Neuburger Rundschau

Ein Prosit der Gemeinsamk­eit?

Beim Politische­n Aschermitt­woch hat es der CSU früher gereicht, sich selbst auf die Schulter zu klopfen. Doch der Höhenflug der Grünen zwingt die Partei, sich am neuen Gegner abzuarbeit­en. Also: O’zapft is für das große Fernduell zwischen Markus Söder und

- VON MICHAEL STIFTER UND ULI BACHMEIER

Landshut/Passau Wer wissen will, ob ein Schriftste­ller wie Robert Habeck bierzeltta­uglich ist, bekommt in Landshut keine Antwort. Denn der Grünen-Chef tritt in einem Theater auf. Bier und Brezen gibt es trotzdem, serviert auf grün-weißen Rautentisc­hdecken. Habecks Defilierma­rsch ist eine fröhliche Mischung aus Polka und Klezmer. Klarinette geht schließlic­h auch als Blasmusik durch. Für Volksfests­timmung reicht es allemal. Mussten die Grünen früher für den Aschermitt­woch noch eilig ein paar Leute zusammentr­ommeln, damit die Fotos in den Zeitungen nachher nicht ganz so trist aussahen, bleibt für viele der rund 600 Zuschauer in diesem

Jahr nur ein Stehplatz. Sie alle wollen den Mann hören, der selbst in Niederbaye­rn trachtenja­nkerresist­ent bleibt und im schwarzen Philosophe­npullover daherkommt.

Beim angeblich „größten Stammtisch der Welt“, also bei der CSU in Passau, lässt sich Hochstimmu­ng längst nicht mehr automatisc­h erzeugen. Eine Einpeitsch­erin muss her. Digitalmin­isterin Dorothee Bär treibt mit schneidend greller Stimme das Publikum in der Dreiländer­halle an. Den ersten spontanen Applaus erntet Franz Josef Strauß – im Film auf Großleinwa­nd. Dann zieht Markus Söder zum „echten“Defilierma­rsch ein. Anderswo würde man wohl von Begeisteru­ngsstürmen sprechen. Hier ist es so, wie es bei dieser Traditions­veranstalt­ung halt immer ist: Die Hardcore-Fans der CSU feiern ihren Parteichef – und sich selbst. Und Söder weiß ja, worauf es in Passau ankommt. Er muss mit wenigen Worten das Publikum auf seine Seite ziehen. „Der Aschermitt­woch ist das Hochamt der Demokratie“, sagt er also und ruft: „Der Chef im Ring ist die CSU und das bleibt sie auch.“Solche Sätze lieben sie hier.

Und doch ist dieser Politische Aschermitt­woch anders. Die CSU spürt, dass es nicht reicht, sich selbst auf die Schulter zu klopfen: Den aktuellen Umfragen zufolge bleiben CDU und CSU kommendes Jahr nach der Bundestags­wahl vermut

nur eine einzige Möglichkei­t, an der Regierung zu bleiben – in einer Koalition mit den ungeliebte­n Grünen. Und so verengt sich beim diesjährig­en Schlagabta­usch in Niederbaye­rn der Fokus so stark wie nie auf ein Fernduell. Zwischen Söder und Habeck, Schwarz und Grün, Landshut und Passau.

Seit langer Zeit jedenfalls hat sich kein CSU-Chef mehr beim Aschermitt­woch so intensiv an einem einzigen Gegner abgearbeit­et wie Söder an Habeck. Er spottet: „Die Grünen machen gerade eine Tofu-TupperPart­y mit Robert Habeck, dem selbst ernannten Küstenkava­lier und Käpt’n Iglu der Grünen.“Er attackiert ihn direkt: „Wenn Herr Habeck mal gesagt hat, ,Vaterlands­liebe finde ich zum Kotzen‘, dann kann ich nur sagen: Wer sein Land nicht liebt, kann sein Land nicht führen.“Und damit es auch wirklich alle verstehen, ruft Söder noch: „Ein grüner Kanzler – den wollen wir nicht in Deutschlan­d.“

In Habecks Theater machen diese Verbalwats­chn schon die Runde, ehe der Mann im Pullover selbst gesprochen hat. Der „Küstenkava­lier“kontert mit der maximal möglichen Gemeinheit. Er erwähnt Söders Namen kein einziges Mal. Das ist in etwa so, wie wenn man im Singspiel auf dem Nockherber­g keine eigene Rolle bekommt. Ganz ohne Seitenhieb geht es aber doch nicht. „Ich weiß, dass laut gebrüllt wird, auch heute in Passau. Aber in einer Zeit, in der lautes Brüllen ein Zeichen der Schwäche und der Unsicherhe­it ist, will ich euch aus Berliner Perspektiv­e einen Blick auf das Brüllen aus Bayern geben“, sagt Habeck. „Wenn der bayerische Ministerpr­äin den ICE steigt, glaubt er, er steigt als Löwe ein, aber wenn er in Berlin aussteigt, dann ist er ein kleines Kätzchen.“Die vermeintli­che „Tofu-Tupper-Party“jubiliert und erreicht ihren Höhepunkt, als Habeck die CSU kurzerhand zur Regionalpa­rtei erklärt, die auf bundespoli­tischer Ebene nichts mehr zu sagen habe.

Söder hat aus dem Höhenflug der Grünen seine Lehren gezogen. Dass er sich als Ministerpr­äsident um das Klima und die Bienen sorgt und ab und zu sogar einen Baum umarmt, kommt nicht von ungefähr. Und trotzdem hadert so mancher in der Partei mit dem grünen Anstrich, den er der CSU verpasst hat. In Passau will Söder diese Leute lieber nicht provoziere­n und unternimmt gar nicht erst den Versuch, die Basis auf Schwarz-Grün einzuschwö­ren. Viel lieber teilt der CSU-Chef aus. Auch gegen die Sozialdemo­kraten, bei denen es mit Brandt, Schmidt und Wehner früher eine Troika gegeben habe und wo heute nur noch „Tick, Trick und Track“übrig seien. Söder umgarnt die Wähler der CSU: „Wir brauchen jeden – Konservati­ve, Liberale und Soziale.“Er fordert Respekt für die Landwirte, die mit ihren Exporten eine wichtige Stütze der Wirtschaft seien. „Die ganze Welt trinkt und frisst bayerisch.“Und immer wieder betont er, dass die CSU ihren Platz in der bürgerlich­en Mitte sieht.

Und die Grünen? Während die Union sich immer über ihre Macht definiert hat, fremdeln dort manche noch mit ihrer neuen Rolle als eine Art Volksparte­ienersatz. Wo es früher gereicht hat, eine kleine Zielgruppe zu bedienen, sollen die Grülich nen nun Verantwort­ung für das ganze Land übernehmen. „Wir sind dafür nicht gebaut und nicht gegründet worden“, gibt Habeck offen zu, verweist aber auf die „Sehnsucht nach Bedeutungs­losigkeit“in der SPD und die Krise der CDU. „Das Schiff der Union hat sich losgerisse­n, kein Anker mehr, kein Ruder mehr, kein Hafen in Sicht.“Von dieser Seite sei keine Antwort auf die zentrale Frage zu erwarten, was die Gesellscha­ft zusammenha­lte. „Also müssen wir sie geben.“Habeck zieht die Grünen in die Mitte – und die Basis lässt sich mitreißen. Von den einstigen Fundis, die um jeden Preis verhindern wollten, dass die Grünen eine „ganz normale“Partei werden, findet sich in Landshut keine Spur.

Auch wenn ein schwarz-grünes Bündnis rein rechnerisc­h nach der Bundestags­wahl ziemlich wahrschein­lich wäre, der Weg dahin ist weit. Das zeigt sich am Aschermitt­woch, wenn Söder schimpft, dass das Programm der Grünen mit Verboten und Belehrunge­n den Mief der 80er Jahre atme. Die Grünen wollten „nix Neues, viel Altes, immer das Gleiche“. Über eine denkbare schwarz-grüne Koalition spricht der CSU-Chef so, als wäre sie undenkbar. Und er unterstell­t den Grünen, dass sie sich ohnehin nicht freiwillig für die Union als Koalitions­partner entscheide­n würden: „Reicht es im nächsten deutschen Bundestag mit einer einzigen Stimme für Rot-Rot-Grün – sie werden diesen Weg gehen“, unkt er.

Habeck wiederum trifft die CSU in Landshut an ihrem wunden Punkt. Vor dem Saal kommt er mit Landwirten ins Gespräch. Doch ansident ders als zu früheren Zeiten, als viele Bauern die Grünen für unwählbare Öko-Spinner hielten, bitten sie den Parteichef diesmal um Unterstütz­ung – und schimpfen auf die CSU. Habeck nutzt diese Vorlage und wettert gegen das „Denken aus der Steinzeit“in der Union, die immer noch glaube, dass Ökologie und Ökonomie ein Gegensatz seien und der Markt schon alles richten werde. „Der Markt richtet die Bauern hin“, sagt er unter donnerndem Applaus. Sein Rezept: „Bezahlen wir die Landwirte dafür, dass sie Tieren mehr Platz geben, dass sie auf Pestizide verzichten, dass sie mehr Abstand zu den Gewässern halten, bezahlen wir sie dafür, dass sie im Einklang mit der Natur wirtschaft­en und spielen wir nicht Landwirtsc­haft gegen Natur aus.“

Söder wiederum grenzt sich in Passau noch schärfer als bisher von der AfD ab. Er nennt sie „den politische­n Arm der rechtsradi­kalen Szene“, fordert entschiede­nen Widerstand: „Wenn wir nicht aufpassen, dann sickert das braune Gift weiter ein und verseucht Stück für Stück das demokratis­che Grundwasse­r.“Und er geht den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke frontal an: „Warum darf man denn gerichtlic­h Herrn Höcke einen Nazi nennen? Weil er einer ist.“Es dürfe „keine Zusammenar­beit, keine Duldung, keine Tolerierun­g“geben. Kein Politiker in Deutschlan­d dürfe von AfD-Gnaden gewählt werden.

Söders Wandlung zum härtesten Widersache­r der AfD nimmt ihm Habeck nicht so ganz ab. Er habe tiefe Zweifel, „ob die Einsicht, dass man nicht im rechten, populistis­chen Bereich wildern soll, wenn man eine Partei des Anstandes ist, wirklich einer tiefen Überzeugun­g folgt“. In der Sache sind sich die beiden Politiker allerdings einig: „Zu lange wurden rechter Terrorismu­s und Rechtsextr­emismus als Nischenphä­nomen weggedrück­t. Wir haben 186000 Haftbefehl­e in Deutschlan­d, die nicht vollzogen werden. Das ist inakzeptab­el, fangen wir mit den Nazis an und bringen wir sie hinter Schloss und Riegel, da, wo sie hingehören“, sagt Habeck.

Auch Söder wird noch einmal ernst, bevor er den minutenlan­gen Applaus der „gefühlten 10000“in Passau genießt. Seine Rede endet mit einer klaren Absage an eine eigene Kanzlerkan­didatur. „Deutschlan­d braucht Bayern, schon wahr“, sagt er, „aber ich liebe dieses Land.“

„Die ganze Welt trinkt und frisst bayerisch“, sagt Söder

„Der Markt richtet die Bauern hin“, sagt Habeck

Mit einer Anleihe bei Martin Luther fügt er hinzu: „Hier stehe ich als Ministerpr­äsident. Ich kann nicht anders und ich will auch nicht anders.“Schließlic­h habe das in seinem Fall ziemlich lange gedauert. Und dann sagt Söder noch: „Mein Platz ist hier, mein Platz ist in Bayern und nicht in Berlin.“

In Landshut läuft Robert Habeck immer noch auf der Bühne hin und her. Ohne Zettel, ohne Maßkrug, ohne Prosit der Gemütlichk­eit. In seinen schwarzen Klamotten wirkt er eher wie ein Motivation­strainer. Habeck spricht über Veränderun­gen, die viele nerven. Wie wenn im Supermarkt plötzlich alle Waren woanders liegen. „Wir erleben gerade ein Update der Gesellscha­ft, die Regale der Gesellscha­ft werden umgebaut“, sagt er und fordert: „Reden wir davon, dass Zukunft ein Ermöglichu­ngsraum ist.“

Habecks Sätze sind bisweilen so vollgepack­t, dass man den Menschen im Saal regelrecht beim Denken zuschauen kann. Eines wird immer wieder deutlich: Dieser Mann will mit den Niederunge­n des Parteienge­zänks nichts zu tun haben. „Hören wir auf, unsere ganze Energie negativ zu absorbiere­n, reden wir über die Chancen, halten wir Aschermitt­wochsreden der Zuversicht und nicht zur Bepöbelung des politische­n Gegners“, appelliert Habeck zum Schluss – und klingt spätestens jetzt wie ein Kanzlerkan­didat.

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Foto: Tobias Hase/Peter Kneffel, dpa Die Maß Bier darf beim Politische­n Aschermitt­woch nicht fehlen – ob bei Robert Habeck in Landshut (links) oder bei Markus Söder in Passau.
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