Die unterrepräsentierte Frau
Die Zahl der Autorinnen in den Programmen der Verlage ist ernüchternd
Leipzig Im Literaturbetrieb tut sich was: Alte Strukturen werden erwischt von einer Welle der Empörung darüber, dass Autorinnen im Buchmarkt unterrepräsentiert sind. Debatten um die Sichtbarkeit von Schriftstellerinnen flammen auf. Mittlerweile betonen Buchpreis-Juroren, dass sie auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis achten. Verlage wollen zunehmend Frauen unter Vertrag nehmen. Doch Kritikerinnen sind sich einig: Es ist noch ein langer Weg bis zum Gleichgewicht. Dafür müsse an vielen Stellschrauben gedreht werden.
Eine Aktion sorgte vor kurzem für Aufsehen: Die Literaturwissenschaftlerinnen Berit Glanz und Nicole Seifert riefen im November dazu auf, Autorinnen in den Verlagsvorschauen des Frühjahrsprogramms zu zählen. Glanz: „Wir haben uns gewünscht, damit eine inhaltliche Debatte anzustoßen, Gespräche darüber zu führen, wie der Literaturbetrieb in vielerlei Hinsicht diverser werden kann.“Das ist gelungen, das Ergebnis ist ernüchternd: Frauen sind im Literaturbetrieb unterrepräsentiert. In den untersuchten Verlagen kämen drei Autoren auf zwei Autorinnen. „Die Tendenz: Je höher das literarische
Prestige eines Verlages, desto mehr scheint er auf Männer im Programm zu setzen“, fassten die Literaturwissenschaftlerinnen zusammen.
Nun folgt die Debatte, wie dieses Ungleichgewicht zu werten ist, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Quoten werden diskutiert und verworfen – es müsse schließlich um Qualität gehen, heißt es. Auch die Germanistin Andrea Geier hält nichts von einer Autorinnen-Quote. Vielmehr müsse man sich bestehende Strukturen bewusst machen und diese hinterfragen, sagt die Wissenschaftlerin der Uni Trier. Sie fordert einen Perspektivwechsel. Verlage müssten sich etwa Gedanken über bisherige Auswahlkriterien machen und diese hinterfragen.
Etwa bei Buchpreisen. Sie könnten Aufmerksamkeit lenken, ist sich Jens Bisky sicher, der den Vorsitz der Jury für den Preis der Leipziger Buchmesse innehat. Die Jury besteht aus vier Kritikerinnen und drei
Kritikern. Das Gleichgewicht von Frauen und Männern sei bei Nominierungen ausführlich besprochen worden, sagt Bisky. Auf die Liste kamen in der Belletristik 2020 schließlich drei Männer und zwei Frauen. Im Vorjahr gewann Anke Stelling die Auszeichnung.
Im Frühjahrsprogramm des Hanser-Verlags machen Autorinnen laut Stichprobe von Glanz und Seifert nur 22 Prozent aus. Verleger Jo Lendle führt das auf gewachsene Strukturen zurück: Autoren und Autorinnen würden über Jahre begleitet. „Diese Kontinuität führt dazu, dass Entwicklungen sich erst nach und nach in Proportionen niederschlagen“, so Lendle. „In den letzten Jahren machen Schriftstellerinnen den Großteil der Neuzugänge aus.“Im Herbstprogramm liegt der Anteil der Autorinnen laut Lendle bei 42 Prozent.
Das Zählen solle weitergeführt werden, sagt Andrea Geier – es halte den Druck hoch, dass sich wirklich etwas ändert. Sie hofft, dass Frauen in Zukunft nicht mehr vorwiegend als Expertinnen für Kinderbücher gelten, sondern auch sonst als genauso kompetent wie ihre männlichen Kollegen wahrgenommen werden.