Unter Mitbrüdern
Die deutschen Bischöfe sind zerstritten über den Kurs der katholischen Kirche. Nun hat auch noch ihr Vorsitzender Kardinal Marx seinen Rückzug angekündigt. Wie die mächtigen Männer nach einem Nachfolger suchen, erinnert stark an das Vorgehen von Berufspol
Augsburg Es ist eine Episode nur, wenn auch eine vielsagende. Da erklärt also Reinhard Kardinal Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, in einem Interview: Die Diskussion über die Priesterweihe von Frauen sei nicht beendet. Rainer Maria Kardinal Woelki widerspricht ihm, ebenfalls in einem Interview: Diese Debatte sei definitiv abgeschlossen. Alles andere seien „Taschenspielertricks“, so produziere man Frustrationen und vielleicht sogar Spaltungen.
Es sind mächtige Männer, die sich öffentlich so über den Kurs der katholischen Kirche streiten: der Münchner Erzbischof Marx, der als Reformer gilt, und der Kölner Erzbischof Woelki, der den Ruf eines konservativen Hardliners hat. Ein jeder von ihnen ist Nachfolger der Apostel, „kraft göttlicher Einsetzung
durch den Heiligen Geist, der ihnen geschenkt ist“. So vermerkt es das katholische Kirchenrecht.
Und wie sieht die Realität aus? Sind die Oberhirten, die Nächstenliebe predigen, womöglich knallharte Machtpolitiker?
„Den Bischöfen geht es bei kirchenpolitischen Debatten um Macht, Einfluss und um eine gute Außendarstellung. Mit dem Wirken des Heiligen Geistes oder der Frohen Botschaft hat das wenig zu tun“, sagt der renommierte katholische Kirchenrechtler Thomas Schüller aus Münster. Er sagt: Die Bischöfe agierten hinter verschlossenen Türen wie Politiker. Intrigen und Ränkespiele bis in den Vatikan inklusive. „Jeder ist in seinem Bistum ein kleiner Papst. Oder, wenn Sie so wollen, ein Ministerpräsident.“
Die Deutsche Bischofskonferenz, in der sich die Bischöfe zusammengeschlossen haben, ist nicht die Kirche. Aber sie ist ein maßgeblicher Teil von ihr. Einer, der gerade besonders in den Fokus gerückt ist, weil der Streit der Kirchenmänner über den Umgang mit dem Missbrauchsskandal und über Reformen fast täglich Schlagzeilen produziert. Und weil die Bischöfe wohl am 3. März auf ihrer Frühjahrs-Vollversammlung in Mainz einen neuen Vorsitzenden wählen, nachdem der bisherige, Marx, völlig überraschend auch für seine Mitbrüder nicht mehr zur Wahl antritt.
Seitdem wird in Bischofskreisen beraten und in der Öffentlichkeit
Wer stünde parat für dieses Amt, das einen schlagartig zum Gesicht der Kirche macht, zum Ansprechpartner der Bundesregierung etwa, und das dennoch alles andere als ein Traumjob ist? In welchem Zustand befindet sich die Bischofskonferenz, die sich in Gruppen und Grüppchen spaltet, deren Positionierungen bisweilen kreuz und quer zu den Konfliktlinien „konservativ“und „progressiv“verlaufen? Ja, wie ist es um diese Bischofskonferenz bestellt, über die Thomas Schüller sagt, in ihr gebe es persönliche Animositäten und bei Treffen könne es lautstark zugehen?
Um das nur annähernd verstehen zu können, muss man ein Jahr zurückgehen, ins emsländische Lingen, zur Frühjahrs-Vollversammlung der Bischofskonferenz. Was damals geschah, lässt tief blicken.
Das Debakel ist den Bischöfen nicht verborgen geblieben. Ihr Missbrauchsbeauftragter, Stephan Ackermann, stellte sich der Öffentlichkeit, live übertragen im Internet. Er wirkte fahrig. Vor allem aber hatte er keine befriedigenden Antworten auf die Fragen, die bereits so oft gestellt wurden: Was unternimmt die Kirche konkret gegen den himmelschreienden Missbrauchsskandal in ihren Reihen? Wann werden Opfer endlich mit Summen entschädigt, die mehr sind als „Leistungen in Anerkennung des erlittenen Leids“von bis zu 5000 Euro? Ackermann sprach – neun Jahre nach Bekanntwerden erster Fälle in Berlin, Ettal und Regensburg – von einem Gutachten, das in Auftrag gegeben und einem Leitfaden, der erarbeitet werden solle.
Wieder einmal gaben die Bischöfe ein verheerendes Bild ab. Was auch lag, dass Ackermann nichts wirklich Neues verkünden konnte. Kardinal Marx wusste, dass da mehr kommen müsse. Wieder einmal stand die ohnehin schwer angekratzte Glaubwürdigkeit der gesamten Kirche auf dem Spiel. Wieder einmal war er gefragt.
Wer sonst? Als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz erschien er – barock und wortgewaltig – nach außen hin als mächtig. Innerkirchlich war er es nicht. Zudem eckte er an mit seinem Führungsstil, der von einigen, auch jüngeren, Bischöfen als autoritär und unkollegial empfunden wurde. Zuletzt wirkte er ohnmächtig. Ein Bischof ist allein dem Papst zu Gehorsam verpflichtet. Wenn Marx einen Schritt voranging, zogen Mitbrüder ihn manchmal zwei Schritte zurück.
An jenem Tag im März 2019 in Lingen will und muss er einen Riesenschritt nach vorne gehen. Der Druck der Öffentlichkeit ist enorm, Reporter und Missbrauchsopfer warten ungeduldig auf einen Durchbruch. Gleich zu Beginn der Abschlusspressekonferenz wendet sich Marx direkt an die Missbrauchsopfer. „Ich verspreche, alles in meiner Kraft zu tun – und das, denke ich, teilen alle Bischöfe – das, was möglich ist, auch in Gang zu bringen und auch wiedergutzumachen. Das, was möglich ist auf Erden.“Er redet betont ruhig, was ihm sichtlich schwerfällt. Die Reporter im Raum achten auf jeden Zwischenton. Sie horchen auf, als er sagt: „Wir wollen einen Synodalen Weg.“Das sei einstimmig beschlossen worden. „Einstimmig“, wiederholt Marx. Wie eine Beschwörungsformel.
Er spricht von einer kontroversen Debatte. Die überwiegende Mehrspekuliert: heit der Bischöfe, die sich geäußert hätten, sei allerdings wie er der Meinung, dass Veränderungsbedarf bestehe. Und zwar bei den Themen klerikaler Machtmissbrauch, Zölibat und Sexualmoral. Marx erklärt, es sei erst in der letzten halben Stunde gelungen, einen verbindlichen Beschluss zu fassen.
Der Synodale Weg, ein auf zwei Jahre angelegter gemeinsamer Reformprozess von Bischöfen und engagierten Katholiken, als Antwort auf den Missbrauchsskandal und die Kirchenkrise – er sollte zu einem Befreiungsschlag werden. Auch für Marx. Stattdessen wurde er zum größten Streitfall in der jüngeren deutschen Kirchengeschichte. Noch weit vor seinem Start im Dezember 2019 wurde an ihm der Zustand der Kirche und der Bischofskonferenz sowie der schwindende Einfluss von Reinhard Kardinal Marx deutlich.
Der brachte den Synodalen Weg in Lingen mühevoll auf den Weg. Danach musste er mitansehen, wie er kleingeredet wurde. Rainer Maria Woelki, der Kölner Kardinal, oder Rudolf Voderholzer, der Regensburger Bischof, kritisierten den Reformprozess und Marx heftig – aus Sorge vor einer Verwässerung des Katholischen und vor einem Frontalangriff auf Kirchenlehre und -tradition. Ohne Marx als treibende Kraft erscheint der Synodale Weg manchem Laien-Katholiken nun als hoffnungsloses Unterfangen.
In Lingen sprach Marx noch von einem einstimmigen Beschluss, doch es hatte bei 62 Ja-Stimmen vier Enthaltungen gegeben. Eine kam von dem sonst recht schweigsamen damaligen Augsburger Bischof Konrad Zdarsa. In einem Interview nannte er den Synodalen Weg verärdaran gert einen „Etikettenschwindel“. Marx, so sieht es Kirchenrechtler Schüller, hatte die Bischofskonferenz nicht mehr im Griff. Schon gar nicht seine bayerischen Mitbrüder, die am offensten gegen ihn opponierten. Aus ihrer Sicht freilich aus hehren Motiven.
In einem Brief an die Bischöfe, der am 11. Februar publik wurde, gab der 66-Jährige Altersgründe für seinen Rückzug an. Jetzt sollten Jüngere ran. Kirchenkenner nahmen ihm das nicht ab. Der Papst ist 83! Sie führten seinen Schritt unter anderem auf Frustration zurück. Der ernannte Bischof von Augsburg, Bertram Meier, sagte: „Den Dienst an der Einheit innerhalb der Bischofskonferenz zu leisten, war sicherlich auch kräftezehrend.“
Mit Marx’ Rückzug begann, wie in der Politik, die Suche nach einem Nachfolger. Es geht um viel. Macht, Einfluss, Außendarstellung. Den künftigen Kurs. Es gebe inoffizielle Vorklausuren, bei denen sich die Bischöfe der verschiedenen Regionen treffen und sich auf einen Kandidaten verständigen, erklärt Schüller. Gut vernetzt und einflussreich bei der Beschaffung von Mehrheiten sei die Gruppe Mitte-Südwest mit den Bischöfen aus Trier, RottenburgStuttgart, Freiburg, Limburg und Fulda. „Letztlich werden die Bischöfe mit konkreten Absprachen in die Wahl gehen“, sagt er. Deals. Etwa bei der Vergabe der Vorsitze von Kommissionen der Bischofskonferenz. „Die Wahl des Vorsitzenden ist schlicht ein realpolitischer Vorgang.“An dessen Ende Marx-Gegenspieler Woelki steht? Nein, meint Schüller. Die Bischöfe seien mehrheitlich eher reformorientiert. Woelki selbst sagte, er wolle sich auf die Herausforderungen konzentrieren, die sich ihm als Erzbischof von Köln und als Kardinal der Weltkirche stellen. Andere in Medien genannte potenzielle Kandidaten haben ebenfalls abgesagt oder gelten als nicht mehrheitsfähig. Zu jung, zu alt, zu konservativ. Oder zu progressiv wie Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck, der gegen eine Zölibatspflicht ist.
Und wie bei der Politik ist es auch bei der Kirche häufig so: Der Wunschkandidat mancher Medien wird es ohnehin nicht. Die Zeit schwärmte für den Hildesheimer Bischof: „Für einen Furchtlosen wie ihn“mache Marx den Weg frei. Der 58-jährige Heiner Wilmer, der seit nicht einmal zwei Jahren Bischof ist, dürfte sich geschmeichelt gefühlt haben. Mehr aber auch nicht.
„Ich könnte mir vorstellen, dass man sich auf den Berliner Erzbischof Heiner Koch verständigen
Marx wollte einen Befreiungsschlag
Kommt sein Gegenspieler Woelki jetzt an die Reihe?
könnte“, sagt Schüller. Der 65-Jährige sei „moderat konservativ“. Koch sollte auch für den ernannten Augsburger Bischof Bertram Meier infrage kommen. Meier – selbst einer, der auf Ausgleich bedacht ist – darf wählen, gewählt werden kann er nicht. Erst am 21. März wird er zum Diözesanbischof geweiht, und das ist eine Voraussetzung. Ob sich der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke mit einem Vorsitzenden Koch anfreunden könnte? Hanke betont stets, wert- jedoch nicht strukturkonservativ zu sein. Kirchenrechtler Schüller also traut Koch zu, die auseinanderdriftenden Kräfte in der Deutschen Bischofskonferenz zu bändigen. Jochen Waibel wiederum würde sich zutrauen, die Runde der Kirchenmänner zu befrieden. Der 57-jährige Katholik aus dem Westallgäu arbeitet in Hamburg als Kommunikationsberater und Mediator für Familienunternehmen. Er entwirrt Konflikte. Waibel würde die Bischöfe bitten, zwei Stuhlkreise zu bilden, einen inneren, einen äußeren. So, dass sich je zwei von ihnen in die Augen blicken. Dann würde er sie lange reden lassen, damit sie ein Verständnis füreinander entwickeln. Der Beginn eines Neuanfangs. „Macht ist per se nichts Schlechtes“, sagt Waibel. Wer gestalten wolle, brauche Macht. „Wenn Bischöfe aber Machtspielchen betreiben, müssen sie sich fragen: Stehen wir tatsächlich für die Zehn Gebote, für’s Evangelium?“