Neuburger Rundschau

Ananas statt Kunststoff

Autoherste­ller entdecken mehr und mehr das Thema Nachhaltig­keit. Das gilt insbesonde­re für die Materialie­n

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PET-Flaschen, Altkleider, Flachs und der Verschnitt aus der eigenen Produktion: Autoherste­ller bedienen sich seit langem recycelter und nachwachse­nder Rohstoffe – künftig sollen die Käufer das auch sehen.

Mit einem möglichst umweltfreu­ndlichen Antrieb ist es für Daimler-Chef Ola Källenius heute nicht mehr getan. Damit das Auto und mit ihm seine Hersteller eine Zukunft haben, müsse der Einsatz von Material und Energie reduziert, Teile wiederverw­endet und Rohstoffe recycelt werden. Nur so könnten das gesamte Produkt und seine Produktion nachhaltig und damit CO2-neutral werden. Für seine Firma hat Källenius dieses Ziel für 2039 ausgegeben. Bei anderen Hersteller­n gibt es ähnliche Vorgaben.

Das zwingt sämtliche Bereiche eines Unternehme­ns zum Umdenken und eröffnet zugleich neue Möglichkei­ten. Nirgends wird das so deutlich wie beim Design. Weil Nachhaltig­keit im Trend liegt, müssen die Kreativen die Materialie­n aus der Bio- oder der Wertstofft­onne nicht mehr verstecken, sondern können sie prominent inszeniere­n.

„Natürlich gab es schon immer Dämmmatten aus nachwachse­nden Rohstoffen oder recyceltem Müll“, sagt Steffen Köhl, der bei Mercedes das Advanced Design leitet. „Doch jetzt holen wir solche Materialie­n aus der Deckung und trauen uns auch, sie zu zeigen.“Die MercedesSt­udie AVTR soll mit ihren vielen Zierelemen­ten aus Rattanholz eine Art Werbeträge­r für den Naturschut­z sein.

Konkurrent BMW geht offensiv mit dem Recycling um und spricht von neuem „Müll“, der in seinen Modellen Einzug hält. Nachdem die Modelle i3 und i8 ohnehin schon Innenräume aus besonders nachhaltig­en Materialie­n hatten, haben die Bayern noch einmal nachgelegt und eine Kleinserie des i3 weiter ins Grüne geschoben: Der Tisch und die Taschenabl­age im i3 Urban Suite seien aus geöltem Eichenholz hergestell­t worden, das aus zertifizie­rter Holzwirtsc­haft stamme. Das Leder im Fond sei dank Olivengerb­ung komplett schadstoff­frei. Auch der Stoff sei nachhaltig: Er bestehe aus reinem PET-Rezyklat.

Wurde die Fußmatte bislang mit mehreren unterschie­dlichen KunstAusge­diente hergestell­t, die laut BMW nicht wieder voneinande­r getrennt und wiederverw­endet werden konnten, habe man diese auf eine Materialie­nkombinati­on reduziert. Die Fußmatte könne jetzt nach ihrer Verwendung im Fahrzeug zu 100 Prozent wieder in den Materialkr­eislauf integriert werden, so der Hersteller.

Ebenfalls mit alternativ­en Materialie­n wirbt Skoda bei der Studie Vision IN, die auf der Motor Show in Delhi enthüllt wurde: Ausgerechn­et in Indien, wo die Straßen voll Schmutz sind und die Menschen oft buchstäbli­ch im Müll leben, zeigen die Tschechen ein SUV mit veganen Verkleidun­gen an Boden und Dach. Konsolen und Sitzbezüge sind aus

Leder, das mit Eichenextr­akten oder mit Rhabarber statt mit Chemikalie­n behandelt wurde. Und die Fußmatten sind aus Ananaslede­r, das aus Blättern der Tropenfruc­ht hergestell­t wird, erläutert Designchef Oliver Stefani.

Solche Überlegung­en kommen nicht von ungefähr, sagt Designer Lutz Fügener. „Das Thema Nachhaltig­keit schwingt in den letzten Jahren sehr hoch in der Automobili­ndustrie“, hat der Professor an der Hochschule Pforzheim beobachtet. Er glaubt, dass die Hersteller damit ihre in vielen Märkten schwindend­e Reputation aufpoliere­n wollen. Der Innenraum biete dafür ein zunehmend geeignetes Spielfeld, da er nicht zuletzt durch die Überleguns­toffarten gen zur Automatisi­erung des Fahrens viel mehr in den Mittelpunk­t der Wahrnehmun­g gerückt sei.

Dabei sieht Fügener grundsätzl­ich drei Stoßrichtu­ngen bei Konzepten für die Kabine: mehr Funktional­ität, was sich derzeit allerdings stark auf Konnektivi­tät reduziere, Nachhaltig­keit und Ästhetik. „Und im Idealfall bekommt man alle drei unter einen Hut.“

Einfach ist das nicht. Nicht alles, was nachhaltig ist, werde auch als schön empfunden, so der Experte. Zudem ließen sich viele mittlerwei­le etwa in der Wohnung akzeptiert­e, alternativ­e Materialie­n im Auto nicht einsetzen, weil sie zu leicht brennen oder bei einem Unfall splittern könnten oder schlicht nicht die hohen Anforderun­gen an die Haltbarkei­t erfüllen.

Erschweren­d hinzu komme, dass der oft konservati­v kaufende Kunde bestimmte Vorstellun­gen von einem hochwertig­en Interieur habe, gibt Fügener den „Schwarzen Peter“an den Verbrauche­r weiter. „Denn die Heilige Dreifaltig­keit von Leder, Klima, Wurzelholz lebt in den Köpfen der Kunden weiter.“

Doch die ersten Marken haben – oft bei ihren besonders zukunftsge­wandten Modellen – entspreche­nde Schritte gemacht: Stromer wie den Porsche Taycan, den Audi E-Tron und die Luxusautos von Tesla gibt es auch mit einem veganen Interieur. Land Rover hat bei Neuheiten wie dem Evoque nicht die Luxusversi­on mit Ledersitze­n an die Spitze der Modellpale­tte gesetzt, sondern eine nachhaltig­ere Variante mit Stoffsitze­n. Thomas Geiger, dpa

 ?? Foto: Skoda, dpa ?? Fruchtige Alternativ­e: In der Studie Vision IN setzt Skoda unter anderem auf Ananaslede­r.
Foto: Skoda, dpa Fruchtige Alternativ­e: In der Studie Vision IN setzt Skoda unter anderem auf Ananaslede­r.

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