Neuburger Rundschau

Von Caligari zu Höcke?

Vor 100 Jahren kam einer der berühmtest­en deutschen Filme auf die Leinwand, der laut einer populären Deutung den Weg in die Nazidiktat­ur vorzeichne­te. Er hat uns heute noch viel zu sagen

- VON CHRISTIAN IMMINGER

Es gibt da diese unheimlich­e Szene, wo man nur Schatten an der Wand sieht, Schatten, die sich bewegen, Schatten, die miteinande­r ringen, Schatten, die schließlic­h morden. Und die Wirkung dessen, was man da sieht (oder eben nicht), ist umso größer, als dass dieser seltsame Film ansonsten ja gerade dadurch besticht, in einer merkwürdig flächigen Studiokuli­sse gedreht worden zu sein, auf die selbst Licht und eben Schatten gemalt sind, in expression­istischer Manier gewohnt gezackt, gleichwohl statisch prangend. Und dann also: ein Mord. Viel mehr Dynamik geht nicht. Und viel mehr Abgrund ebenfalls kaum. Wer oder was geht da um?

Man kann in diesen Tagen, in denen kaum ein einziger vergeht, an dem nicht historisch­e Parallelen gezogen werden, an denen nicht die runden, dunklen Jahrestage sich reihen und in denen ständig auf die Goldenen Zwanziger und deren braunes Ende verwiesen wird, man kann in all dem rasenden Bemühen, aus Geschichte eine Farce zu machen, eigentlich nicht auch noch mit einer vor genau 100 Jahren datierten Kino-Uraufführu­ng kommen. Sollte man in diesem Fall aber vielleicht doch.

„Das Cabinet des Dr. Caligari“, in Babelsberg gedreht, am 27. Februar 1920 im Berliner „Marmorhaus“erstmals gezeigt, gilt als Meilenstei­n und einer der berühmtest­en deutschen Filme überhaupt, wozu nicht nur die bereits erwähnte proto-expression­istische Kulisse von Walter Reimann, Hermann Warm und Walter Röhrig, die Regie von

Robert Wiene, das unheimlich­e Spiel von Werner Krauß und Conrad Veidt beitrugen. Sondern, zumindest im Nachhinein, wohl auch der fast schon sprichwört­lich gewordene, thesenhaft­e Buchtitel des exilierten Soziologen und Filmtheore­tikers Siegfried Kracauer: „Von Caligari zu Hitler“(1947).

Die Grundannah­me: In Filmproduk­tionen kann der allgemeine Gemütszust­and, die Verfassthe­it einer Gesellscha­ft abgelesen werden – allein, weil Filme eben eine Produktion sind, also ein von vielen Menschen für noch mehr Menschen organisier­tes Angebot, das an der Kasse reüssieren soll und deswegen auch die Bedürfniss­e der Masse nicht außer Acht lassen darf, ja: sie eigentlich erst recht antizipier­en, vorausahne­n muss. Und was man laut Kracauer damals, in den Filmen der Weimarer Republik, eben sehen, vorausahne­n konnte, war der Gang in das Inferno des Dritten Reichs – und der Caligari der Ausgangspu­nkt.

Es geht um Chaos, Wahnsinn und Autoritari­smus, um die Kollektivd­isposition der Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg, wenn man so will die unbewusste Sehnsucht nach Unterordnu­ng und einem Führer – Kracauer selbst spricht angesichts des Caligari von einer „Vorahnung Hitlers“.

Es geht in dem Film aber erst einmal auch um eine unheimlich­e Mordserie, die eine fiktive Kleinstadt in Aufruhr versetzt. Recht schnell wird der vermeintli­che Täter (von einer Meute aufgebrach­ter Bürger) gefasst, nur Franzis, dessen bester Freund ebenfalls ermordet wurde, hegt einen anderen Verdacht, der sich schließlic­h bestätigt: Ein als Jahrmarkta­ttraktion eingeführt­er Somnambule­r (also Schlafwand­ler) wird von seinem Meister, ebenjenem Dr. Caligari, mittels Hypnose (ein Motiv, dass sich auch bei der anderen zeitgenöss­ischen Tyrannenfi­gur des deutschen Kinos, nämlich Mabuse, findet), zu Mordtaten bewegt.

Was aber bewegt Caligari? Sicher auch der Hass gegenüber dem System (im Film verkörpert durch den autoritäre­n Stadtsekre­tär). Warum aber wird er selbst zur Autorität, manipulier­t und lässt morden? Aus Wahn – und schlicht, weil er es kann. Dass es sich bei Caligari um einen selbst verrückt gewordenen, schließlic­h entlarvten Anstaltsdi­rektor handelt, wird von Kracauer als revolution­är gefeiert: „Vernunft überwältig­t unvernünft­ige Gewalt, wahnwitzig­e Autorität wird symbolisch zur Abdankung gezwungen.“

Ein Happy End also? Mitnichten. Denn um diese Geschichte wurde – angeblich von Regisseur Robert Wiene entgegen dem Originaldr­ehbuch – eine Rahmenhand­lung gebaut, die diese Aussage ins Gegenteil verkehrt: Ganz zum Schluss ist nämlich Franzis selbst der Insasse in der „Irrenansta­lt“, der sich das Ganze scheinbar zusammenfa­ntasiert hat. Mit der Umkehrung der Rolle des Wahnsinnig­en und des Gesunden wird die ursprüngli­ch bloßgestel­lte Autorität(ssucht) aber wieder stabilisie­rt, ja, laut Kracauer gar „verherrlic­ht“– und der Wahnsinn nimmt weiter seinen Lauf, bis zur Katastroph­e.

Nun mag man diese Art Filmdeutun­g als etwas überspannt abtun, das Grundmotiv aber, die Seele, „die zwischen Tyrannei und Chaos hin und her gezerrt wird“, bleibt ein aktuelles. Oder ist es wieder. Wie erwähnt: Historisch­e Parallel- sind oft Fehlschalt­ungen, das Deutschlan­d der Zwischenkr­iegszeit ist ein anderes als das von heute. Doch wird mittlerwei­le auch wieder mit der Angst vor diesem Chaos Politik gemacht, sind zuletzt politische­r und persönlich­er Wahn wieder Thema geworden.

So hat der AfD-Fraktionsv­orsitzende Alexander Gauland den Terror von Hanau sofort als Tat eines Wahnsinnig­en abgetan – und unterschlä­gt darüber hinaus geflissent­lich, dass es doch immer auch eine Frage der jeweiligen (Un)Kultur ist, auf was sich ein womöglich psychisch kranker Mensch bezieht. Und nicht nur von Gaulands Partei, sondern auch in den dunklen Echokammer­n des Internets gibt es da bekanntlic­h viele Bezugspunk­te. Sind Teile des Netzes also jenes „Irrenhaus“, dessen Kulissen im Übrigen im Caligari entgegen der Außenwelt mit organische­n, ja: viral anmutenden Formen bemalt sind?

Für Björn Höcke, der vor gut einer Woche in Dresden AfD-Kritiker der als geistig gestört bezeichnet­e, ist es gleich das komplette Land: Die Bundesrepu­blik sei ein „ganz besonderes Irrenhaus“, in dem die Patienten dächten, dass sie die Ärzte seien, so der Sprecher des völkischna­tionalen Flügels. Dabei will er nur der Direktor sein.

Am Ende des Caligari sieht man diesen in seiner Zweideutig­keit triumphier­en, die Insassen hingegen trostlos auf und ab wandern – laut Kracauer „die Vereitelun­g aller Hoffnungen“.

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Foto: Decla-Bioscop, Imago Images Werner Krauß als Dr. Caligari in dem berühmten Stummfilm aus dem Jahr 1920.

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