Nesselwang hat wieder die Wahl
In dem Luftkurort im Ostallgäu tut sich Bemerkenswertes: Es gibt zwei Bewerber für das Amt des Bürgermeisters. Bemerkenswert deshalb, weil es das zuletzt 1972 gegeben hat
Nesselwang Wahl „ist die Möglichkeit des Aussuchens unter mehreren“, wussten schon die Brüder Grimm in ihrem 1854 erstmals erschienenen Deutschen Wörterbuch. In diesem Sinne haben die Nesselwanger in Sachen Bürgermeister heuer erstmals seit langem wieder die Wahl. Seit sich 1972 Oswald Kainz von der CSU gegen seinen Gegenkandidaten von den Freien Wählern durchgesetzt hatte, stand immer nur ein Name auf dem Wahlzettel. Bis zu diesem Jahr.
Um die Nachfolge von Franz Erhart, der aus Altersgründen nicht mehr antreten darf, bewerben sich mit Pirmin Joas, Geschäftsführer der Nesselwang Marketing GmbH, und Bauamtsleiter Christoph Uhl zwei seiner leitenden Mitarbeiter. Es gibt also wieder so etwas wie einen Wahlkampf um den Bürgermeistersessel im historischen Rathaus.
Sehr hart „und auch nicht immer fair“sei der Wahlkampf 1972 gewesen, erinnert sich Oswald Kainz. Kommunalpolitisch war es ohnehin ein Jahr des Umbruchs in Nesselwang. Für den Marktgemeinderat, der bis dahin ständisch organisiert war, bewarben sich erstmals Parteien und politische Gruppierungen. Und angesichts der Gebietsreform entschied man sich, einen hauptamtlichen Bürgermeister zu beschäftigen, um die Selbstständigkeit zu sichern. Der in Vilsheim bei Landshut geborene Kainz, der eine Ausbildung bei der Stadt Königsbrunn angetreten hatte und in der Bauverwaltung arbeitete, war ebenso wie sein Gegenkandidat unter den
Bewerbern, die sich auf ein Inserat hin gemeldet hatten.
Im Wahlkampf wurden teils schwere Geschütze aufgefahren. Die finanzielle Situation des Gegners wurde durchleuchtet und ihm sogar eine Schriftprobe abgeluchst, um ein grafologisches Gutachten über ihn zu erstellen, erzählt Kainz. Anscheinend fiel es aber nicht schlecht für ihn aus, denn er erfuhr erst Jahre später davon. Entsprechend war er ganz froh drum, dass sich so etwas bei den folgenden Wahlen mangels Gegenkandidat nicht wiederholte. Das hieß jedoch nicht, dass er sich seines Postens sicher sein konnte.
Zum einen können Wähler einen anderen Namen auf den Wahlzettel schreiben, wenn dieser nur einen Kandidaten enthält. Zum anderen gab es aus den eigenen Reihen den Versuch, Kainz 1978 mit einer taktischen Variante von einer erneuten
Kandidatur abzuhalten: Der Bürgermeisterposten wurde wieder zum Ehrenamt erklärt. Doch Kainz ließ sich davon nicht abschrecken. Er hatte schon einen, wenn auch reduzierten Pensionsanspruch erworben, trat formell in den Ruhestand und bestritt seinen Lebensunterhalt dazu mit der Dienstaufwandsentschädigung, die ihm als ehrenamtlichem Verwaltungschef zustand.
Zwei Wahlperioden hielt er auf diese Weise durch, dann kehrte Nesselwang zum hauptamtlichen Bürgermeister zurück. Der heute 82-jährige Kainz blieb bis 1996 im Amt, dann trat er nicht mehr an.
Die Position übernahm sein damaliger Stellvertreter Josef Köberle, der sie 2008 an Franz Erhart, zu der Zeit Geschäftsführer der Alpspitzbahn, weitergab. Damals hatte sich für die beiden jeweils kein Gegenkandidat gefunden. Nun bekommt ihr auserkorener Nachfolger Pirmin Joas einen ernsthaften Herausforderer. Und das, obwohl den 30-Jährigen neben seiner CSU auch die Freien Wähler als zweitstärkste Kraft im Marktgemeinderat nominierten.
Der Gegenkandidat, Bauamtsleiter Christoph Uhl, 47, ist zwar nur von der SPD nominiert, die lediglich zwei Mitglieder im Marktgemeinderat stellt. Allerdings kann er neben der Verwaltungserfahrung auch seine Verwurzelung im Ort in die Waagschale werfen. Joas wuchs in Oberstdorf auf und kam erst vor fünf Jahren nach Nesselwang, um die Leitung der Gästeinformation zu übernehmen.