der Bürgerschaftswahl aufgeben und sich der Landespolitik widmen.
Die CDU befindet sich in einer doppelt delikaten Lage, die der neue Parteichef in den Griff bekommen muss. Am Montag geht es im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin darum, wie der Neue gekrönt wird. Am Morgen tritt das Präsidium zusammen, am Vormittag versammelt sich der Bundesvorstand. Doch die Analyse der Wahl in Hamburg ist Nebensache. Wichtiger ist die Kür des künftigen Vorsitzenden.
Ob die Parteiführung nach ihrem Treffen bereits einen konkreten Fahrplan vorgeben wird, war bis zuletzt offen. Fest steht nur, dass Kramp-Karrenbauer „als NochParteivorsitzende das Verfahren weiter von vorne führen“und „zu gegebener Zeit konkrete Schritte einleiten“wird, wie es aus der Parteizentrale hieß. Diese Schritte sollen am Ende zu einem Parteitag und der Wahl eines neuen Chefs führen.
Wann dieser Parteitag stattfindet, ist noch völlig offen. AKK stimmt sich über das Verfahren nicht nur mit ihrer Partei, sondern auch mit CSU-Chef Markus Söder ab. Beide stehen in einem engen Austausch, nach Angaben aus Parteikreisen vereinbarten beide bei einem Treffen die Abhaltung einer gemeinsamen Präsidiumssitzung von CDU und CSU. Ein Termin dafür steht demnach noch nicht fest.
Mit Armin Laschet, Friedrich Merz, Jens Spahn und Norbert Röttgen steht ein Quartett bereit, ihr im Amt zu folgen. Mit allen vier führte die Noch-Chefin die Woche über Gespräche, es wurde Vertraulichkeit vereinbart und auch eingehalten. Es deutet sich aber an, dass Kramp-Karrenbauer mit der Vorsitzenden-Wahl nicht bis zum regulären Parteitag Anfang Dezember warten wird. Wahrscheinlicher ist ein Sonderparteitag vor der Sommerpause, vermutlich im Mai oder spätestens im Juni, wie es Röttgen bereits gefordert hat. Seine zweite Forderung ist ein Mitgliederentscheid. Die Beschlusslage der CDU sieht das allerdings ausdrücklich nicht vor. Zumal der nordrheinwestfälische Ministerpräsident Laschet zusammen mit Gesundheitsminister Spahn für eine Teamlösung wirbt, die den Rahmen eines Mitgliederentscheids sprengen würde.