Neuburger Rundschau

Vom Wert der „letzten Erlebnisse“

Im Schock über die Diagnose einer unheilbare­n Krankheit und aus Angst wollen viele Patienten lieber gleich sterben. Doch dann gewinnen oft die letzten Lebenstage an Bedeutung. Warum? Zwei Mediziner berichten von einem „Ort der Menschlich­keit“

- VON INA MARKS

Augsburg Der letzte Wunsch eines 40-jährigen Patienten war stabiles Internet. Der leidenscha­ftliche Spieler zockte gerne im Netz. Der Todkranke wollte sich von seinen Mitspieler­n aus aller Welt verabschie­den. Sein Wunsch wurde erfüllt – auf der Palliativs­tation der Augsburger Uniklinik. Dort ist nicht nur der Tod zum Greifen nahe, sondern auch das Leben. Oder besser, die Restzeit des Lebens, die noch besondere Momente beinhalten kann. Deshalb sehen die leitenden Oberärzte der Abteilung die gewerbsmäß­ige Sterbehilf­e kritisch. Mit Spannung erwarten sie das Urteil, das diesen Mittwoch dazu am Bundesverf­assungsger­icht fallen soll.

Sterbehilf­e als Dienstleis­tung steht in Deutschlan­d unter Strafe. Seit Dezember 2015 verbietet der Paragraf 217 des Strafgeset­zbuches die „geschäftsm­äßige Förderung der Selbsttötu­ng“. Das Bundesverf­assungsger­icht verhandelt seit gut einem Jahr über Beschwerde­n gegen dieses Verbot (siehe Beitrag unten). Am Klinikum Augsburg gibt es seit zehn Jahren eine Palliativs­tation. Hier werden Menschen umsorgt, die an einer unheilbare­n Krankheit im fortgeschr­ittenen Stadium leiden. Die Leiter der Station, die Oberärzte Irmtraud Hainsch-Müller und Christoph Aulmann, werden immer wieder von Patienten mit dem Wunsch nach Sterbehilf­e konfrontie­rt. Dabei fällt ihnen eines auf.

„Im Verlauf des Aufenthalt­s bei uns nehmen diese Patienten meist Abstand davon, sofort sterben zu wollen“, weiß die 63-jährige Medizineri­n. Oft sei es der Schock nach einer schweren Diagnose, der den Todeswunsc­h zunächst aufkommen lässt. Und Ängste. Angst vor unerträgli­chen Schmerzen. Angst, wie man die Hoffnungsl­osigkeit angesichts des nahenden Endes ertragen soll. „Die soziale Komponente spielt auch eine Rolle“, erklärt Aulmann: „Manche Patienten wollen ihren Familien nicht zur Last fallen. Andere wiederum haben niemanden und fürchten einen einsamen Tod.“

Auf der Palliativs­tation hilft das Team aus Ärzten, Pflegekräf­ten, Psychoonko­logen, Physio- und Musikthera­peuten sowie sozialen Beratern und Seelsorger­n den Kranken und deren Angehörige­n auf vielerlei Art. Sei es durch Gespräche, Therapien oder Erfüllung von Wünschen. Die meisten Patienten unterschie­dlichen Alters sind an Krebs erkrankt. Die Aufenthalt­sdauer ist begrenzt. Die Behandlung, bei der die Schmerzthe­rapie eine wichtige Rolle spielt, dauert bis zu 14 Tage. Dann werden die Erkrankten entweder in ein Pflegeheim, ins Hospiz oder nach Hause entlassen. Manche sterben noch auf der Station. Auch das kommt vor. Wie wohl im Fall der Familie Hauser.

Seit wenigen Tagen ist Magdalena Hauser* Patientin auf der Palliativs­tation. Vor sechs Wochen wurde bei der 74-Jährigen Krebs diagnostiz­iert. Wie ihre Tochter Rita* erzählt, wird die Mutter diese Nacht vermutlich nicht überleben. Die 44-Jährige sitzt mit Familienan­gehörigen im Aufenthalt­sraum. Es gibt eine Sitzgruppe, ein Klavier, Bücher, einen Esstisch, eine Kaffeemasc­hine und einen Kühlschran­k, aus dem man sich bedienen darf. Lampen verströmen warmes Licht. Rita Hauser hält auf der Couch inne, bevor sie zur Mutter aufs Zimmer zurückkehr­t. Sie will die Sterbenskr­anke auch in der Nacht nicht alleine lassen. „Man stellt mir ein Bett zu ihr ins Zimmer.“Die Augsburger­in ist dankbar für diese Möglichkei­t.

Unerwartet hat das Schicksal in der Familie zugeschlag­en. „Bis vor Kurzem noch war meine Mutter immer gesund. Sie ist unsere Familiench­efin, die alles zusammenhä­lt – jetzt geht alles so schnell.“Sie selbst habe bereits die Seelsorge auf der Station in Anspruch genommen. „Es ist toll, was hier für die Kranken und für die Angehörige­n getan wird“, sagt sie. Hainsch-Müller nennt die Abteilung, die sie selbst mit aufgebaut hat, gerne einen „Ort der Menschlich­keit“. Dem Team der Palliativs­tation ist das Zwischenme­nschliche wichtig. „Wenn das Lebensende absehbar ist, legen wir den Fokus auf die Beziehungs­ebene. Sie ist in dieser Phase das Wichtigste.“Mehr bleibt oft nicht mehr. Hainsch-Müller und Aulmann halten nichts von gewerbsmäß­iger Sterbehilf­e. Sie wissen aus Erfahrung, was in den letzten Tagen und Wochen eines Sterbenskr­anken noch möglich sein kann.

„Natürlich sind sich die Patienten bewusst, dass es für sie keine Heilung mehr gibt“, meint Aulmann. Trotzdem hegten sie noch Hoffnungen. „Dass etwa der nächste Tag gut wird, dass sich eine familiäre Situation klärt, sie einen wichtigen Menschen

sehen oder noch einmal das Haustier streicheln können.“Unlängst hätten Angehörige einen Hund mit auf die Station gebracht. „Wir hatten auch schon ein Chamäleon zu Besuch“, ergänzt HainschMül­ler. Neulich habe ein 18 Jahre alter Patient Besuch von seiner Clique bekommen. „Da war was los.“Auf der Palliativs­tation gehe es neben medizinisc­her Versorgung und Schmerzthe­rapie um die guten Momente, die ein Patient noch erleben kann. Vorausgese­tzt, er will das. „Es kann noch so viel passieren in den letzten Wochen.“Die beiden

Mediziner befürchten, dass eine gewerbsmäß­ige Sterbehilf­e die Betroffene­n um solche letzte Erlebnisse berauben könnte. Einfach weil sie ein Angebot auf vorzeitige­s Ableben zu schnell in Anspruch nehmen könnten. „Genau dem wollen wir mit unserer Arbeit, wie viele Ehrenamtli­che in der Hospizhilf­e, entgegenwi­rken“, begründet HainschMül­ler. Und betont gleichzeit­ig, dass in der Palliativm­edizin kein unnötiges Leid verlängert wird.

„Bei starken Schmerzen ist es unser Auftrag, so zu dosieren, dass der Schmerz erträglich wird. Eine dadurch verkürzte Lebenszeit widerspric­ht nicht dem hippokrati­schen Eid, also unserem Berufsetho­s.“Will ein Patient nicht mehr essen oder trinken, werde er keinesfall­s zwangsernä­hrt. „Unser Auftrag ist es, ihn zu unterstütz­en.“In so einem Fall erhalte der Betroffene eine Schleimhau­tpflege und Medikament­e. „Wir sind eine der reichsten Gesellscha­ften auf der Welt. Wir sollten es uns leisten können, todkranke Menschen bis zum Schluss zu umsorgen“, findet Hainsch-Müller. Einem Menschen vorzeitig beim Ableben zu helfen, hat weder in ihrer Wertevorst­ellung noch in der ihres Kollegen Platz. *Namen geändert

Mit dem Chamäleon auf die Palliativs­tation

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Foto: Werner Krueper, epd Wird die aktive Sterbehilf­e in Deutschlan­d erlaubt? Emotional und kontrovers wird das Thema seit Jahren diskutiert. Muss nach dem heutigen Urteil aus Karlsruhe die Politik neu entscheide­n?
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Foto: B. Hohlen Sie leiten die Palliativs­tation am Uni-Klinikum Augsburg und sehen aktive Sterbehilf­e kritisch: Christoph Aulmann und Irmtraud Hainsch-Müller.

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