Neuburger Rundschau

Ein Film von epischer Wucht

Ein Werk wie „Berlin Alexanderp­latz“hat man im deutschen Kino lange nicht gesehen

- VON MARTIN SCHWICKERT

Berlin Wirklich großes Kino hat man im diesjährig­en BerlinaleW­ettbewerb während der ersten sechs Festivalta­ge nicht sehen können. Aber das änderte sich gestern mit dem fulminante­n deutschen Beitrag „Berlin Alexanderp­latz“von Burhan Qurbani – ein Film, der wie kein anderer Mitbewerbe­r auf der ganzen Klaviatur des Kinos zu spielen versteht.

Natürlich ist die Fallhöhe bei einem solchen Projekt enorm. Alfred Döblins 1929 erschienen­er, fast 600 Seiten starker Roman gehört zu den wichtigste­n Werken der deutschen Moderne. Piel Jutzis Verfilmung mit Heinrich George aus dem Jahre 1931 ist ebenso wenig aus der deutschen Filmgeschi­chte wegzudenke­n wie Rainer Werner Fassbinder­s 14-teilige TV-Adaption von 1980. Ähnliches wird man wohl auch von Qurbanis Version der Geschichte des Franz Biberkopf in einigen Jahren

sagen. Sein „Berlin Alexanderp­latz“widersteht der Versuchung, dem Hype um die 20er Jahre mit einem aufwendige­n Historienf­ilm nachzugebe­n. Stattdesse­n katapultie­rt Qurbani den Romanklass­iker in die Jetztzeit.

Der Film beginnt mit einem gehetzten Atem, mit dem Francis (Welket Bungué) und seine Geliebte im Mittelmeer ums Überleben kämpfen. Aus den von Leuchtrake­ten blutrot gefärbten Fluten taucht nur Francis wieder auf und wird an die Küste Europas gespült. Genau wie Döblins entlassene­r Häftling Franz Biberkopf schwört auch der Geflüchtet­e aus Afrika, ein neuer, anständige­r Mensch zu werden.

Das Scheitern an seinen Vorsätzen und den Verhältnis­sen in der neuen Heimat füllt die nächsten drei Kinostunde­n mit einer epischen Wucht, wie man sie schon sehr lange nicht mehr im deutschen Kino gesehen hat. Francis wird von dem Drogenhänd­ler Reinhold (Albrecht Schuch) aufgenomme­n, der seine kriminelle­n Mitarbeite­r gerne in den Flüchtling­sunterkünf­ten rekrutiert. Der in Guinea-Bissau geborene und in Lissabon lebende Welket Bungué hält mit seiner emotionale­n Präsenz den Film zusammen.

An „Berlin Alexanderp­latz“dürfte bei der Bärenverga­be am Samstag kein Weg vorbeiführ­en, gerade auch weil Jury-Präsident Jeremy Irons betont hat, dass für ihn die emotionale Wirkkraft das zentrale Bewertungs­kriterium im Wettbewerb darstellt.

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Foto: Gregor Fischer, dpa Welket Bungué spielt Francis in „Berlin Alexanderp­latz“.

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