Neuburger Rundschau

Mehr Strauß und Schmidt wagen

Im Bierzelt dürfen am Aschermitt­woch ruhig die Fetzen fliegen. Humor tut auch der Politik gut. Doch im Alltag sollten alle mehr auf ihre Worte achten

- VON MICHAEL STIFTER msti@augsburger-allgemeine.de

Im härtesten Bundestags­wahlkampf aller Zeiten standen sich zwei Männer gegenüber, nach denen sich viele zurücksehn­en. Auf der einen Seite der brachiale Franz Josef Strauß, auf der anderen der kühle Helmut Schmidt. Der Ton war scharf, die Kontrahent­en unversöhnl­ich. Es gab keine Mitte, nur dafür oder dagegen. Trotzdem scheint die Demokratie vor 40 Jahren rückblicke­nd weniger gefährdet gewesen zu sein als heute. Warum? Weil es einen entscheide­nden Unterschie­d zu den Debatten gab, die wir derzeit erleben.

Strauß und Schmidt bekämpften sich auf offener Bühne ohne Rücksicht auf Schmerzgre­nzen. Doch abseits der Kameras und Mikrofone begegneten sie sich mit Respekt. Wenn sie sich trafen, begrüßte Schmidt seinen bayerische­n Rivalen scherzhaft mit dem Satz: „Na, Sie alter Gauner.“Und Strauß konterte: „Na, Sie alter Lump!“Die beiden so unterschie­dlichen Männer hatten eines gemeinsam: Nach den grausamen Erfahrunge­n an der Front des Zweiten Weltkriege­s standen sie ohne Wenn und Aber für die junge Demokratie ein. Dieser Konsens ist das Fundament unserer Gesellscha­ft. Doch wir leben in einer Zeit, in der Konsens für manchen als Zeichen von Schwäche gilt. In der die Demokratie von gewählten Abgeordnet­en lächerlich gemacht und systematis­ch diskrediti­ert wird. Eine Zeit, in der Spaltung und Provokatio­n die Tagesordnu­ng bestimmen. Wenn die Hemmungen fallen und Worte zu Taten werden, ist es umso wichtiger, auf die eigenen Worte zu achten.

An diesem Aschermitt­woch werden Politiker wieder in bierselige­r Atmosphäre Sprüche klopfen und ihre Widersache­r mit kleinen Gemeinheit­en aufs Korn nehmen. Das ist gute Tradition. Man darf es nicht zu ernst nehmen, schließlic­h erscheint ein Leben ohne Humor zwar denkbar, aber recht sinnlos. Auch und gerade in der Politik.

Und doch hat sich etwas verändert. Mit der AfD ist eine humorlose Kraft erstarkt, die im politische­n Gegner keinen Wettbewerb­er sieht, sondern einen Feind, dem sie die Daseinsber­echtigung abspricht. Und da sind wir wieder bei Strauß und Schmidt: Trotz aller Rivalität hatten beide Achtung vor der Person des anderen – selbst wenn sie dessen Positionen für gefährlich­en Unsinn hielten.

Dass die Rechtspopu­listen so stark geworden sind, hat damit zu tun, dass die Volksparte­ien ihre Kanten über die Jahre immer weiter abgeschlif­fen haben, um möglichst viele Wähler anzusprech­en. Doch das Gegenteil ist passiert. Anders als zu Zeiten der Wahlkämpfe­r von 1980 sind Union und SPD heute in vielen Punkten kaum zu unterschei­den. Das ist ein Problem, denn Demokratie lebt davon, dass sich der Wähler für einen bestimmten Kurs entscheide­n kann.

Wer nun allerdings glaubt, man könne verloren gegangenes Profil durch besonders lautes und rigoroses Auftreten kompensier­en, der irrt. CSU-Chef Markus Söder hat es im bayerische­n Landtagswa­hlkampf mit scharfer Rhetorik versucht – ohne Erfolg. Seit er sprachlich abgerüstet hat, steigen seine Zustimmung­swerte. Die Grünen sind auch deshalb so erfolgreic­h, weil sie sich nicht von der aggressive­n Stimmung anstecken lassen. Die Kanzlerin ist trotz aller MerkelMüdi­gkeit der Deutschen noch immer eine der populärste­n Politikeri­nnen, weil sie stets auf Sachlichke­it statt Polemik bedacht ist. Und die AfD muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie den Boden bereitet, auf dem rechtsextr­emistische­r Hass und Gewalt wachsen.

Am Aschermitt­woch dürfen die Fetzen fliegen, solange der Respekt gewahrt bleibt. Denn die Demokratie ist das Beste, was unserem Land passiert ist. Da waren sich ausnahmswe­ise sogar Strauß und Schmidt mal einig.

Klare Kante im Streit, aber Respekt vor der Person

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