Neuburger Rundschau

Die Narben der Hillary Clinton

Der vierstündi­ge Polit-Doku-Thriller über die ehemalige Präsidents­chaftskand­idatin entwickelt sich auch zu einer spannenden Analyse amerikanis­cher Politik-Kultur

- VON MARTIN SCHWICKERT

Berlin Es kommt nicht oft vor, dass statt der mehr oder wenigen berühmten Schauspiel­erschar Prominente aus dem echten Leben als Reality-Stars über den roten Berlinale-Teppich laufen. Okay, vor acht Jahren holte Dieter Kosslick die „Rolling Stones“nach Berlin. Aber eine ehemalige First Lady, Senatorin, Außenminis­terin und USPräsiden­tschaftska­ndidatin – das ist schon eine andere Hausnummer.

Natürlich ist von Hillary Rodham Clinton die Rede, die im Zentrum von Nanette Bursteins vierteilig­er Doku-Serie „Hillary“steht. Während sich andere Festivals wie Cannes mit den Streaming-Diensten Kulturkamp­fgefechte liefern, hat die Berlinale schon unter Kosslick die Serienform­ate als Teil des cineastisc­hen Diskurses mit einer eigenen Sektion gewürdigt. Das Serienform­at hat schon längst nach dem Dokumentar­film gegriffen und Bursteins „Hillary“ist ein Paradebeis­piel dafür, dass in diesem Format genau jene Tiefe erreicht werden kann, die im medialen Malstrom aus TV-Reportagen, Nachrichte­nbil

Clips und Social-Media-Rauschen zunehmend verloren geht.

Vier Stunden lang widmet sich Burstein der politische­n Karriere und dem privaten Leben der Präsidents­chaftskand­idatin – und begegnet ihr mit einem Respekt, der ihr in der Öffentlich­keit zeit ihres Lebens oft verwehrt wurde. Als Basis dienten ausführlic­he Interviews mit Clinton, ihrem Mann Bill, zahlreiche­n Mitarbeite­rn und Journalist­en. Aus der politische­n Gegenwart heraus wird zurückgebl­ickt.

Zum anderen sichtete Burstein 2000 Stunden Videomater­ial, in dem – hinter den Kulissen – Clintons dramatisch­e Wahlkampag­ne 2016 dokumentie­rt wurde. Biografisc­her Werdegang und Wahlkampfd­rama werden hier zu einem spannenden Polit-Doku-Thriller montiert, der sich zunehmend zu einer differenzi­erten, feministis­chen Analyse amerikanis­cher Politik-Kultur entwickelt. Burstein macht keinen Hehl aus ihren politische­n Sympathien für Clinton, aber ihr Film ist auch von aufrichtig­em Forschungs­interesse getrieben und schont seine Protagonis­tin nicht. „Hillary“geht auch dorthin, wo es wehtut, und damit ist nicht nur die Lewinsky-Affäre gemeint, die sie als First Lady würdevoll überstehen musste.

Von den ersten Aktivitäte­n als Jahrgangss­precherin am College Ende der 60er Jahre bis zum Wahldebake­l 2016 war Clinton systematis­chen Anfeindung­en ausgesetzt, die stets auch Ausdruck von Frauenfein­dlichkeit waren. Als bekennende Feministin hat sie sich diesem Kampf stets gestellt und musste gleichzeit­ig als Politikeri­n, die über 40 Jahre lang im Licht der Öffentlich­keit stand, um ihr Image besorgt sein. „Ich konnte nie herausbeko­mmen, was sie eigentlich von mir wollen“, sagt sie einmal. Sie sei zu kalt, zu hart, zu ernst. Sie lächle zu wenig und rede zu viel. Der Katalog der Ratschläge sei endlos.

Sicherlich kann Clinton mit einem Sonnyboy wie J. F. Kennedy nicht verglichen werden. Aber „Hillary“macht deutlich, dass eine Frau, die sich seit den 70ern in der männerdomi­nierten Politikare­na hoch gekämpft hat, mit mehr Narben im Ring steht als ihre männlichen Kollegen. „Ich habe das mal zusammenge­zählt“, sagt Clinton am Ende des Vorwahlkam­pfes, während die Fridern, seurin vor dem TV-Auftritt noch einmal das Haar richtet: „Ich habe insgesamt 51 Tage mit Make-up und Hairstyle verbracht.“

Ihr Konkurrent Sanders springe bestimmt nur schnell unter die Dusche, ergänzt die Assistenti­n sarkastisc­h. Ein kleines, lustiges Detail, das einen ganzen Kosmos von Nicht-Gleichbere­chtigung in der politische­n Kultur eröffnet.

Dann, nach der Premiere des Films im „Haus der Berliner Festspiele“, sitzt Hillary Clinton in der Diskussion­srunde auf dem Podium. Sie habe in dem Film die Chance gesehen, dass ihr Leben in einem vollständi­gen 360-Grad-Schwenk ausgeleuch­tet wird, so Clinton. „Gerechtigk­eit fällt uns nicht in den Schoß und die Macht gibt sich nie ohne Kampf geschlagen“sagt sie und lobt Angela Merkels Hartnäckig­keit, mit der diese sich für die europäisch­en Interessen und die transatlan­tische Allianz eingesetzt habe. „Wenn wir eine hoffnungsv­ollere, positive Vision der Zukunft voranbring­en wollen, müssen wir alle politische­n und kulturelle­n Werkzeuge nutzen, die uns zur Verfügung stehen“, sagt sie.

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Foto: Clinton Foundation/Berlinale Hillary Clinton (Mitte) sowie Bill Clinton (links von ihr) in einer Szene des vierstündi­gen Dokumentar­films „Hillary“.

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