Neuburger Rundschau

138 Kinogänger und ein Corona-Patient

Eine Spur führt von einem Infizierte­n aus dem Kreis Göppingen nach Neu-Ulm. Und eine Ärztin berichtet von besorgten Bürgern, die sich in der Augsburger Uniklinik melden

- VON SEBASTIAN MAYR UND JAKOB STADLER

Neu-Ulm Es ist ein ganz normaler Mittwochna­chmittag im DietrichTh­eater in Neu-Ulm. Kinder kaufen Popcorn und Limonade, im Café nebenan türmen sich Pommes frites auf den Tellern und in den Kinosälen laufen Filme wie „Die fantastisc­he Reise des Dr. Dolittle“und „Lassie – Eine abenteuerl­iche Reise“. „Bad Boys for Life“wird an diesem Tag drei Mal gezeigt. Es ist der Film, den auch ein 25 Jahre alter Mann aus dem Landkreis Göppingen am Samstagabe­nd hier gesehen hat – um 20 Uhr in Saal 8, Sitzreihe 2, Platz 13. Tags darauf bekam er Husten, am Montag Fieber. Inzwischen ist klar: Der Mann ist am Coronaviru­s erkrankt.

Am Mittwochmi­ttag nennt Baden-Württember­gs Gesundheit­sminister Manne Lucha erste Details zum Fall, später meldet das Gesundheit­samt Neu-Ulm: 137 Menschen saßen mit dem Erkrankten in dem Kinosaal. Jeder, der mindestens 15 Minuten in Gesicht-zu-GesichtKon­takt mit dem Erkrankten war, könne sich angesteckt haben. Dieses Risiko trifft nur eine Handvoll Frauen und Männer, betont Behördenle­iter Dr. Martin Küfer. Nämlich diejenigen, die direkt neben, vor und hinter dem infizierte­n 25-Jährigen gesessen sind.

Er selbst, betonte Küfer, hätte keine Bedenken, sich heute auf Platz 13 in Reihe 2 von Saal 8 des Kinos zu Dennoch rät seine Behörde allen, die den gleichen Film wie der Infizierte gesehen haben, in den nächsten zehn Tagen auf Krankheits­symptome wie Fieber, Husten oder Schnupfen zu achten. Wer das an sich bemerkt, soll alle nicht notwendige­n Kontakte zu anderen minimieren, seinen Hausarzt und das zuständige Gesundheit­samt anrufen und auf den Filmbesuch hinweisen.

In der Ulmer Uniklinik und den drei Krankenhäu­sern im Kreis NeuUlm werden derzeit keine CoronaPati­enten behandelt, wie Sprecherin­nen der beiden Häuser mitteilen. Man sei aber vorbereite­t und nehme im Verdachtsf­all Tests vor.

Der 25-Jährige aus dem Kreis Göppingen hat sich vermutlich bei einer Reise nach Mailand mit SarsCoV-2 angesteckt und nach seiner Rückkehr grippeähnl­iche Symptome entwickelt. Er wird in einer Klinik in Göppingen behandelt. Aus dem nahen Tübingen werden zwei neue Fälle gemeldet. Und es gibt einen Zusammenha­ng zum ersten Fall: Sowohl die Reisebegle­itung des 25-Jährigen, eine 24-jährige Frau, als auch ihr Vater sind infiziert. Der 60-Jährige ist Oberarzt im Universitä­tsklinikum Tübingen. Er soll seit dem Wochenende auch Kontakt zu anderen Medizinern gehabt haben – diese Kontakte seien vollständi­g erfasst, teilt das Klinikum mit. Vater und Tochter seien in einem guten Zustand.

Am Abend wurde ein weiterer Fall aus Baden-Württember­g gemeldet. Der 32-Jährige aus dem Landkreis Rottweil sei aus dem Risikogebi­et in Italien eingereist und habe keine Verbindung­en zu den bislang gemeldeten drei Patienten im Südwesten, hieß es. Angesichts der Ausbreitun­g des Virus in Europa sieht die Bundesregi­erung eine „neue Situation“. Ein Patient in Nordrhein-Westfalen wurde in der Nacht zum Mittwoch in kritischem Zustand auf die Intensivst­ation der Uniklinik Düsseldorf gebracht, der 47-Jährige schwebt in Lebensgefa­hr. Er soll an einer Vorerkrank­ung leiden. Auch bei seiner Frau, 46, wurde der Erreger Sars-CoV-2 bestätigt. Sie hat als Erzieherin noch bis Freitag gearbeitet.

Dr. Monika Schulze, Leiterin der Stabsstell­e Hygiene und Umweltmedi­zin am Unikliniku­m Augsburg, berichtet, dass sich wegen der sprunghaft steigenden Fallzahlen auch an der Augsburger Klinik besorgte Menschen gemeldet haben. „Das Problem ist: Wir haben im Moment auch eine große Grippewell­e“, sagt die Oberärztin, die zu der Task Force gehört, die am Unikliniku­m wegen des Coronaviru­s eingericht­et wurde.

Mittlerwei­le hat das Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL) eine Hotline eingericht­et. Unter der Nummer 09131/6808-5101 können sich besorgte Bürger beraten lassen. „Natürlich kann man auch zu uns kommen“, betont Schulze. Man solle aber vorher mit dem Hausarzt spresetzen. chen. Der sei die erste Anlaufstel­le. Allerdings hätten Hausärzte in ihrer Praxis keine Möglichkei­t zu testen, ob ein Mensch am neuartigen Virus erkrankt ist. Dafür sei ein spezielles Laborverfa­hren nötig. „Wir werden es bei uns im Unikliniku­m demnächst zur Verfügung stellen.“Bisher können einige andere Uniklinike­n, das LGL und die Bundeswehr in München die Tests durchführe­n. Wenn die Probe richtig genommen wurde, liege das Ergebnis innerhalb eines halben Tages vor.

In Deutschlan­d könnten viele Coronaviru­s-Ausbrüche zunächst unter dem Radar der Behörden bleiben. Es sei „durchaus möglich, dass wir nicht alle diese Ausbrüche sofort erkennen“, sagt der Vizepräsid­ent des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Berlin, Lars Schaade. Werden sie schließlic­h entdeckt, könnten sie schon ein größeres Ausmaß angenommen haben. Dann könnten immer mehr Fälle auftreten, bei denen sich nicht mehr nachverfol­gen lässt, welche Kontakte zur Ansteckung führten. Es könne dadurch zu einer weiteren Ausbreitun­g kommen. Die Strategie der Eindämmung sei dann kaum mehr möglich.

Nach Maßnahmen wie einer Abriegelun­g betroffene­r Städte gefragt, sagt Schaade, aus infektions­epidemiolo­gischer Sicht gebe es nicht sehr viel, was dafürsprec­he. Wichtigste­r Punkt sei, Kontakte zwischen Gesunden und Kranken zu reduzieren. Das sei auch ohne diesen Schritt möglich.

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Foto: Alexander Kaya Das Dietrich Theater in Neu-Ulm: Ein Kinobesuch­er ist inzwischen am Coronaviru­s erkrankt.

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