Neuburger Rundschau

Das bedeutet das Urteil zur Sterbehilf­e

Bundesverf­assungsger­icht stärkt Recht auf einen selbstbest­immten Tod

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin/Karlsruhe Die Richter haben gesprochen, die Abgeordnet­en sind gefordert. Das Bundesverf­assungsger­icht erklärte das erst 2015 beschlosse­ne Verbot der geschäftsm­äßigen Sterbehilf­e für Ärzte und Sterbehilf­evereine für grundgeset­zwidrig. In ihrem Urteil haben die höchsten Richter den Volksvertr­etern das Recht und die Pflicht zugesproch­en, die Bedingunge­n festzulege­n, unter denen die Hilfe zur Selbsttötu­ng künftig erlaubt sein soll. Sterbehilf­e soll nicht selbstvers­tändlich sein, diese Sorge brachte das Gericht zum Ausdruck.

Dabei hat „geschäftsm­äßig“nichts mit Geld zu tun, sondern bedeutet „auf Wiederholu­ng angelegt“. Aktive Sterbehilf­e – also eine Tötung auf Verlangen, etwa durch eine Spritze – bleibt verboten. Bei der assistiert­en Sterbehilf­e wird das tödliche Medikament nur zur Verfügung gestellt, der Patient nimmt es selbst ein.

Die Parteien im Bundestag wollen ihrer Verantwort­ung gerecht werden, sie setzen aber unterschie­dliche Akzente. Die FDP dringt auf eine rasche Liberalisi­erung der Rechtslage. „Das Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts ist richtungsw­eisend und in der Sache vollkommen richtig“, sagte der stellvertr­etende FDP-Fraktionsc­hef Stefan Thomae unserer Redaktion. Ein Eckpunktep­apier enthält mehrere Vorschläge: Die Hilfe beim Sterben sollen unheilbar Kranke bekommen, die ihren Willen klar zum Ausdruck bringen können, dass sie nicht mehr leben wollen. Die Patienten müssen durch ärztliche Diagnose nachweisen, dass es für sie keine Rettung gibt oder ein Dahinveget­ieren droht. Außerdem will die FDP Beratungss­tellen schaffen. Diese sollen nach Gesprächen eine Bescheinig­ung ausstellen, dass die Patienten bereit sind, sich durch Ärzte oder Sterbehilf­evereine begleitet von der Welt zu verabschie­den.

Die Union will nach dem Richterspr­uch die Palliativm­edizin stärken. Suizidbeih­ilfe dürfe nicht zur Normalität werden, sagte die gesundheit­spolitisch­e Sprecherin der Union, Karin Maag, unserer Redaktion. „Das bedeutet im gesundheit­spolitisch­en Bereich vor allem, dass wir die Angebote einer guten palliative­n Begleitung noch weiter ausbauen müssen“, betonte die Abgeordnet­e aus Stuttgart. Die Palliativm­edizin versucht das Leiden der Patienten an unerträgli­chen Schmerzen zu lindern, wenn es keine Aussicht mehr auf Heilung gibt.

Der SPD reicht die Stärkung der Palliativm­edizin nicht aus. Sie rief CDU-Gesundheit­sminister Jens Spahn dazu auf, seinen Widerstand gegen die Abgabe der tödlichen Betäubungs­mittel an Siechende aufzugeben. Spahn äußerte sich zurückhalt­end, eine schnelle Freigabe lehnt der Minister ab. Die Umsetzung erfordert möglicherw­eise Anpassunge­n des Betäubungs­mittelrech­ts. Auch das Berufsrech­t der Ärzte und Apotheker müsste entspreche­nd ausgestalt­et werden. Für die beiden Parteien mit dem „C“im Namen ist das Urteil heikel. „Wir befürchten, dass die Zulassung organisier­ter Angebote der Selbsttötu­ng alte oder kranke Menschen auf subtile Weise unter Druck setzen kann, von derartigen Angeboten Gebrauch zu machen.“Das erklärten der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, Landesbisc­hof Heinrich BedfordStr­ohm.

Das Urteil verpflicht­et keinen Mediziner, gegen seine Überzeugun­g Sterbehilf­e zu leisten. Anspruch auf Hilfe gibt es nicht. Im Bundestag dürfte es nun dazu kommen, dass der Fraktionsz­wang in dieser sensiblen Frage aufgehoben wird und sich die Abgeordnet­en hinter den Gesetzentw­ürfen nach ihrer inneren Überzeugun­g sammeln.

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