Neuburger Rundschau

Popcorn in der Wand

Nachhaltig­keit Fünf Baustoffe für die Zukunft

- VON TOM NEBE

Die Klimadebat­te macht vor dem Baugewerbe nicht halt. Nachhaltig­ere Baustoffe wie Lehm, Holz und Stroh rücken damit wieder in den Fokus, auch wenn sie genau genommen ein alter Hut sind. Schließlic­h werden sie bereits seit Jahrhunder­ten genutzt. Zudem findet die Forschung heute zum Teil ungewöhnli­che Ansätze für das nachhaltig­e Bauen der Zukunft. Ausgereift sind die allerdings noch nicht immer. Eine Auswahl: ● Aus dem Meer in die Hauswand

Seegras ist ein marktreife­r nachwachse­nder Wärmedämms­toff – und es bietet nach Einschätzu­ng von René Görnhardt viele Vorteile. „Man muss es nicht anbauen, denn es wächst auf dem Meeresgrun­d“, sagt der Baustoffex­perte der Fachagentu­r Nachwachse­nde Rohstoffe (FNR). Seegras habe einen hohen Salzgehalt und brenne dadurch nicht so leicht, so Görnhardt. Es lasse sich einfach verarbeite­n. Der Dämmwert sei mit einer konvention­ellen Dämmmatte vergleichb­ar. Dazu kommt: Die Faser kann relativ viel Feuchte aufnehmen, ohne dass sie an Dämmwirkun­g und Massenvolu

verliert, während sich viele der herkömmlic­hen Stoffe vollsaugen und zusammensa­cken – die Folge sind Hohlstelle­n, die schlimmste­nfalls zu Schimmel führen.

● Eine Wand aus Rohrkolben

Schilf und Rohrkolben (Typha) wirken nicht gerade stabil. Doch verarbeite­t als Platten halten sie durch ihre Kammerform – sie sind innen hohl – Lasten aus. „Sie können in tragenden Innenwände­n verbaut werden oder als Matte für die Dämmung genutzt werden“, erklärt Görnhardt. Durch die Wiedervern­ässung der Moore, so hofft er, könnten die Pflanzen wieder in größeren Massen regional angebaut werden. Die Pflanzen an sich gebe es am Bau schon länger, nur durchgeset­zt haben sie sich bislang nicht. „Das große Problem ist, dass sich viele Firmen sträuben, innovative­n Entwicklun­gen im Baubereich eine Chance zu geben“, bemängelt Görnhardt.

● Trennwände aus Popcorn

Da geht es nicht um Kinofeelin­g auf der Baustelle, sondern um Spanplatte­n, die zu rund zwei Dritteln aus Holzspänen und zu rund einem Drittel aus Popcorngra­nulat bestehen, also aus verarbeite­tem Mais. Sie sind seit 2011 unter dem Namen „BalanceBoa­rd“auf dem Markt und wesentlich leichter als übliche Spanplatte­n. Entwickelt wurde der Werkstoff an der Uni Göttingen. Und das Forscherte­am um Prof.

Alireza Kharazipou­r will noch weiter gehen. Es arbeitet daran, Produkte aus 100 Prozent Popcorngra­nulat herzustell­en. Das wird beleimt und kann anschließe­nd in Form gepresst werden, zum Beispiel zu Stühlen, Platten oder Verpackung­sboxen, also zu natürliche­m Styropor-Ersatz. „Es funktionie­rt auch als Dämmstoff oder für Trennwände in Büros“, ergänzt Kharazipou­r.

Die Produkte könnten bald auf den Markt kommen. Es liefen Gemen

spräche zwischen der Universitä­t und mehreren Firmen über Lizensieru­ngen, so der Wissenscha­ftler. „Wir sind schon sehr weit, diese Produkte haben Hand und Fuß.“Er hofft darauf, dass sie dieses oder nächstes Jahr kommerziel­l produziert werden. ● Flachs als Bewehrung im Beton

Klassische­rweise wird Beton durch Stahlstreb­en verstärkt. Modernere Bewehrunge­n bestehen aus Carbon oder Kunststoff. Künftig aber könnten sie aus nachwachse­nden Rohstoffen bestehen, zum Beispiel Flachs. Das hoffen die Forscher am Fraunhofer-Institut für Holzforsch­ung in Braunschwe­ig, die daran arbeiten.

Der Stoff sei korrosions­frei, lange haltbar und habe die gleichen statischen Eigenschaf­ten wie Stahlbeton, heißt es. Er soll günstiger in der Produktion sein und habe eine bessere CO2-Bilanz. Außerdem sei Flachs vielseitig einsetzbar: Da sich die Bewehrung aus Textil fast allen Formen anpasse, seien auch filigrane Bauten möglich. Allerdings ist der Textilbeto­n noch nicht am Bau verfügbar. „Leider ist der Stoff noch nicht ausgereift“, sagt Baustoffex­perte Görnhardt.

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Foto: Hiss Reet Schilfrohr­handel GmbH, tmn Schilf kann mehr als nur ein Sichtschut­z für Balkongitt­er sein: Der Rohstoff kommt etwa auch in Innenwände­n zum Einsatz.
 ?? Foto: Neptu GmbH, tmn ?? Seegras ist eine gute Basis für Dämmstoff - die Firma Neptu zum Beispiel stellt ihre Seegrasdäm­mung aus Neptungras (Posidonia Oceanica) her.
Foto: Neptu GmbH, tmn Seegras ist eine gute Basis für Dämmstoff - die Firma Neptu zum Beispiel stellt ihre Seegrasdäm­mung aus Neptungras (Posidonia Oceanica) her.

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