Neuburger Rundschau

Der Arabische Frühling raubte ihm die Macht

Hosni Mubarak trat 2011 als ägyptische­r Präsident zurück. Wie das Land nach seinem Tod zurückblic­kt

- VON MARTIN GEHLEN

Kairo „Du hast mich da reingeritt­en, du und deine Mutter“, herrschte Hosni Mubarak in den dramatisch­en Stunden nach seinem Sturz seinen Sohn Gamal an. „Ihr habt meinen Platz in der Geschichte Ägyptens ruiniert.“Dreimal hatte sich der alte Autokrat 2011 während des 18-tägigen Volksaufst­ands am Nil mit versteiner­ter Miene und tiefen Augenrände­rn in nächtliche­n TV-Ansprachen an seine rebellisch­en Landsleute gewandt. Dreimal lehnte Mubarak einen raschen Rücktritt ab – gedrängt von seinem Sohn Gamal und seiner Frau Suzanne. Mit jedem dieser störrische­n Auftritte brachte er sein Volk mehr in Rage. Erst am 11. Februar 2011 gab der Langzeitph­arao auf. 850 Menschen waren bis dahin bei den landesweit­en Unruhen gestorben, die meisten erschossen durch Scharfschü­tzen der Polizei.

Neun Jahre später ist die Erinnerung an dieses dramatisch­e Finale des Arabischen Frühlings am Nil genauso verblasst wie die damaligen Forderunge­n der Volksmasse­n nach „Brot, Freiheit und sozialer Gerechtigk­eit“. Nur zwölf Monate regierte der demokratis­ch gewählte Nachfolger Mubaraks, der Muslimbrud­er Mohammed Mursi, der 2019 nach sechs Jahren Kerker an den Folgen seiner Haftbeding­ungen starb. Im Juli 2013 putschte der damalige Verteidigu­ngsministe­r Abdel Fattah al-Sisi und brachte mit Gewalt die Armee an die Macht zurück. Verfemte Mitstreite­r Mubaraks tauchten wieder auf. Auch der 2011 verhaftete Alt-Präsident, der wegen seines Schießbefe­hls auf die Demonstran­ten vor Gericht stand, wurde im März 2017 freigespro­chen und kam auf freien Fuß. Und so verbrachte der 91-Jährige, der am Dienstag nach einer Operation auf der Intensivst­ation des Kairoer Militärhos­pitals am Nilufer starb, seinen Lebensaben­d bis zuletzt zurückgezo­gen in der Familienvi­lla im Stadtteil Heliopolis. In die Politik Ägyptens mischte er sich nicht mehr ein, auch wenn er keinen Zweifel daran ließ, dass er Ex-Feldmarsch­all Sisi für den Richtigen an der Spitze des 100-Millionen-Volkes hielt.

Mubarak war kein Mann charismati­scher Auftritte, mitreißend­er Visionen oder zündender Programme. Er bevorzugte das Gewohnte und pflegte staatsmänn­ische Routine. Selbst auf dem Höhepunkt des Arabischen Frühlings begann er seinen Arbeitstag pünktlich früh um sechs Uhr, ging die wenigen Schritte von seiner Wohnung in sein Amtszimmer, stets mit makellos gefärbtem Haar und blauem Anzug, als wenn draußen im Land alles weiter in den gewohnten Bahnen liefe.

Geboren wurde der moderne Pharao am 4. Mai 1928 in dem Fellachend­orf Kafr-el-Moseilha im Nildelta. Sein Vater war Justizbeam­ter. Mubarak machte nach seiner Ausbildung zum Kampfpilot in der Sowjetunio­n rasant Karriere in der Luftwaffe. Die schlug sich unter ihm als Oberbefehl­shaber im JomKippur-Krieg 1973 besser als zuvor im Sechstagek­rieg 1967. Seine Offiziere nannten ihn „härter als Rommel,

aber menschlich o.k.“Zwei Jahre später ernannte Präsident Anwar as-Sadat den politisch unerfahren­en „Helden des Oktoberkri­egs“überrasche­nd zu seinem Vize. Im Nahostkonf­likt verstand Mubarak sich als ehrlicher Makler, auch wenn er es zeitlebens vermied, zu einem offizielle­n Staatsbesu­ch nach Israel zu reisen.

Rückblicke­nd wirkt Mubaraks Machtpraxi­s im Vergleich zum SisiRegime gezügelt. Die Zahl der politische­n Gefangenen heute ist um ein Vielfaches höher als zu den schwärzest­en Mubarak-Zeiten. „Meinungsfr­eiheit existiert nicht mehr in Ägypten. Die Situation ist schlimmer als unter Mubarak“, urteilte Bestseller­autor Alaa Al-Aswani: „Was in Erinnerung bleiben wird, ist die ägyptische Revolution und nicht der Diktator. Sie zwang Mubarak zum Rücktritt. Und wir wissen heute, dass er sich weigerte.“

 ?? Foto: dpa ?? Der Arabische Frühling zwang ihn 2011 zum Rücktritt: Hosni Mubarak.
Foto: dpa Der Arabische Frühling zwang ihn 2011 zum Rücktritt: Hosni Mubarak.

Newspapers in German

Newspapers from Germany