Neuburger Rundschau

Das Ende selbst wählen

Fällt das Verbot, gibt es bereits Konzepte, wie Ärzte Kranken beim Sterben helfen dürfen

- VON CHRISTIAN GRIMM UND TANJA FERRARI

Berlin Selbstmord. Hans-Jürgen Brennecke mag das Wort nicht. Er ist bereit dafür, wenn der Krebs zurückkomm­t. Aber er will es anders nennen. „Man bläst die Flamme aus, die sowieso nur noch flackert“, sagt der 75-Jährige aus der Nähe von Lüneburg. Sein Entschluss steht fest. Noch eine Chemo macht er nicht. „Danach ist man nur noch die Hälfte, körperlich wie seelisch.“Heute werden die höchsten deutschen Richter verkünden, ob Brennecke seinem Leben friedlich ein Ende setzen darf. Mit einem Medikament und im Beisein eines Arztes oder Sterbebegl­eiters. Derzeit ist er stabil, aber sein Krebs ist heimtückis­ch und wenig erforscht. „Er kann jederzeit wieder anfangen.“

Das Bundesverf­assungsger­icht entscheide­t über den Paragrafen 217 des Strafgeset­zbuches. Bis zu drei Jahre Haft, so schreibt es das Gesetz fest, drohen dem, der anderen „geschäftsm­äßig“beim Sterben hilft. Das gilt seit 2015. Mit geschäftsm­äßig meinen die Juristen nicht, dass es um Geld geht. Geschäftsm­äßig heißt so viel wie mehr als einmal.

„Wenn man Opa geholfen hat, darf man Oma nicht mehr helfen.“So interpreti­ert Brennecke den Wortlaut des Gesetzes. Angehörige, die ein einziges Mal dem Tod assistiere­n, bleiben straffrei. Ärzte und Sterbebegl­eiter hilft diese Regelung freilich nichts.

Der Bürger Brennecke will das ändern, genau wie der Arzt Johann Friedrich Spittler. Beide gehören zu den Klägern. „Bevor die Sterbehilf­e strafbar war, habe ich 494 Menschen, die dieses Angebot in Anspruch nehmen wollten, untersucht und Gutachten erstellt“, erzählt der Professor für Neurologie und Psychiatri­e. Für Spittler ist der Paragraf 217 eine Katastroph­e. Praktisch laufe es darauf hinaus, dass Menschen im Ausland Hilfe suchen – viele sehen das rettende Ausland in der Schweiz. „Menschen, die sich Sterbehilf­e wünschen, sind meist nur noch zu einem kleinen Teil für die Palliativm­edizin geeignet“, räumt er ein. Wünschen würde sich Spittler eine Gesetzesla­ge wie in der Schweiz. „Realistisc­her ist es allerdings, dass ein Verbot geschaffen wird mit einer zusätzlich­en Ausnahmere­gelung unter gewissen Bedingunge­n“, sagt er. Eine Liberalisi­erung

sei dringend notwendig. Dass die Sterbehilf­e auf Krankheits­phasenverl­äufe eingeschrä­nkt wird, hält Spittler für falsch.

Die Gesetze in der Schweiz sind Vorbild für die Abgeordnet­en im Bundestag, die in Deutschlan­d die Sterbehilf­e erlauben wollen. „Es gibt ein Recht darauf, die eigene Vorstellun­g über einen würdevolle­n Tod umzusetzen. Diese Entscheidu­ng kann niemand von uns für einen anderen treffen“, sagte die Rechtspoli­tikerin Renate Künast von den Grünen unserer Redaktion. Sie hofft darauf, dass die Verfassung­srichter das Verbot kippen. Sie will die Beihilfe zum Freitod bei Schwerstkr­anken unter strengen Kriterien von der Strafe befreien – für Ärzte und Sterbehilf­evereine. Der Wille des Einzelnen zum Ende muss demnach zweifelsfr­ei festgestel­lt werden, eine Patientenv­erfügung vorliegen und der Beschluss von einer unabhängig­en Person geprüft werden.

Auch Katrin Helling-Plahr (FDP) will die aktive Sterbehilf­e aus dem Strafrecht holen. „Für mich ist die Selbstbest­immung am Lebensende der Ausgangspu­nkt jedweder Überlegung­en. Wir dürfen die Betroffene­n

nicht alleinlass­en“, sagte die Abgeordnet­e unserer Redaktion. Neben der Diagnose und einer festen Willenserk­lärung sieht ihr Konzept vor, dass die Todkranken zuerst verpflicht­end eine Beratungss­telle besuchen müssen.

Sollten die Richter den Paragrafen 217 für grundgeset­zwidrig erklären, wollen die Liberalen, dass sich der Bundestag fraktionsü­bergreifen­d nochmals mit dem Thema auseinande­rsetzt – also ohne Fraktionsz­wang.

Damals vor fünf Jahren war das auch der Fall, und die Mehrheit der Parlamenta­rier stimmte für die umstritten­e Regelung. Auch Unionsfrak­tionsvize Georg Nüßlein (CSU). „Die organisier­te Sterbehilf­e sollten wir nicht fördern. Wir sind seinerzeit sehr sorgsam mit dem Thema umgegangen“, sagte Nüßlein unserer Redaktion. Er setzt darauf, dass die Richter das genauso beurteilen. „Aber ich kann verstehen, dass das Betroffene anders sehen.“

Brennecke rechnet damit, dass er Recht bekommt. Er war im April letzten Jahres bei der mündlichen Verhandlun­g in Karlsruhe dabei. „Aus den Fragen der Richter konnte man heraushöre­n, dass es nicht so bleiben soll, wie es jetzt ist.“

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