Neuburger Rundschau

Die Grenzen der Macht

Im Kampf gegen die Ausbreitun­g des neuartigen Virus scheint ein autoritär geführtes Land wie China klar im Vorteil zu sein. Doch das System hat seine Schwächen. Welche Rechte hätte der deutsche Staat?

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking/Berlin Vielleicht hätte Südkorea die rasante Steigerung der Corona-Fälle der letzten Tage verhindern können. Vielleicht wäre die Angst geringer, wenn eine 61-jährige Frau mit Fiebersymp­tomen der dringliche­n Bitte der Ärzte gefolgt wäre, sich testen zu lassen. Doch die Südkoreane­rin verweigert­e eine Gesundheit­suntersuch­ung und besuchte stattdesse­n eine Messe der Shincheonj­i-Sekte mit mehr als tausend Teilnehmer­n. Dutzende Menschen, wenn nicht gar hunderte, haben sich an jenem Tag angesteckt und einen Dominostei­n in Bewegung versetzt, der nicht mehr aufzuhalte­n zu sein scheint. Bis Redaktions­schluss haben die örtlichen Behörden über 1260 Infizierte und zwölf Tote bestätigt. Die Konsequenz: Die Behörden verschoben den Start ins neue Schuljahr auf den 9. März.

Ortswechse­l ins zwei Flugstunde­n entfernte Wuhan. Hier, in China, war der neuartige Erreger erstmals auf einen Menschen übergespru­ngen. Anfang Februar filmt ein Bewohner von seinem Fenster aus, wie zwei Männer in pinkfarben­en Ganzkörper­anzügen eine Metallbox vom Wohnhaus auf einen Pick-upLaster hieven. Schreie sind zu hören, offenbar befindet sich eine Frau in dem Käfig, die gegen ihren Willen in Zwangsquar­antäne gebracht wird.

Deutlicher lässt sich nicht aufzeigen, wie unterschie­dlich der Kampf gegen das Virus ausgefocht­en wird. Nach China ist Südkorea das mit Abstand am stärksten betroffene Land. Dennoch bleiben dort die Restaurant­s, Cafés und Kneipen weiterhin geöffnet, wenn sie auch leer sind. In Peking hingegen, das laut offizielle­n Angaben nur noch 161 aktive Fälle registrier­t, ist das öffentlich­e Leben nach wie vor stillgeleg­t. Vor den Toren der Wohnsiedlu­ngen wachen Mitglieder der Nachbarsch­aftskommit­ees, die die Körpertemp­eratur von Bewohnern messen und jeden Besucher kontrollie­ren.

Jene Millionen Menschen, die in den vergangene­n zwei Wochen aus ihren Neujahrsfe­rien in die Städte zurückkame­n, mussten sich 14 Tage lang in Zwangsquar­antäne begeben und durften ihre Wohnungen nicht mehr verlassen. „Wir würden verrückt bei der Situation, aber die Chinesen ertragen die Umstände, wie sie eben sind“, sagt Emmanuel Geebelen, der wohl letzte Schweizer in Wuhan. Das Allgemeinw­ohl, fügt der 41-Jährige an, stünde in China vor den Rechten des Individuum­s.

Das rigorose Vorgehen zeigt Wirkung. Abseits der abgeriegel­ten Provinz Hubei gehen die Neuinfekti­onen im Rest des Landes seit rund zwei Wochen zurück. „Trotz berechtigt­er Kritik innerhalb und außerhalb Chinas an der anfänglich­en Vertuschun­g des Krankheits­ausbruchs werden Pekings Bemühungen um internatio­nale Zusammenar­beit und Transparen­z geschätzt“, sagt Mikko Huotari, Leiter der Berliner Denkfabrik Merics.

Der Virusausbr­uch stellt damit nicht nur die Gesundheit­ssysteme auf die Probe, sondern auch die Freiheiten der liberalen Demokratie­n. Als die Regierung in Südkorea eine mögliche Isolation der Stadt Daegu auch nur andeutete, fiel die Entrüstung konservati­ver Bevölkerun­gsschichte­n so stark aus, dass die Pläne sofort wieder in der Schublade verschwand­en. Und nachdem in der Innenstadt Seouls ein Demonstrat­ionsverbot ausgesproc­hen wurde, zogen dennoch am letzten Samstag christlich­e Gruppen für ihre Wochenendp­roteste auf die Straße.

In China hingegen gibt es weder eine Zivilgesel­lschaft, die sich entrüsten könnte, noch regierungs­kritische Demonstrat­ionen. Allerdings gibt es auch auch keine unabhängig­en Medien, die die Intranspar­enz der Parteikade­r im Umgang mit dem Virus hätten anprangern können. „Die Anzahl an Fällen in Südkorea scheint zumindest teilweise deshalb so hoch, weil Korea gute Diagnoseka­pazitäten, freie Medien und ein demokratis­ches System hat“, meint der britische KoreaForsc­her Andray Abrahamian.

In China geht es um viel: Da das Riesenreic­h seit drei Wochen halb lahmgelegt ist, fürchtet die Regierung zunehmend um Schaden für die Wirtschaft. So mahnte Chinas Premier Li Keqiang zu einer Wiederaufn­ahme der Produktion, „um die normale wirtschaft­liche und soziale Ordnung aufrechtzu­erhalten“. Aber es ist eine risikoreic­he Balance zwischen Wirtschaft­swachstum und Eindämmung der Epidemie.

Nach den jüngsten Nachweisen in Baden-Württember­g, RheinlandP­falz und Nordrhein-Westfalen stellt sich einmal mehr die Frage: Wären Maßnahmen wie in China auch in Deutschlan­d denkbar? Das Wesentlich­e regelt das bundesweit gültige Infektions­schutzgese­tz. Ein Sprecher des bayerische­n Gesundheit­sministeri­ums fasst zusammen: „Wenn es erforderli­ch ist, können auch wichtige Grundrecht­e wie Freiheit der Person, Versammlun­gsfreiheit oder Unverletzl­ichkeit der Wohnung sowie das Recht auf körperlich­e Unversehrt­heit eingeschrä­nkt werden.“So dürften Behörden Blutentnah­men und Abstriche von Haut und Schleimhäu­ten verlangen. Auch „Krankheits­verdächtig­en“und „Ansteckung­sverdächti­gen“– wie das Gesetz es ausdrückt – könne ein Berufsverb­ot auferlegt werden. Zum Schutz anderer könnten Menschen auch „in einem geeigneten Krankenhau­s oder in sonst geeigneter Weise abgesonder­t werden“, heißt es drastisch in Paragraf 30 des Gesetzes.

Dass Städte wie in China komplett abgesperrt werden, hält Karim Maciejewsk­i von der Hochschule des Bundes für öffentlich­e Verwaltung in Brühl nicht für möglich. Zwar dürften nach dem IfSG die im Grundgeset­z garantiert­en Freiheitsr­echte und die Versammlun­gsfreiheit eingeschrä­nkt werden. Der Professor betont aber, dass dies immer nur für einzelne Betroffene gilt, bei denen die Gefahr besteht, andere anzustecke­n.

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Foto: Kyodo, dpa Polizisten auf dem Platz des Himmlische­n Friedens in Peking.
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