Was SPD-Mann Tschentscher besser gemacht hat
Der nüchtern-seriöse Stil kommt in Hamburg gut an – so wie die Distanz zum Führungsduo der Bundespartei
Berlin/Hamburg In Hamburg ist die Welt für die SPD noch in Ordnung. In Hamburg ist die Partei nicht in der Krise. Die Bürgerschaftswahl feiert sie als klarer Sieger. Das ist selten geworden für die älteste Partei Deutschlands. Die Stimmung auf der Wahlparty? Ausgelassen, entspannt. Jubelnde Genossen werfen die Arme in die Luft. Viele euphorisierte Gesichter verfolgen die ersten Prognosen auf den Bildschirmen.
Hamburg ist das genaue Gegenteil von der Lage der Gesamtpartei. Im bundesweiten Umfragedurchschnitt erreichen die Genossen momentan rund 15 Prozent. Was macht der Hamburger Erste Bürgermeister, Peter Tschentscher, also richtig? Trotz deutlicher Verluste gegenüber 2015 hat der Sozialdemokrat die Bastion der Partei mit 39 Prozent klar verteidigt, obwohl ihm die Grünen zwischenzeitlich in den Umfragen gefährlich nahe kamen.
Tschentscher entschied sich dafür, die neuen Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert WalterBorjans nicht zum Wahlkampf einzuladen. Der sachlich-nüchterne Bürgermeister grenzte sich sogar klar vom Führungsduo und der Großen Koalition ab. Gerade in Sachen Klimaschutz und Energiewende kritisierte er die Bundesregierung. Sie habe keinen erkennbaren Plan, Hamburg wolle mehr Druck machen, damit sich etwas verändere. Bei den Hamburgern kam das gut an, besser noch kam Tschentscher selbst an. Er war mit Abstand der beliebteste Spitzenkandidat. „Was für ein großartiger Abend“, ruft er seinen feiernden Anhängern zu.
Die Hansestadt will mit gutem Beispiel vorangehen: Das Kohlekraftwerk Moorburg soll schon ab 2030 stillgelegt sein, fossile Brennstoffe sollen bis dahin ebenfalls Geschichte sein. Eigentlich sollte das vom Stromkonzern Vattenfall betriebene Kohlekraftwerk als letztes in Deutschland vom Netz gehen, da es vergleichsweise modern ist. Nun hat Tschentscher drei Tage vor der Wahl mit seiner Idee, Moorburg so schnell wie möglich zu einem Wasserstoff-Standort zu machen, für viel Aufruhr gesorgt und den Grünen eines ihrer Kernthemen weggeschnappt. Die Grünen waren der
Hauptkonkurrent der Sozialdemokraten, obwohl sie gemeinsam regieren. Anders als im Bund gelang es der SPD, die Herausforderer auf Distanz zu halten.
Bei einem ursozialdemokratischen Thema konnte Tschentscher, der Arzt, liefern und nicht nur Versprechungen machen. „Bauen, bauen, bauen“lautete seine Parole für bezahlbaren Wohnraum. Zwar habe sich der Bund dem Thema auch schon gewidmet, Hamburg sei aber schon seit 2011 aktiv dabei, Mieten zu senken und den Wohnraum auszuweiten. Der 54-Jährige konnte auf die Arbeit seines Vorgängers Olaf Scholz aufbauen, der sieben Jahre lange die Hansestadt regierte.
Die Hamburger SPD ist, wie sie Bundesfinanzminister Scholz gerne hätte. Sie verbindet wirtschaftliche Vernunft mit sozialem Ausgleich ohne radikale Ideen vom linken Rand wie zum Beispiel einen Mietendeckel. Das Ergebnis aus dem hohen Norden bestärkt Scholz und seine Anhänger in der SPD, die für eine Fortsetzung der Großen Koalition stehen. „Ich hoffe, dass es ein Push ist für die SPD“, sagt Scholz. Die GroKo-Gegner um das Führungsduo
Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind geschwächt.
In vielen Punkten, vor allem beim Thema Umweltschutz, fällt es schwer, den Unterschied zwischen der Hamburger SPD und den Grünen zu erkennen. Das ist ein Erfolg für die Genossen, zum Leidwesen der Grünen unter Spitzenkandidatin
Katharina Fegebank. Zwei Wochen vor der Bürgerschaftswahl präsentierte die SPD Pläne für eine attraktivere Innenstadt. Von uns abgeschrieben, kritisierten die Grünen.
Tschentscher hält die von den Grünen entworfene autofreie Innenstadt zwar nicht für machbar, schlägt im Gegenzug allerdings eine autoarme Innenstadt vor. Fegebank konnte kurz davon träumen, als erste Frau in der Geschichte Hamburgs Bürgermeisterin zu werden. Die Bildungssenatorin versuchte, die Partei Richtung Konservative zu öffnen. Auch wenn der Traum platzte, hat sie die Stimmen für die Grünen verdoppeln können. Sie wolle sich diesen Erfolg nicht „madig machen“lassen, sprach die 42-Jährige lächelnd in die Kameras.
Zwei Drittel der Hamburger sind mit der Arbeit der rot-grünen Koalition zufrieden. Die SPD kann relativ frei entscheiden, mit wem sie koalieren möchte. Selbst mit der geschwächten CDU wäre eine Mehrheit wohl möglich. Denn Fegebank könnte in Koalitionsverhandlungen auftrumpfen. „Bei dem Wahlergebnis werden wir sehr selbstbewusst … reingehen“, sagt sie.