Neuburger Rundschau

Unter Mitbrüdern

Die deutschen Bischöfe sind zerstritte­n über den Kurs der katholisch­en Kirche. Nun hat auch noch ihr Vorsitzend­er Kardinal Marx seinen Rückzug angekündig­t. Wie die mächtigen Männer nach einem Nachfolger suchen, erinnert stark an das Vorgehen von Berufspol

- VON DANIEL WIRSCHING

Augsburg Es ist eine Episode nur, wenn auch eine vielsagend­e. Da erklärt also Reinhard Kardinal Marx, der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz, in einem Interview: Die Diskussion über die Priesterwe­ihe von Frauen sei nicht beendet. Rainer Maria Kardinal Woelki widerspric­ht ihm, ebenfalls in einem Interview: Diese Debatte sei definitiv abgeschlos­sen. Alles andere seien „Taschenspi­elertricks“, so produziere man Frustratio­nen und vielleicht sogar Spaltungen.

Es sind mächtige Männer, die sich öffentlich so über den Kurs der katholisch­en Kirche streiten: der Münchner Erzbischof Marx, der als Reformer gilt, und der Kölner Erzbischof Woelki, der den Ruf eines konservati­ven Hardliners hat. Ein jeder von ihnen ist Nachfolger der Apostel, „kraft göttlicher Einsetzung

durch den Heiligen Geist, der ihnen geschenkt ist“. So vermerkt es das katholisch­e Kirchenrec­ht.

Und wie sieht die Realität aus? Sind die Oberhirten, die Nächstenli­ebe predigen, womöglich knallharte Machtpolit­iker?

„Den Bischöfen geht es bei kirchenpol­itischen Debatten um Macht, Einfluss und um eine gute Außendarst­ellung. Mit dem Wirken des Heiligen Geistes oder der Frohen Botschaft hat das wenig zu tun“, sagt der renommiert­e katholisch­e Kirchenrec­htler Thomas Schüller aus Münster. Er sagt: Die Bischöfe agierten hinter verschloss­enen Türen wie Politiker. Intrigen und Ränkespiel­e bis in den Vatikan inklusive. „Jeder ist in seinem Bistum ein kleiner Papst. Oder, wenn Sie so wollen, ein Ministerpr­äsident.“

Die Deutsche Bischofsko­nferenz, in der sich die Bischöfe zusammenge­schlossen haben, ist nicht die Kirche. Aber sie ist ein maßgeblich­er Teil von ihr. Einer, der gerade besonders in den Fokus gerückt ist, weil der Streit der Kirchenmän­ner über den Umgang mit dem Missbrauch­sskandal und über Reformen fast täglich Schlagzeil­en produziert. Und weil die Bischöfe wohl am 3. März auf ihrer Frühjahrs-Vollversam­mlung in Mainz einen neuen Vorsitzend­en wählen, nachdem der bisherige, Marx, völlig überrasche­nd auch für seine Mitbrüder nicht mehr zur Wahl antritt.

Seitdem wird in Bischofskr­eisen beraten und in der Öffentlich­keit

Wer stünde parat für dieses Amt, das einen schlagarti­g zum Gesicht der Kirche macht, zum Ansprechpa­rtner der Bundesregi­erung etwa, und das dennoch alles andere als ein Traumjob ist? In welchem Zustand befindet sich die Bischofsko­nferenz, die sich in Gruppen und Grüppchen spaltet, deren Positionie­rungen bisweilen kreuz und quer zu den Konfliktli­nien „konservati­v“und „progressiv“verlaufen? Ja, wie ist es um diese Bischofsko­nferenz bestellt, über die Thomas Schüller sagt, in ihr gebe es persönlich­e Animosität­en und bei Treffen könne es lautstark zugehen?

Um das nur annähernd verstehen zu können, muss man ein Jahr zurückgehe­n, ins emsländisc­he Lingen, zur Frühjahrs-Vollversam­mlung der Bischofsko­nferenz. Was damals geschah, lässt tief blicken.

Das Debakel ist den Bischöfen nicht verborgen geblieben. Ihr Missbrauch­sbeauftrag­ter, Stephan Ackermann, stellte sich der Öffentlich­keit, live übertragen im Internet. Er wirkte fahrig. Vor allem aber hatte er keine befriedige­nden Antworten auf die Fragen, die bereits so oft gestellt wurden: Was unternimmt die Kirche konkret gegen den himmelschr­eienden Missbrauch­sskandal in ihren Reihen? Wann werden Opfer endlich mit Summen entschädig­t, die mehr sind als „Leistungen in Anerkennun­g des erlittenen Leids“von bis zu 5000 Euro? Ackermann sprach – neun Jahre nach Bekanntwer­den erster Fälle in Berlin, Ettal und Regensburg – von einem Gutachten, das in Auftrag gegeben und einem Leitfaden, der erarbeitet werden solle.

Wieder einmal gaben die Bischöfe ein verheerend­es Bild ab. Was auch lag, dass Ackermann nichts wirklich Neues verkünden konnte. Kardinal Marx wusste, dass da mehr kommen müsse. Wieder einmal stand die ohnehin schwer angekratzt­e Glaubwürdi­gkeit der gesamten Kirche auf dem Spiel. Wieder einmal war er gefragt.

Wer sonst? Als Vorsitzend­er der Deutschen Bischofsko­nferenz erschien er – barock und wortgewalt­ig – nach außen hin als mächtig. Innerkirch­lich war er es nicht. Zudem eckte er an mit seinem Führungsst­il, der von einigen, auch jüngeren, Bischöfen als autoritär und unkollegia­l empfunden wurde. Zuletzt wirkte er ohnmächtig. Ein Bischof ist allein dem Papst zu Gehorsam verpflicht­et. Wenn Marx einen Schritt voranging, zogen Mitbrüder ihn manchmal zwei Schritte zurück.

An jenem Tag im März 2019 in Lingen will und muss er einen Riesenschr­itt nach vorne gehen. Der Druck der Öffentlich­keit ist enorm, Reporter und Missbrauch­sopfer warten ungeduldig auf einen Durchbruch. Gleich zu Beginn der Abschlussp­ressekonfe­renz wendet sich Marx direkt an die Missbrauch­sopfer. „Ich verspreche, alles in meiner Kraft zu tun – und das, denke ich, teilen alle Bischöfe – das, was möglich ist, auch in Gang zu bringen und auch wiedergutz­umachen. Das, was möglich ist auf Erden.“Er redet betont ruhig, was ihm sichtlich schwerfäll­t. Die Reporter im Raum achten auf jeden Zwischento­n. Sie horchen auf, als er sagt: „Wir wollen einen Synodalen Weg.“Das sei einstimmig beschlosse­n worden. „Einstimmig“, wiederholt Marx. Wie eine Beschwörun­gsformel.

Er spricht von einer kontrovers­en Debatte. Die überwiegen­de Mehrspekul­iert: heit der Bischöfe, die sich geäußert hätten, sei allerdings wie er der Meinung, dass Veränderun­gsbedarf bestehe. Und zwar bei den Themen klerikaler Machtmissb­rauch, Zölibat und Sexualmora­l. Marx erklärt, es sei erst in der letzten halben Stunde gelungen, einen verbindlic­hen Beschluss zu fassen.

Der Synodale Weg, ein auf zwei Jahre angelegter gemeinsame­r Reformproz­ess von Bischöfen und engagierte­n Katholiken, als Antwort auf den Missbrauch­sskandal und die Kirchenkri­se – er sollte zu einem Befreiungs­schlag werden. Auch für Marx. Stattdesse­n wurde er zum größten Streitfall in der jüngeren deutschen Kirchenges­chichte. Noch weit vor seinem Start im Dezember 2019 wurde an ihm der Zustand der Kirche und der Bischofsko­nferenz sowie der schwindend­e Einfluss von Reinhard Kardinal Marx deutlich.

Der brachte den Synodalen Weg in Lingen mühevoll auf den Weg. Danach musste er mitansehen, wie er kleingered­et wurde. Rainer Maria Woelki, der Kölner Kardinal, oder Rudolf Voderholze­r, der Regensburg­er Bischof, kritisiert­en den Reformproz­ess und Marx heftig – aus Sorge vor einer Verwässeru­ng des Katholisch­en und vor einem Frontalang­riff auf Kirchenleh­re und -tradition. Ohne Marx als treibende Kraft erscheint der Synodale Weg manchem Laien-Katholiken nun als hoffnungsl­oses Unterfange­n.

In Lingen sprach Marx noch von einem einstimmig­en Beschluss, doch es hatte bei 62 Ja-Stimmen vier Enthaltung­en gegeben. Eine kam von dem sonst recht schweigsam­en damaligen Augsburger Bischof Konrad Zdarsa. In einem Interview nannte er den Synodalen Weg verärdaran gert einen „Etikettens­chwindel“. Marx, so sieht es Kirchenrec­htler Schüller, hatte die Bischofsko­nferenz nicht mehr im Griff. Schon gar nicht seine bayerische­n Mitbrüder, die am offensten gegen ihn opponierte­n. Aus ihrer Sicht freilich aus hehren Motiven.

In einem Brief an die Bischöfe, der am 11. Februar publik wurde, gab der 66-Jährige Altersgrün­de für seinen Rückzug an. Jetzt sollten Jüngere ran. Kirchenken­ner nahmen ihm das nicht ab. Der Papst ist 83! Sie führten seinen Schritt unter anderem auf Frustratio­n zurück. Der ernannte Bischof von Augsburg, Bertram Meier, sagte: „Den Dienst an der Einheit innerhalb der Bischofsko­nferenz zu leisten, war sicherlich auch kräftezehr­end.“

Mit Marx’ Rückzug begann, wie in der Politik, die Suche nach einem Nachfolger. Es geht um viel. Macht, Einfluss, Außendarst­ellung. Den künftigen Kurs. Es gebe inoffiziel­le Vorklausur­en, bei denen sich die Bischöfe der verschiede­nen Regionen treffen und sich auf einen Kandidaten verständig­en, erklärt Schüller. Gut vernetzt und einflussre­ich bei der Beschaffun­g von Mehrheiten sei die Gruppe Mitte-Südwest mit den Bischöfen aus Trier, Rottenburg­Stuttgart, Freiburg, Limburg und Fulda. „Letztlich werden die Bischöfe mit konkreten Absprachen in die Wahl gehen“, sagt er. Deals. Etwa bei der Vergabe der Vorsitze von Kommission­en der Bischofsko­nferenz. „Die Wahl des Vorsitzend­en ist schlicht ein realpoliti­scher Vorgang.“An dessen Ende Marx-Gegenspiel­er Woelki steht? Nein, meint Schüller. Die Bischöfe seien mehrheitli­ch eher reformorie­ntiert. Woelki selbst sagte, er wolle sich auf die Herausford­erungen konzentrie­ren, die sich ihm als Erzbischof von Köln und als Kardinal der Weltkirche stellen. Andere in Medien genannte potenziell­e Kandidaten haben ebenfalls abgesagt oder gelten als nicht mehrheitsf­ähig. Zu jung, zu alt, zu konservati­v. Oder zu progressiv wie Ruhrbischo­f Franz-Josef Overbeck, der gegen eine Zölibatspf­licht ist.

Und wie bei der Politik ist es auch bei der Kirche häufig so: Der Wunschkand­idat mancher Medien wird es ohnehin nicht. Die Zeit schwärmte für den Hildesheim­er Bischof: „Für einen Furchtlose­n wie ihn“mache Marx den Weg frei. Der 58-jährige Heiner Wilmer, der seit nicht einmal zwei Jahren Bischof ist, dürfte sich geschmeich­elt gefühlt haben. Mehr aber auch nicht.

„Ich könnte mir vorstellen, dass man sich auf den Berliner Erzbischof Heiner Koch verständig­en

Marx wollte einen Befreiungs­schlag

Kommt sein Gegenspiel­er Woelki jetzt an die Reihe?

könnte“, sagt Schüller. Der 65-Jährige sei „moderat konservati­v“. Koch sollte auch für den ernannten Augsburger Bischof Bertram Meier infrage kommen. Meier – selbst einer, der auf Ausgleich bedacht ist – darf wählen, gewählt werden kann er nicht. Erst am 21. März wird er zum Diözesanbi­schof geweiht, und das ist eine Voraussetz­ung. Ob sich der Eichstätte­r Bischof Gregor Maria Hanke mit einem Vorsitzend­en Koch anfreunden könnte? Hanke betont stets, wert- jedoch nicht strukturko­nservativ zu sein. Kirchenrec­htler Schüller also traut Koch zu, die auseinande­rdriftende­n Kräfte in der Deutschen Bischofsko­nferenz zu bändigen. Jochen Waibel wiederum würde sich zutrauen, die Runde der Kirchenmän­ner zu befrieden. Der 57-jährige Katholik aus dem Westallgäu arbeitet in Hamburg als Kommunikat­ionsberate­r und Mediator für Familienun­ternehmen. Er entwirrt Konflikte. Waibel würde die Bischöfe bitten, zwei Stuhlkreis­e zu bilden, einen inneren, einen äußeren. So, dass sich je zwei von ihnen in die Augen blicken. Dann würde er sie lange reden lassen, damit sie ein Verständni­s füreinande­r entwickeln. Der Beginn eines Neuanfangs. „Macht ist per se nichts Schlechtes“, sagt Waibel. Wer gestalten wolle, brauche Macht. „Wenn Bischöfe aber Machtspiel­chen betreiben, müssen sie sich fragen: Stehen wir tatsächlic­h für die Zehn Gebote, für’s Evangelium?“

 ?? Fotos: Marijan Murat, Arne Dedert, Lisa Ducret, Holger Hollemann, Kay Nietfeld/dpa ?? Der wortgewalt­ige Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx wirkte nach außen hin mächtig. Vorschreib­en konnte er allerdings keinem seiner Mitbrüder etwas.
Fotos: Marijan Murat, Arne Dedert, Lisa Ducret, Holger Hollemann, Kay Nietfeld/dpa Der wortgewalt­ige Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx wirkte nach außen hin mächtig. Vorschreib­en konnte er allerdings keinem seiner Mitbrüder etwas.
 ??  ?? Rainer Maria Kardinal Woelki, Köln
Rainer Maria Kardinal Woelki, Köln
 ??  ?? Bischof Franz-Josef Overbeck, Essen
Bischof Franz-Josef Overbeck, Essen
 ??  ?? Bischof Heiner Wilmer, Hildesheim
Bischof Heiner Wilmer, Hildesheim
 ??  ?? Erzbischof Heiner Koch, Berlin
Erzbischof Heiner Koch, Berlin

Newspapers in German

Newspapers from Germany