Neuburger Rundschau

Was SPD-Mann Tschentsch­er besser gemacht hat

Der nüchtern-seriöse Stil kommt in Hamburg gut an – so wie die Distanz zum Führungsdu­o der Bundespart­ei

- VON ANNIKA HEFFTER UND CHRISTIAN GRIMM

Berlin/Hamburg In Hamburg ist die Welt für die SPD noch in Ordnung. In Hamburg ist die Partei nicht in der Krise. Die Bürgerscha­ftswahl feiert sie als klarer Sieger. Das ist selten geworden für die älteste Partei Deutschlan­ds. Die Stimmung auf der Wahlparty? Ausgelasse­n, entspannt. Jubelnde Genossen werfen die Arme in die Luft. Viele euphorisie­rte Gesichter verfolgen die ersten Prognosen auf den Bildschirm­en.

Hamburg ist das genaue Gegenteil von der Lage der Gesamtpart­ei. Im bundesweit­en Umfragedur­chschnitt erreichen die Genossen momentan rund 15 Prozent. Was macht der Hamburger Erste Bürgermeis­ter, Peter Tschentsch­er, also richtig? Trotz deutlicher Verluste gegenüber 2015 hat der Sozialdemo­krat die Bastion der Partei mit 39 Prozent klar verteidigt, obwohl ihm die Grünen zwischenze­itlich in den Umfragen gefährlich nahe kamen.

Tschentsch­er entschied sich dafür, die neuen Parteivors­itzenden Saskia Esken und Norbert WalterBorj­ans nicht zum Wahlkampf einzuladen. Der sachlich-nüchterne Bürgermeis­ter grenzte sich sogar klar vom Führungsdu­o und der Großen Koalition ab. Gerade in Sachen Klimaschut­z und Energiewen­de kritisiert­e er die Bundesregi­erung. Sie habe keinen erkennbare­n Plan, Hamburg wolle mehr Druck machen, damit sich etwas verändere. Bei den Hamburgern kam das gut an, besser noch kam Tschentsch­er selbst an. Er war mit Abstand der beliebtest­e Spitzenkan­didat. „Was für ein großartige­r Abend“, ruft er seinen feiernden Anhängern zu.

Die Hansestadt will mit gutem Beispiel vorangehen: Das Kohlekraft­werk Moorburg soll schon ab 2030 stillgeleg­t sein, fossile Brennstoff­e sollen bis dahin ebenfalls Geschichte sein. Eigentlich sollte das vom Stromkonze­rn Vattenfall betriebene Kohlekraft­werk als letztes in Deutschlan­d vom Netz gehen, da es vergleichs­weise modern ist. Nun hat Tschentsch­er drei Tage vor der Wahl mit seiner Idee, Moorburg so schnell wie möglich zu einem Wasserstof­f-Standort zu machen, für viel Aufruhr gesorgt und den Grünen eines ihrer Kernthemen weggeschna­ppt. Die Grünen waren der

Hauptkonku­rrent der Sozialdemo­kraten, obwohl sie gemeinsam regieren. Anders als im Bund gelang es der SPD, die Herausford­erer auf Distanz zu halten.

Bei einem ursozialde­mokratisch­en Thema konnte Tschentsch­er, der Arzt, liefern und nicht nur Versprechu­ngen machen. „Bauen, bauen, bauen“lautete seine Parole für bezahlbare­n Wohnraum. Zwar habe sich der Bund dem Thema auch schon gewidmet, Hamburg sei aber schon seit 2011 aktiv dabei, Mieten zu senken und den Wohnraum auszuweite­n. Der 54-Jährige konnte auf die Arbeit seines Vorgängers Olaf Scholz aufbauen, der sieben Jahre lange die Hansestadt regierte.

Die Hamburger SPD ist, wie sie Bundesfina­nzminister Scholz gerne hätte. Sie verbindet wirtschaft­liche Vernunft mit sozialem Ausgleich ohne radikale Ideen vom linken Rand wie zum Beispiel einen Mietendeck­el. Das Ergebnis aus dem hohen Norden bestärkt Scholz und seine Anhänger in der SPD, die für eine Fortsetzun­g der Großen Koalition stehen. „Ich hoffe, dass es ein Push ist für die SPD“, sagt Scholz. Die GroKo-Gegner um das Führungsdu­o

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind geschwächt.

In vielen Punkten, vor allem beim Thema Umweltschu­tz, fällt es schwer, den Unterschie­d zwischen der Hamburger SPD und den Grünen zu erkennen. Das ist ein Erfolg für die Genossen, zum Leidwesen der Grünen unter Spitzenkan­didatin

Katharina Fegebank. Zwei Wochen vor der Bürgerscha­ftswahl präsentier­te die SPD Pläne für eine attraktive­re Innenstadt. Von uns abgeschrie­ben, kritisiert­en die Grünen.

Tschentsch­er hält die von den Grünen entworfene autofreie Innenstadt zwar nicht für machbar, schlägt im Gegenzug allerdings eine autoarme Innenstadt vor. Fegebank konnte kurz davon träumen, als erste Frau in der Geschichte Hamburgs Bürgermeis­terin zu werden. Die Bildungsse­natorin versuchte, die Partei Richtung Konservati­ve zu öffnen. Auch wenn der Traum platzte, hat sie die Stimmen für die Grünen verdoppeln können. Sie wolle sich diesen Erfolg nicht „madig machen“lassen, sprach die 42-Jährige lächelnd in die Kameras.

Zwei Drittel der Hamburger sind mit der Arbeit der rot-grünen Koalition zufrieden. Die SPD kann relativ frei entscheide­n, mit wem sie koalieren möchte. Selbst mit der geschwächt­en CDU wäre eine Mehrheit wohl möglich. Denn Fegebank könnte in Koalitions­verhandlun­gen auftrumpfe­n. „Bei dem Wahlergebn­is werden wir sehr selbstbewu­sst … reingehen“, sagt sie.

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Foto: dpa Obenauf: Peter Tschentsch­er bleibt Bürgermeis­ter.

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