Zerstörung, gnadenlos
„Gier und Hunger“, die Kapitalismus-Tragödien
Ingolstadt - Mit so viel Botschaft und so viel Technik wird wohl keine Produktion des Theaters Ingolstadt in dieser Spielzeit noch aufwarten können. Autor und Regisseur Knut Weber hat mit „Hunger und Gier“ein „musikalisches Film-TheaterSpektakel“nach Motiven der Oper „Hänsel und Gretel“realisiert. Drei laute und grelle Stunden, in denen einem Hören und Sehen vergeht, angesichts der hemmungslosen Zerstörung der Welt durch die Gier der kapitalistischen Gesellschaft.
Genügte es einst, die Theaterbühne auszuschreiten, um vom Himmel durch die Welt zur Hölle zu gelangen, erfasst man „den ganzen Kreis der Schöpfung“heute offenbar nur noch mit Multimedia und Langstreckenflug. Weber hat sein Kern-Ensemble mit den Film-Brüdern Kevin und Tobias Schmutzler auch nach Frankfurt und nach Indien geschickt, wo in Slums und auf Müllkippen Filmsequenzen gedreht wurden. Das Thema ist global, also denkt man groß. Das wird auch zur Premiere deutlich: Weber schont Prospekte nicht und nicht Maschinen. Es scheint, als berste die Bühne unter dem Druck dringlicher Mitteilungen. Im Zentrum ein sich drehender Kubus; auf ihn und in ihn hinein wird im doppelten Sinne alles projiziert, was die Handlung vorantreibt. Überhaupt die Videos: Stefano Di Buduo verwandelt das Große Haus in ein Rundumkino, Lichtspiele bis in die letzte Sitzreihe, viel zu sehen, viel zu lesen.
Licht und Ton, Musik und Sound greifen nahezu perfekt ineinander. Die Schauspieler sind überall und nirgends und werden durch Doubles multipliziert. Ohne Unterbrechung auf der Bühne: Hans und Grete (Peter Rahmani/Paula Gendrisch) mit ihren Eltern (Richard Putzinger/ Antje Rietz), mal im Bund mit, mal im Kampf gegen „das Böse“, die Horrorhexe (Enrico Spohn). Jugendslang, Börsianersprech, Volkes Sprüche und allerhand literarische Zitate ergeben einen Sprachbrei, der die Dialoge banal bis dada klingen lässt. Hohle Phrase statt hoher Ton – auch das der Wirklichkeit detailgenau abgeschaut.
Nach der Pause wächst sich der grausame Märchenkrimi fast zum Musical aus. Ob gesprochen oder gesungen, leibhaftig oder digital: Es ist jede Menge Moral im Spiel, die Liebe hat – schöne Erinnerung an alte (Spiel)Zeiten – auch ihren Auftritt. Webers Gegenwartsbeschreibung: gnadenlos und hoffnungslos. Ovationen.