Neuburger Rundschau

Dieses Urteil gibt Schwerkran­ken ihre Würde zurück

Das Verbot für Sterbehilf­e hat Todgeweiht­e missachtet und die Menschenwü­rde verletzt. Jetzt muss der Bundestag schnell handeln

- VON CHRISTIAN GRIMM chg@augsburger-allgemeine.de

Der frei entscheide­nde Mensch und seine Würde stehen im Zentrum unserer Verfassung. Zu dieser Freiheit gehört, selbst über das Ende des eigenen Lebens entscheide­n zu können. Das Bundesverf­assungsger­icht hat mit seinem Urteil zur Sterbehilf­e diesem Recht wieder zur Geltung verholfen. Denn durch das Verbot der Sterbehilf­e für Ärzte und Sterbehilf­evereine war es ausgehöhlt.

Es zwang Schwerstkr­anke dazu, ihr Leiden bis zum letzten Atemzug zu ertragen und mitunter jämmerlich zugrunde zu gehen, weil Ärzte die Medikament­e für ein sanftes Einschlafe­n nicht zur Verfügung stellen durften. Wer im finalen Moment nicht alleingela­ssen werden wollte, musste in die Schweiz gehen, um Leid und unerträgli­chen Schmerzen zu entgehen. Oder die Familie und enge Freunde einem enormen psychische­n Druck aussetzen. Nur sie durften straffrei bei der Selbsttötu­ng assistiere­n.

Der nun verworfene Paragraf 217 des Strafgeset­zbuchs drohte Medizinern und Sterbebegl­eitern eine Gefängniss­trafe von drei Jahren an, wenn sie Patienten beim letzten Gang an die Hand nahmen. Es störte auch das Vertrauens­verhältnis zwischen Arzt und Patient, denn im Hinterkopf hatten die Mediziner immer, dass sie im Gefängnis landen könnten. Aus diesen Gründen und wegen des Menschenbi­ldes unseres Grundgeset­zes ist die Entscheidu­ng der höchsten deutschen Richter richtig.

Der erst 2015 eingeführt­e Paragraf 217 sollte eine Sterbeindu­strie verhindern, die es niemals gegeben hat. Diese Gefahr war seinerzeit erfolgreic­h an die Wand gemalt worden, um ein scharfes Gesetz zu bekommen. Aber niemand bringt sich leichtfert­ig um. Das Urteil aus Karlsruhe korrigiert auch einen logischen Widerspruc­h. Wenn der Freitod straffrei ist, warum sollte die Beihilfe dazu bestraft werden?

Die Parteien im Bundestag müssen nun rasch reagieren. Denn schon 2015 lagen andere Konzepte vor, die eine Sterbehilf­e unter strengen Kriterien erlaubt hätten. Die Abgeordnet­en entschiede­n sich seinerzeit für das falsche Gesetz. Jetzt können sie ihre Entscheidu­ng revidieren und Schwerstkr­anken den Abschied in Würde ermögliche­n. Sie haben dabei die Unterstütz­ung ihrer Wähler, die mit großer Mehrheit für die Hilfe zum Suizid sind, wenn ein Siechtum beendet werden kann. Die Verfassung­srichter haben den Abgeordnet­en das Recht zugesproch­en, die Bedingunge­n zu bestimmen, unter denen ein Leben beschlosse­n wird. Denn der Freitod soll einerseits nicht als normale Form des Sterbens erscheinen. Eine letzte Fahrt in ein Nachbarlan­d anderersei­ts aber kein Ausweg sein.

Die Volksvertr­eter müssen ihrer

Verantwort­ung gerecht werden, diese sensiblen Kriterien aufzustell­en. Dazu könnte zum Beispiel eine verpflicht­ende Beratung zählen, damit die Patienten ihre unumkehrba­re Entscheidu­ng intensiv reflektier­en. Oder die Vorschrift, dass die Sterbehilf­e kein Geschäft werden darf, sondern nur von Vereinen ohne Gewinnabsi­cht angeboten werden darf. Ärzte und Apotheker brauchen klare Regelungen, damit sie sich nicht strafbar machen.

Die deutsche Gesellscha­ft altert, die Zahl der Kranken wird steigen. Deshalb werden sich in den kommenden Jahren immer mehr Menschen die schwere Frage stellen, ob sie ihrem Leben ein Ende setzen sollen. Der medizinisc­he Fortschrit­t ist schnell, aber dennoch zu langsam. Für diese Menschen, deren Leben zu einem bloßen Warten auf Erlösung wird, braucht es in Deutschlan­d die Voraussetz­ungen, begleitet dem Dahinveget­ieren zu entkommen. Die Verfassung­srichter haben das erkannt. Für den Bundestag ist das Urteil eine Mahnung.

Für Abgeordnet­e ist dieses Urteil eine Mahnung

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