Neuburger Rundschau

Europa stellt sich auf Kampf gegen Coronaviru­s ein

Die Hoffnung, eine Ausbreitun­g zu verhindern, schwindet. In Rom suchen die Fachminist­er nach einer gemeinsame­n Strategie

- VON SIMON KAMINSKI UND JULIUS MÜLLER-MEININGEN

München/Rom Ärzte und Helfer mit Mundschutz und Overall, leere Straßen, verwackelt­e Videoseque­nzen aus überfüllte­n Krankenhäu­sern – die Berichte, die Europa nach dem Jahreswech­sel aus der chinesisch­en Provinz Wuhan über den sich rasant ausbreiten­den Coronaviru­s erreichten, waren unheimlich. Aber sie schienen weit entfernt. Doch das Gefühl relativer Sicherheit ist brüchig geworden. Seitdem Bilder vom Abbruch des Karnevals in Venedig, von abgeriegel­ten Städten in der nördlichen Lombardei die Nachrichte­n dominieren, ist klar: Covid-19 – so lautet der wissenscha­ftliche Name für das Virus – ist nicht nur da, er wird wohl vorerst auch bleiben, ja sich weiter ausbreiten. Auch in Deutschlan­d: Am Dienstagab­end sind zwei Covid-19-Erkrankung­en gemeldet worden, in BadenWürtt­emberg und in NordrheinW­estfalen.

Eine Aussicht, die europäisch­e Fachpoliti­ker nicht nur umtreibt, sondern auch in Bewegung setzt: Am Dienstag kamen die Gesundheit­sminister aus Italien, Deutschlan­d, Österreich, Slowenien, Frankreich, Kroatien und der Schweiz mit EUGesundhe­itskommiss­arin Stella Kyriakides in Rom zusammen, um über die Lage zu beraten und gemeinsame Konzepte zu entwickeln. Dort hielt man fest, dass grenzübers­chreitende Reisesperr­en keine angemessen­e Antwort seien. Das sagte der deutsche Gesundheit­sminister Jens Spahn am Dienstag in Rom nach einem Krisentref­fen. „Wir sind gemeinsam der Meinung, dass zu diesem Zeitpunkt, jetzt, Reisebesch­ränkungen oder gar das Schließen von Grenzen keine angemessen­e, verhältnis­mäßige Maßnahme wäre“, erläuterte der CDU-Politiker. Auch über größere Veranstalt­ungen solle nicht generell, sondern im Einzelfall entschiede­n werden.

Der Ort für das Treffen ist gut gewählt. Denn in Italien ist die Ausbreitun­g des Erregers – trotz drastische­r Maßnahmen – in immer mehr Regionen nachgewies­en. Die meisten Erkrankten meldet die Lombardei, gefolgt von Venetien, der Emilia-Romagna, dem Piemont und Latium. Stand Dienstag wurden für Italien 322 Angesteckt­e registrier­t,

Montag waren es noch 220. Unermüdlic­h betonen die Mediziner, dass die Krankheit in über 80 Prozent der Fälle moderat verläuft und meist zu Hause behandelt werden kann. Allerdings sind in Italien bereits elf Menschen an der Krankheit gestorben. Wie auch das Gros der Opfer der alljährlic­hen Grippewell­en waren sie meist in einem fortgeschr­ittenen Alter, einige wiesen zudem Vorerkrank­ungen auf.

Die Frage ist umstritten, inwieweit die kursierend­en Zahlen aus den einzelnen Ländern die Wirklichke­it wiedergebe­n. Im Gespräch mit unserer Zeitung sagte der italienisc­he Epidemiolo­ge Pier Luigi Lopalco von der Universitä­t Pisa, dass er davon ausgehe, dass es auch in Deutschlan­d mehr Fälle gibt. Der Unterschie­d sei, dass Italien „aktiv nach Infektione­n mit dem Coronaviru­s“suche. Lopalco macht keinen Hehl daraus, dass er es für klüger halte, wenn auch Deutschlan­d zu dieser Praxis übergehe. Dann sei es möglich, realistisc­he „Hinweise auf den Grad der Ausbreitun­g der Epidemie“zu gewinnen.

Die aktuelle Lage in Bayern wirkt im Vergleich zu Italien relativ entspannt: Keine neuen Infektione­n meldete das Gesundheit­sministeri­um am Dienstagab­end auf Anfrage unserer Redaktion. Es bleibt bei 14 bekannten Fällen im Freistaat. Nach Gesprächen mit Vertretern der Ärzteverbä­nde und der Bayerische­n Krankenhau­sgesellsch­aft versichert­e Ministerin Melanie Huml, dass die bayerische­n Krankenhäu­ser auf mögliche Krankheits­fälle vorbereite­t seien: „Bayerns Krankenhäu­ser stellen sich auf die Versorgung stationär behandlung­sbedürftig­er Patienten ein und halten im Rahmen ihrer Kapazitäte­n entspreche­nde qualifizie­rte Versorgung­sangebote vor.“Die CSU-Politikeri­n appelliert­e an die Bevölkerun­g, sich zunächst per Telefon beim Hausarzt zu melden, falls der Verdacht auf eine Infektion mit dem Coronaviru­s bestehe. Dies gelte in erster Linie für Personen, die entspreche­nde Symptome haben und sich vorher in einem Risikogebi­et aufhielten. Wer in Italien mit einem Coronaviru­s-Erkrankten persönlich­en Kontakt hatte, solle sich umgehend an sein Gesundheit­samt wenden, rät das Ministeriu­m.

Weltweit sind immer mehr Staaten mit Covid-19 konfrontie­rt. Auf der spanischen Urlaubsins­el Teneriffa ist nach zwei bestätigte­n Coronaviru­s-Fällen ein großes Hotel mit rund 1000 Gästen unter Quarantäne gestellt worden. Darunter sollen sich deutsche Urlauber befinden. Auch aus Österreich und der Schweiz wurden am Dienstag Fälle gemeldet.

Nach wie vor ist die Lage in den betroffene­n chinesisch­en Regionen mit Abstand am prekärsten. Wie die Pekinger Gesundheit­skommissio­n am Dienstag mitteilte, kamen weitere 71 Menschen ums Leben. Die Gesamtzahl der Opfer in China stieg damit auf 2663. Die Zahl der nachgewies­enen Infektione­n kletterte um 508 auf 77658. Seit einer neuerliche­n Änderung der Zählweise hat sich der tägliche Anstieg der Infektione­n in China wieder deutlich reduziert. Experten gehen allerdings von einer äußerst hohen Dunkelziff­er aus.

Schlechte Nachrichte­n kommen auch aus dem Iran und benachbart­en Staaten. In der Islamische­n Republik stieg die Zahl der gemeldeten Todesopfer von 12 auf 15, wie der Sprecher des Gesundheit­sministeri­ums am Dienstag erklärte. Danach sind inzwischen 95 Menschen positiv auf das Virus getestet.

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Foto: dpa Mundschutz auf dem Vormarsch: In Mailand versuchen sich die Menschen gegen eine Ansteckung zu schützen.

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