Mehr Strauß und Schmidt wagen
Im Bierzelt dürfen am Aschermittwoch ruhig die Fetzen fliegen. Humor tut auch der Politik gut. Doch im Alltag sollten alle mehr auf ihre Worte achten
Im härtesten Bundestagswahlkampf aller Zeiten standen sich zwei Männer gegenüber, nach denen sich viele zurücksehnen. Auf der einen Seite der brachiale Franz Josef Strauß, auf der anderen der kühle Helmut Schmidt. Der Ton war scharf, die Kontrahenten unversöhnlich. Es gab keine Mitte, nur dafür oder dagegen. Trotzdem scheint die Demokratie vor 40 Jahren rückblickend weniger gefährdet gewesen zu sein als heute. Warum? Weil es einen entscheidenden Unterschied zu den Debatten gab, die wir derzeit erleben.
Strauß und Schmidt bekämpften sich auf offener Bühne ohne Rücksicht auf Schmerzgrenzen. Doch abseits der Kameras und Mikrofone begegneten sie sich mit Respekt. Wenn sie sich trafen, begrüßte Schmidt seinen bayerischen Rivalen scherzhaft mit dem Satz: „Na, Sie alter Gauner.“Und Strauß konterte: „Na, Sie alter Lump!“Die beiden so unterschiedlichen Männer hatten eines gemeinsam: Nach den grausamen Erfahrungen an der Front des Zweiten Weltkrieges standen sie ohne Wenn und Aber für die junge Demokratie ein. Dieser Konsens ist das Fundament unserer Gesellschaft. Doch wir leben in einer Zeit, in der Konsens für manchen als Zeichen von Schwäche gilt. In der die Demokratie von gewählten Abgeordneten lächerlich gemacht und systematisch diskreditiert wird. Eine Zeit, in der Spaltung und Provokation die Tagesordnung bestimmen. Wenn die Hemmungen fallen und Worte zu Taten werden, ist es umso wichtiger, auf die eigenen Worte zu achten.
An diesem Aschermittwoch werden Politiker wieder in bierseliger Atmosphäre Sprüche klopfen und ihre Widersacher mit kleinen Gemeinheiten aufs Korn nehmen. Das ist gute Tradition. Man darf es nicht zu ernst nehmen, schließlich erscheint ein Leben ohne Humor zwar denkbar, aber recht sinnlos. Auch und gerade in der Politik.
Und doch hat sich etwas verändert. Mit der AfD ist eine humorlose Kraft erstarkt, die im politischen Gegner keinen Wettbewerber sieht, sondern einen Feind, dem sie die Daseinsberechtigung abspricht. Und da sind wir wieder bei Strauß und Schmidt: Trotz aller Rivalität hatten beide Achtung vor der Person des anderen – selbst wenn sie dessen Positionen für gefährlichen Unsinn hielten.
Dass die Rechtspopulisten so stark geworden sind, hat damit zu tun, dass die Volksparteien ihre Kanten über die Jahre immer weiter abgeschliffen haben, um möglichst viele Wähler anzusprechen. Doch das Gegenteil ist passiert. Anders als zu Zeiten der Wahlkämpfer von 1980 sind Union und SPD heute in vielen Punkten kaum zu unterscheiden. Das ist ein Problem, denn Demokratie lebt davon, dass sich der Wähler für einen bestimmten Kurs entscheiden kann.
Wer nun allerdings glaubt, man könne verloren gegangenes Profil durch besonders lautes und rigoroses Auftreten kompensieren, der irrt. CSU-Chef Markus Söder hat es im bayerischen Landtagswahlkampf mit scharfer Rhetorik versucht – ohne Erfolg. Seit er sprachlich abgerüstet hat, steigen seine Zustimmungswerte. Die Grünen sind auch deshalb so erfolgreich, weil sie sich nicht von der aggressiven Stimmung anstecken lassen. Die Kanzlerin ist trotz aller MerkelMüdigkeit der Deutschen noch immer eine der populärsten Politikerinnen, weil sie stets auf Sachlichkeit statt Polemik bedacht ist. Und die AfD muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie den Boden bereitet, auf dem rechtsextremistischer Hass und Gewalt wachsen.
Am Aschermittwoch dürfen die Fetzen fliegen, solange der Respekt gewahrt bleibt. Denn die Demokratie ist das Beste, was unserem Land passiert ist. Da waren sich ausnahmsweise sogar Strauß und Schmidt mal einig.
Klare Kante im Streit, aber Respekt vor der Person