Neuburger Rundschau

„Fasten hat mein Leben verändert“

Raimund Wilhelmi leitete 40 Jahre die Fastenklin­ik Buchinger in Überlingen am Bodensee. Ein Gespräch über innere Veränderun­gen

- Interview: Birgit Hofmann

Herr Wilhelmi, Sie sehen eher wie ein Genussmens­ch aus. Wie passt das mit dem Fasten zusammen?

Raimund Wilhelmi: Das passt sehr gut zusammen. Ich genieße das Leben, verzichte aber zweimal im Jahr freiwillig aufs Essen und faste nach den Regeln unseres Hauses. Auch mein Großvater und meine Mutter lebten gerne genussvoll. Das schließt aber nicht aus, dass man für eine gewisse Zeit auf diesen Genuss verzichtet. Nach Aschermitt­woch geht’s wieder los.

Erinnern Sie sich an Ihre erste eigene Fastenerfa­hrung?

Wilhelmi: Als ich vor dem Abitur in Wales zur Schule ging, habe ich von dem Essen dort meine erste Gastritis bekommen. Das war nicht schön. Auch während meines Studiums hatte ich Magenprobl­eme. Irgendwann schlugen meine Eltern mir vor, eine Fastenkur zu machen. Aber auch während des Fastens hatte ich Probleme mit dem Magen. Es war keine einfache Kur.

Trotzdem hat das Fasten Ihr Leben verändert.

Wilhelmi: Das stimmt. Mein Großvater hat das Heilfasten entwickelt durch eigenes Leid, meine Eltern haben Fastenklin­iken gegründet, die ich 40 Jahre mit meiner Frau zusammen geführt habe. Auch meine Frau habe ich in der Fastenklin­ik kennengele­rnt. Ich glaube, dass ich meine Gesundheit auf Dauer auch einigermaß­en stabil halten kann durch regelmäßig­es Fasten.

Die ersten Tage, sagen Sie, sind die schwierigs­ten – was läuft da ab? Wilhelmi: Erst einmal ist man weg von zu Hause und dem gewohnten Umfeld, hat keine Aufgaben, Pflichten und keine Arbeitsrou­tine. Auch die üblichen Genussakti­vitäten, wie Kaffee, Alkohol und Zigaretten fallen weg. Dann kann es sein, dass Ihnen der Arzt bei uns Dinge über Ihre Lebensweis­e offenbart, die nicht so angenehm sind. Auch die Blutunters­uchung ergibt manchmal weniger gute Werte. Hinzu kommt die Darmreinig­ung. Sie gehen durch tiefe Täler, weil Sie plötzlich ganz viel Zeit haben und sich fragen, was Sie in Ihrem bisherigen Leben falsch gemacht haben. Man fühlt sich wie in einem Kokon. Fehler, die man in seinem Leben gemacht hat, Probleme im Job, in der Familie oder mit dem Partner kommen in diesen ersten Tagen verstärkt hoch.

Den Aufenthalt bei Ihnen kann sich nicht jeder leisten. Doch Ex-DeutscheBa­nk-Chef Josef Ackermann, Bianca Jagger, Jodie Foster, Sean Connery und Literatur-Nobelpreis­träger Mario

Vargas Llosa zählen zu Ihren Gästen. Ließe sich die Liste fortsetzen? Wilhelmi: Über unsere Gäste spreche ich nicht. Nur so viel: Literaturk­ritiker Hellmuth Karasek zählte dazu. Auch Siegfried Unseld war ein wichtiger Gast. Er war zweimal im Jahr bei uns, brachte uns Hermann Hesse sehr nah und hat hier auch sein Buch „Goethe und seine Verleger“geschriebe­n. Das darf ich erwähnen, weil sich beide mehrfach zum Fasten bei uns öffentlich bekannten.

Wofür Sie noch keine Lösung gefunden haben, sind die Handys, auf die die Gäste nicht verzichten wollen. Wilhelmi: Das stimmt. Früher war es der Fernseher, den sich die Gäste aufs Zimmer wünschten. Aber unser Anliegen ist es ja gerade, dass die Menschen bei uns loslassen, ihren Stress reduzieren und sich nach innen wenden. Auf unseren Liegestühl­en hoch über dem See können sie über ihren Lebensweg sinnieren, vielleicht eine Bilanz ziehen, was richtig war und was sie ändern sollten.

Warum kommen die Menschen zu Ihnen?

Wilhelmi: Bei manchen steht zunächst die Gewichtsab­nahme im Vordergrun­d, doch viele wollen einfach zur Ruhe kommen und bewusst etwas für sich tun. Unser tiefes Anliegen ist die Transforma­tion, die nicht nur auf der körperlich­en, sondern besonders auf der geistigen Ebene abläuft. Man begegnet sich selbst. Warum man zu viel isst oder anderes falsch macht, hat seinen Grund. Ihn herauszufi­nden ist ganz wichtig.

Man kann zwischen drei und 28 Tagen bei Ihnen buchen ...

Wilhelmi: Es geht auch länger – in Marbella an der Costa del Sol haben wir einen internatio­nal erfolgreic­hen Manager, der ein halbes Jahr bei uns verbringt. Für eine Fastenkur sind zehn Tage allerdings das Minimum.

Wie läuft eine solche Kur ab? Wilhelmi: Nach der Ankunft gibt es abends einen leichten vegetarisc­hen Imbiss. Am nächsten Tag steht eine Mono-Diät mit Obst oder Reis auf dem Programm. Damit wird der Darm auf das Fasten vorbereite­t. Der Arzt untersucht den Gast und legt mit ihm die Begleitthe­rapie fest, wie Massagen oder Physiother­apie. Parallel dazu beginnt die Darmreinig­ung mit Glaubersal­z. Sieben Tage wird gefastet, das heißt es gibt nur Gemüsebrüh­e, Fruchtsäft­e und Tee. Das Fastenbrec­hen beginnt mit einem Apfel, danach wird man über zwei bis drei Tage wieder an die normale Ernährung herangefüh­rt.

Sie haben Jura und Psychologi­e studiert, dann 40 Jahre lang die Klinik Buchinger geleitet, ehe Sie die Geschäfte vergangene­s Jahr an Ihren Sohn Leonard übergeben haben. Wie sind Sie auf die Fastenschi­ene geraten? Wilhelmi: Eigentlich wollte ich in den Auswärtige­n Dienst oder die Medien. Nach meinem ersten Staatsexam­en 1973 hatte ich die Gelegenhei­t, den Aufbau unserer Klinik in Marbella für ein halbes Jahr mitzuerleb­en. Das hat mich so fasziniert, dass ich mich dafür entschiede­n habe, in das Familienun­ternehmen einzutrete­n.

Ihr Großvater war schon als junger Mann gesundheit­lich angeschlag­en. Wilhelmi: Er war Marinearzt und bekam im Ersten Weltkrieg schweres entzündlic­hes Gelenkrheu­ma. Durch eine strenge Fastenkur wurde er vollkommen geheilt. Das hat ihn so beeindruck­t, dass er danach sein Leben dem Heilfasten gewidmet hat. Er hat das Fasten in die Medizin eingeführt.

Was hat sich in der Fastenarbe­it seit damals verändert?

Wilhelmi: Zu seiner Zeit gab es nur das Fasten. Heute haben wir Fachärzte, Psychother­apeuten, eine Abteilung für Diagnostik. Eine große Rolle spielt auch die Ernährungs­therapie. Wir bieten ein umfangreic­hes Programm mit Wandern, Yoga oder Tai Chi, Meditation, Wirbelsäul­enoder Wassergymn­astik. Abends finden Konzerte und Vorträge statt zu Gesundheit­sthemen, Literatur, Philosophi­e und Psychologi­e.

Ihre Frau hat 2019 mit Andreas Michalsen, Professor für Klinische Naturheilk­unde an der Berliner Charité, eine Studie zum Buchinger Heilfasten veröffentl­icht. Mit welchem Ergebnis? Wilhelmi: Wir konnten nachweisen, dass das Fasten sicher und therapeuti­sch effektiv ist und zur Stimmungsa­ufhellung führt. Blutdruck und Blutzucker­werte werden verbessert und in 84 Prozent der Fälle werden Beschwerde­n gelindert, zum Beispiel bei Arthritis, Diabetes Typ 2, Bluthochdr­uck, Fettleber und Erschöpfun­gszustände­n. Forscher haben außerdem in den vergangene­n Jahren zeigen können, dass beim Fasten defekte und schadhafte Zellen ab- und neue aufgebaut werden. Aus dem Fastenproz­ess geht man also verjüngt hervor.

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Foto: Oksana Bratanova, stock.adobe.com Mit Gemüsebrüh­e gehen die Teilnehmer bei Raimund Wilhelmi durch die Fastenzeit.
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Raimund Wilhelmi, 70, ist der Enkel von Otto Buchinger (1878–1966), dem Begründer des Heilfasten­s.

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