Assistierter Suizid erlaubt
Das Bundesverfassungsgericht kippt den umstrittenen Paragrafen 217. Dieser hat organisierte Sterbehilfe verboten. Wir haben bei Medizinern und Hospizbegleitern nachgefragt: Wie reagieren sie auf das Urteil?
Das Bundesverfassungsgericht kippt am Mittwoch das Verbot, Sterbehilfe geschäftsmäßig zu betreiben. Das sagen Ärzte und Hospizbegleiter in der Region.
Neuburg-Schrobenhausen Die letzte Hoffnung zweier Patientinnen, beide schwerstkrank, ist Anton Wohlfart. Der Ehekirchener Hausarzt ist ein großer Befürworter der Sterbehilfe und soll den beiden Frauen Medikamente verschreiben, damit sie ihr Leid beenden können. Doch er lehnt schweren Herzens ab, zu unsicher ist ihm die rechtliche Lage, zu groß die Gefahr, dafür ins Gefängnis zu müssen.
Schuld daran war der umstrittene Paragraf 217 des Strafgesetzbuches. 2015 wurde er verabschiedet und verbietet die geschäftsmäßige Sterbehilfe. Geschäftsmäßig beschreibt kein finanzielles Interesse, sondern lediglich wiederholte Hilfen. Mediziner Wohlfart ist verärgert: „Der Paragraf wurde unter dem Druck der großen Kirchen zusammengeschustert und war nichts anderes als ein Sterbehilfeverhinderungsgesetz.“War – denn am Mittwoch hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe den Paragrafen gekippt und damit den Weg für assistierten Suizid freigemacht. Das bedeutet, dass Ärzte Medikamente, die zum Tod führen, verschreiben und bereitstellen dürfen. Nehmen muss sie allerdings der Patient selbst.
Wohlfart hat das Urteil „mit Begeisterung aufgesaugt“. Es sei ein Segen für alle freiheitsliebenden Menschen und entspreche dem Mehrheitswillen der Bevölkerung. Es sei ja auch nicht so, dass sich nun alle Alten und Kranken umbringen wollen. Schon mehrfach habe er – allerdings vor 2015 – Patienten solche Medikamente verschrieben. „Das war nur im gegenseitigen Vertrauen möglich.“Zumindest von einer damals 94-jährigen Kollegin wisse er, dass sie die Medikamente auch genommen hat. Er schätzt, dass ungefähr ein Fünftel seiner Medizinerkollegen bereit wäre, Schwerstkranken diesen finalen Wunsch zu erfüllen. „Allerdings reden sie selten darüber und die rechtliche Situation war zu unsicher.“
Kritischer sehen Wolfgang Kaube und Anita Arndt vom Hospizverein Neuburg-Schrobenhausen das Urteil. „Wir sind total überrascht, dass der Paragraf gekippt wurde. Jeder Mensch hat das Recht, sich das Leben zu nehmen, aber Dritte mit reinzuziehen? Und geschäftsmäßig schon gar nicht.“Ein Mensch will leben – auch ein schwerkranker, sind sich die erfahrenen Hospizbegleiter sicher. Zwar sei es gut, für Ärzte und Palliativmediziner rechtliche Sicherheit zu schaffen, allerdings schaffe die Entscheidung nun Möglichkeiten, Menschen in Richtung Suizid zu treiben, wenn sie sich alleine fühlen, befürchtet Arndt. Außerdem sei der letzte Lebensabschnitt eine besondere, eine intensive Zeit. „Der Patient kann zurückblicken, manches noch einmal erleben und sich auf den Tod vorbereiten. Für Menschen ist es wichtig, das wahrnehmen zu können“, argumentiert die Koordinatorin.
Dementsprechend wehren sich die beiden auch gegen aktive Sterbehilfe. Im Gegensatz zum assistierten Suizid darf bei der aktiven Sterbehilfe der Arzt das tödliche Mittel verabreichen. „Das mutet Ärzten zu viel zu“, erklärt Arndt. Schließlich seien Mediziner dafür da, Leben zu retten und Sterben zuzulassen – und nicht, jemanden zu töten. Und aktive Sterbehilfe entspreche auch nicht dem Hospizund Palliativgedanken. „Wir begleiten Menschen ganzheitlich, indem wir Krankheitssymptome lindern. Wenn das nicht mehr zu Hause geht, dann stationär. Patient und Angehörige müssen den Weg nicht alleine gehen“, erklärt Arndt. Denn die Begleiter gehen davon aus, dass der Mensch, so krank und schwach er körperlich sein mag, emotional alles um sich herum mitbekommt. Es stehe demnach Angehörigen, die nicht wissen, was sich im sterbenskranken Patienten abspielt, nicht zu, die Entscheidung zu fällen, wann der Patient stirbt. Das sei eine Frage des Respekts und der Wertschätzung. Wer gute Hospizoder Palliativarbeit leiste, der lehne aktive Sterbehilfe ohnehin ab, ist sich der stellvertretende Vorsitzende des Hospizvereins sicher.
Trotz alledem sei es wichtig, das Thema in der Gesellschaft zu diskutieren, sagen die Hospizbegleiter. Allerdings müsse sich die Politik um ganz andere Dinge kümmern. „Ärzte und Pflegepersonal fehlt. Wenn ein Pfleger für 40 Patienten zuständig ist, dann bleibt keine Zeit.“Dabei wäre Ansprache wichtig und schaffe Lebensqualität, berichtet Arndt. Außerdem wüssten viele Schwerst- und Todkranke nicht, welche Möglichkeiten die Palliativmedizin bietet. Kaube erzählt beispielsweise von einem Bekannten, der unter der schweren Nervenkrankheit ALS litt. Er habe immer Angst gehabt, irgendwann zu ersticken. „Diese Angst konnte ich ihm nehmen, weil es entsprechende Mittel gibt.“
In diesem Punkt sind sich die
Symbolfoto: Patrick Seeger, dpa
Hospizbegleiter und Hausarzt Wohlfart einig. „Eine Beratung vor dem assistierten Suizid ist ganz wichtig.“Dass durch das Urteil nun Vereinen wie Dignitas die Türen geöffnet werden, um sich am Sterben anderer zu bereichern, glaubt er jedoch nicht. „Das sind keine Geschäfte machende Vereine, die sich eine goldene Nase verdienen wollen, sondern sie kämpfen für die Grundrechte.“Eine aktive Sterbehilfe befürwortet selbst Wohlfart nur zum Teil. Es gebe zwar durchaus Fälle, bei denen eine aktive Sterbehilfe sinnvoll wäre, allerdings seien in den meisten Fällen Patienten durchaus in der Lage, die Tod bringende Infusion selbst aufzudrehen.
Und die beiden Patientinnen, die Wohlfart um Hilfe gebeten hatten? Eine habe sich die Medikamente anderweitig besorgt, von der anderen hat der 72-Jährige nichts mehr gehört.