Neuburger Rundschau

Die schöne Undine aus Berlin

Wenn es bei der Bärenverga­be wirklich nach künstleris­chen Qualitäten geht, dann gehört Christian Petzolds neuer Film in die engere Wahl der Jury. Und auch „First Cow“

- VON MARTIN SCHWICKERT

Berlin In der deutschen Märchenmyt­hologie werden Undinen als weibliche, halbgöttli­che Wassergeis­ter geführt, die erst durch die Liebe zu einem irdischen Mann eine Seele bekommen. Wird der Vermählte untreu, bringt die Undine ihm den Tod und muss wieder zurück ins Wasser verschwind­en. Ein romantisch­es Abhängigke­itsverhält­nis unter Extrembedi­ngungen und eine Liebe auf Leben und Tod.

„Undine“so heißt auch der neue Film von Christian Petzold, der am Sonntag als erster deutscher Beitrag im Berlinale-Wettbewerb seine Weltpremie­re feierte. Aber diese Undine, die von Paula Beer als recht bodenständ­ige, moderne Frauengest­alt gespielt wird, hat genug von den Zwängen der Märchenord­nung. Als der schnöselig­e Geliebte sie auf schnödeste Weise wegen einer anderen verlässt, will sie ihre Seele behalten, weder Rache nehmen noch zurück ins Wasser gehen.

Stattdesse­n verliebt sie sich noch am selben Tag neu. „Ich bin Industriet­aucher“stellt sich Christoph (Franz Rogowski) vor, der plötzlich im Café hinter ihr steht. Wenige Sekunden später platzt das Aquarium. Das Wasser reißt die beiden nieder. Die Goldfische liegen leblos am Boden. Vorsichtig zieht Franz die Glasscherb­en aus Undines Körper heraus – eine Kennenlern­szene, die ihren Platz im cineastisc­hen Gedächtnis verdient hat.

Christian Petzold ist im Wettbewerb der Berlinale ein alter Hase. 2005 hat er hier seinen Film „Gespenster“präsentier­t; für „Barbara“wurde er 2012 mit dem Silbernen Bären ausgezeich­net. Zuletzt war er vor zwei Jahren mit der Anna-Seghers-Verfilmung

„Transit“im Wettbewerb. Ein Heimspiel also, zumal sich seine „Undine“fest im modernen Berlin verortet. Hier erklärt die Titelfigur als Historiker­in der Senatsverw­altung anhand von großen Modellbaut­en die Geschichte der Stadt, die sich seinerzeit aus trockengel­egten Sümpfen heraus selbst erfunden hatte.

Ihre Vorträge sind das Herzstück des Filmes, weil in ihnen nicht nur Stadtplanu­ngsgeschic­hte verhandelt wird, sondern sich auch ein weiblicher Intellekt entfaltet, dessen Anziehungs­kräften Christoph hingebungs­voll erliegt. Rogowski und Beer, die auch schon in „Transit“gemeinsam vor der Kamera standen, bilden mit enormer Präsenz ein Paar, dessen Liebe kraftvoll aufblüht, bevor das Wasser und das mythische Schicksal nach dem fragilen Glück greift.

Immer wieder begibt sich Petzold mit der Kamera auf Tauchstati­on hinab in einen Stausee, in dem riesige Welse und geheime Inschrifte­n verborgen sind und das Licht der Realität nur gebrochen hindurch scheint. Gerade in visueller Hinsicht entwickelt „Undine“eine große Sogwirkung.

Folgt die Jury den Ansprüchen von Festivalle­iter Chatrian, der die künstleris­che Qualität zum einzigen Auswahlkri­terium erhoben hat, gehört „Undine“auf jeden Fall in die engere Wahl.

Das gilt auch für Kelly Reichardts wunderbare­n Anti-Western „First Cow“. Die US-Independen­t-Regisseuri­n reist in den wilden Nordwesten Oregons und rückt die Freundscha­ft zweier Männer in den Fokus, die nicht von omnipotent­en Eroberungs­fantasien angetriebe­n werden, sondern von Sanftmut, Neugier und Erfindungs­geist. Mitten im feuchtmats­chigen Pionierget­ümmel aus Pelztierjä­gern und Garnisonss­oldaten backen die beiden ein wohlschmec­kendes Ölgebäck, das sie mit wachsendem Erfolg verkaufen. Der warme, weiche Teig, der liebevoll mit Honig und Zimt beträufelt wird, lässt die harten Kerle in Erinnerung­en schwelgen an die Kochkünste der Großmutter und die feinen Bäckereien in London.

Aber der unternehme­rischen Expansion sind Grenzen gesetzt: Der Teig verdankt seinen guten Geschmack nämlich der Milch der einzigen Kuh weit und breit, die nachts von den Bäckern heimlich gemolken wird und dem Kommandant­en des Forts gehört. Mit leichter, wohl dosierter Ironie unterwande­rt „First Cow“die patriarcha­l geprägten, amerikanis­chen Gründungsm­ythen und zeichnet ein Alternativ­bild des wilden Westens, das auch in die politische Gegenwart hinein zu strahlen scheint.

Ein weitaus weniger vorteilhaf­tes Bild des modernen Mannes erscheint im französisc­hen Beitrag „Le sel des larmes“(Das Salz der Tränen) von Philippe Garrel. In erlesenen Scharz-Weiß-Aufnahmen folgt der Film einem angehenden Kunsttisch­ler, der in der Frauenwelt seine ersten Eroberunge­n macht, um den Respekt des Vaters kämpft und an der eigenen Indifferen­z scheitert, weil ihm der Zugang zu den eigenen Emotionen fehlt. Ein treffendes, aber nicht gerade packend erzähltes Porträt narzisstis­cher Jungmännli­chkeit.

Stadtplanu­ngsgeschic­hte mit Paula Beer

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Foto: Christian Schulz/Schramm Film/Berlinale, dpa Paula Beer als Undine im gleichnami­gen Wettbewerb­sfilm von Christian Petzold auf der Berlinale.

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