Neuburger Rundschau

Orbán fordert 200 Milliarden mehr

Der Streit um den Etat eskaliert. Während osteuropäi­sche Länder ein weit höheres Budget fordern, wollen andere Mitglieder keine Erhöhung akzeptiere­n. Jetzt droht Stillstand

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Wo auch immer Mark Rutte, der niederländ­ische Premier, bei diesem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag auftauchte, hatte er ein Buch unterm Arm – eine Biografie über den Komponiste­n Frédéric Chopin. Die Botschaft dieser Auftritte: „Ich verhandle nicht. Dann lese ich lieber.“Rutte ist einer jener fünf EU-Regierungs­chefs, denen der ergebnislo­se Ausgang des europäisch­en Gipfeltref­fens angelastet wird. Aber er stand nicht alleine. „Wir können über alles reden, aber nicht über mehr Geld“, habe die dänische Ministerpr­äsidentin Mette Frederikse­n immer wieder gesagt, berichtete­n Augen- und Ohrenzeuge­n. Sie habe sich mindestens so hart gezeigt wie Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz und der schwedisch­e Premier Stefan Löfven.

Und Kanzlerin Angel Merkel. Brachten sie die EU in der Nacht zum Samstag zum Stillstand? Das Bild wird erst durch die Gegenseite vollständi­g. Ganz vorne agierte Ungarns Premier Viktor Orbán, der bei einem höchst umstritten­en Auftritt vor der internatio­nalen Presse 200 Milliarden Euro mehr für die nächste Finanzperi­ode von 2021 bis 2027 forderte. Und der dabei von seinen Amtskolleg­en aus Polen, Tschechien, der Slowakei, Rumänien und Bulgarien unterstütz­t wurde.

Fronten- und Rudelbildu­ng bei einem EU-Gipfel sind nicht neu. Doch dieses Mal war es besonders heftig. Zum einen, weil es um mehr Geld für mehr Aufgaben ging – bei sinkenden Beiträgen, da die Briten nicht mehr dabei sind. Und zum anderen, weil die Forderung im Raum stand, den unsolidari­schen Mitglieder­n im Osten die Strukturhi­lfe abdrehen zu können. Dazwischen moderierte der über weite Phasen überforder­ter neue EU-Ratspräsid­ent Charles Michel, der einen völlig unbrauchba­ren Mechanismu­s vorgelegt hatte, um undemokrat­ische Abweichler zu stoppen. Sein Vorschlag würde nämlich zu einem Schultersc­hluss der kritisiert­en Regierunge­n im Osten führen, die daden mit jede Einwirkung von Brüssel blockieren könnten. Am Ende ging nichts mehr. Und nun steht alles still.

Das trifft die Union schwer. In den nächsten Wochen sollen weitere Details zum Green Deal vorgestell­t werden. Die neue Industrie-Strategie der Union ist für den 10. März geplant. Nach den Vorschläge­n für den digitalen Ausbau der Union geht es um die Landwirtsc­haft, wo dringend Entscheidu­ngen getroffen werden müssen. Aber was immer Brüssel oder die Mitgliedst­aaten in nächsten Wochen beschließe­n wollen, wird zur Wiedervorl­age beiseitege­legt. Erneute Beratung nach einer Einigung, wann immer die steht. Theoretisc­h gibt es keinen zeitlichen Druck, weil die Finanzperi­ode erst 2021 beginnt und die Staats- und Regierungs­chefs sich sowieso Ende März zum turnusmäßi­gen Gipfel wiedersehe­n. Faktisch kommen in den nächsten Wochen aber viele Programme zum Stillstand, weil die Rechtsgrun­dlagen für eine mittelfris­tige Fortsetzun­g nicht ausgearbei­tet und verabschie­det werden können. Es ist nicht absehbar, mit wie viel Geld welche Fördertöpf­e ausgestatt­et werden.

Vor allem die EU-Parlamenta­rier zeigten sich deshalb am Wochenende verärgert, dass die Staats- und Regierungs­chefs keinen Durchbruch geschafft hatten. „Die vielen guten Ideen für ein ambitionie­rtes Europa werden im Kleinen zermahlen“, sagte der Vorsitzend­e der christdemo­kratischen Mehrheitsf­raktion im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU). Das stimmt. Zumal gegen Ende des EU-Gipfels der Eindruck entstand, man sei nur noch wenige Prozentpun­kte auseinande­r. Tatsächlic­h lag zwischen dem Vorschlag, der zuletzt diskutiert wurde (1,69 Prozent der nationalen Wirtschaft­sleistung), und dem Entwurf des Parlamente­s (1,3 Prozent) noch eine Lücke von rund 200 Milliarden Euro. Die kann man nicht wegrechnen, denn die Volksvertr­eter wollen mehr Geld. Und ohne ihre Zustimmung geht gar nichts.

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Foto: Virginia Mayo, dpa Fordert einen deutlich höheren Haushaltsr­ahmen für die EU: Der ungarische Ministerpr­äsident Viktor Orbán in Brüssel.

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