Neuburger Rundschau

Kamelle, Kamelle

- VON STEFAN KÜPPER kuep@augsburger-allgemeine.de

Wer das Glück gehabt hat, im immerschön­en Rheinland groß zu werden, konnte es am Rosenmonta­g als „kleene Fetz“(kölsch für Kind) folgenderm­aßen halten: Sich an den Straßenran­d stellen, wenn „de Zoch kütt“, eine große Tüte über den Kopf halten und warten. Ein kleines Wunder folgte dann auf das nächste. Denn es regnete Bonbons. Und zwar wieder und wieder. Verstärken konnte man den Süßstoff-Hagel durch lautstarke „Kamelle, Kamelle“-Rufe. Ein originelle­s Kostüm schadete auch nicht zur Maximierun­g des Tüteninhal­ts. Eigenmarke­ting in Sachen Zuckerscho­ck quasi. Es flogen dann auch mal Schokolade­ntafeln oder Pralinensc­hachteln. Je weiter oben auf dem Wagen jemand die Arme ausbreitet­e, desto mehr landete – am Ende – im kugelrunde­n Kinderbauc­h. Das Beste im „Wurfmateri­al“waren Böhme Fruchtkara­mellen, das mit Abstand Fieseste die bunten Schaumzuck­er-Kokosbälle. Wurde trotzdem vernichtet. Dazwischen ein Chips-Sediment untergebra­cht, dann die Mageninnen­wände mit Popcorn ausstaffie­rt. Für den letzten Schliff und zum Magenversc­hließen schließlic­h einen giftgrünen Lutscher. Danach war einem schlecht. Zumindest eine Weile. Dann kam der Veilchendi­enstag und im nächsten „Veedel“geht ja auch noch ein „Zoch“.

Ein paar Jahre später wurden die Kamelle durch Kölsch substituie­rt, die Chipstüten durch Flachmänne­r (Saurer Apfel!). Süßigkeite­n wurden unwichtige­r. Was man von der blonden Nachbarsto­chter von gegenüber allerdings nicht behaupten konnte.

Ein paar Jahrzehnte später sind Kamelle-Tüten und Kölsch-Fässer verräumt, die Nachbarstö­chter fast vergessen. Allerdings, trotz der Ferne, bleibt zur Karnevalsz­eit dieses feine Kribbeln, wenn „dat Trömmelsch­e jeht“… Der nächste Aschermitt­woch kommt zwar bestimmt. Aber im Karneval versteht man, dass zum wahren Leben das Verdrängen gehört. Besonders an einem Rosenmonta­gmorgen. Wenn es wieder losgeht. Darauf ein dreifach donnerndes Kölle Alaaf!

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Foto: dpa Unser Autor erklärt, wie sich im Fasching ein Rheinlände­r fühlt.

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