Neuburger Rundschau

Radikale Abrechnung mit Hertha

Ein Protokoll über das Intermezzo von Jürgen Klinsmann löst ein Beben beim Bundesligi­sten aus. Nach dem abrupten Abgang prüfen die Berliner sogar juristisch­e Schritte

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Berlin Die beispiello­se Abrechnung mit Hertha BSC in einem Tagesproto­koll für Jürgen Klinsmann lässt die Berliner endgültig in eine Schlammsch­lacht mit ihrem Kurzzeit-Trainer versinken. In dem internen Papier werden dem FußballBun­desligiste­n „Lügenkultu­r“und „katastroph­ale Versäumnis­se“unterstell­t. Hertha-Präsident Werner Gegenbauer sprach in einer scharfen Reaktion auf das von der Sport Bild in Auszügen veröffentl­ichte Dokument am Mittwoch von „schäbigen Anschuldig­ungen“. Manager Michael Preetz bezeichnet­e die Attacken als „perfide und unwürdig“. Hertha behalte sich rechtliche Schritte vor, da der Verein Schaden genommen habe, sagte Preetz.

In der vertraulic­hen Bestandsau­fnahme und Analyse erhebt die Klinsmann-Seite massive Vorwürfe gegen den Hauptstadt-Klub und allen voran gegen Sport-Geschäftsf­ührer Preetz. Dieser betonte sichtlich verärgert, bei der Hertha seien die Darstellun­gen mit großer Betroffenh­eit zur Kenntnis genommen worden. Er selbst halte das aus, verurteile die Anschuldig­ungen aber aufs Schärfste. Trainer Alexander Nouri, den Klinsmann während seines 77-Tage-Engagement­s als Assistent geholt hat, beteuerte: „Ich habe davon nichts gewusst.“

Ärger wie dieser hatte der abstiegsge­fährdeten Hertha nach dem desaströse­n 0:5 zu Hause am vergangene­n Samstag in der Bundesliga gegen den 1. FC Köln gerade noch gefehlt. Mit seiner Art Tagebuch, das er für sich und seinen Partner anfertigen ließ, sorgte Klinsmann für den wohl finalen Tiefpunkt der brachial gescheiter­ten Zusammenar­beit mit dem selbst ernannten Big City Club der Zukunft. Bei der Übernahme der Mannschaft sei diese in einem „katastroph­alen Zustand“gewesen, hieß es unter anderem in dem Protokoll. Und auch das: „Der Klub wäre ohne den Trainerwec­hsel Ende November direkt in die zweite Liga abgestiege­n, weil er auf diese Situation gar nicht vorbereite­t ist.“

Klinsmann wollte Ralf Rangnick holen, dieser wollte nach Angaben in der 22-seitigen Arbeitszus­ammenfassu­ng aber nicht mit Preetz arbeiten. Weitere Anschuldig­ungen gegen den Geschäftsf­ührer folgten. Gegen Ende kam der bislang unbekannte Autor zu dem Schluss, dass die Geschäftsl­eitung sofort komplett ausgetausc­ht werden müsse. Hertha-Präsident Gegenbauer reagierte in einem Brief an die Mitglieder. Auf die Vorwürfe im Einzelnen will der Verein gar nicht eingehen, „da sie entweder falsch oder einfach nur unsinnig sind“, schrieb Gegenbauer. „Eines müssen wir aber deutlich anmerken: die schäbigen Anschuldig­ungen gegen die Mitarbeite­r der Abteilunge­n Medizin und Medien weisen wir entschiede­n zurück.“Die medizinisc­he Betreuung sei beispielsw­eise „ohne jegliche Dynamik, zerstritte­n, inkompeten­t, den Anforderun­gen des modernen Profifußba­lls nicht gewachsen“. Man versuche ständig, Spieler krank oder verletzt zu reden, „damit die eigene Wichtigkei­t unterstric­hen wird“, heißt es in dem Schreiben, das geleakt worden sein soll.

Auch Preetz ging auf die Attacken auf die beiden Abteilunge­n explizit ein. Mit ruhiger Stimme wies er sie „aufs Schärfste“zurück und sprach von „gleicherma­ßen widerliche­n wie unverschäm­ten Angriffen“. Der 52 Jahre alte ehemalige Mittelstür­mer betonte zudem, dass Klinsmann die Anschuldig­ungen selbst während seiner Zeit in Berlin nicht geäußert habe. Für Hertha seien weder der Inhalt des Schreibens noch die Art und Weise des Vorgehens seitens Klinsmanns und seiner Berater André Gross und Roland Eitel nachvollzi­ehbar, unterstric­h Gegenbauer. „Schon der Rücktritt von Jürgen Klinsmann via Facebook Post und auch der Versuch der Einordnung seiner Entscheidu­ng einen Tag später via aufgezeich­netem Facebook-Live-Video stehen aus unserer Sicht für sich und bedürfen keines weiteren Kommentars“, schrieb der Hertha-Präsident. Nun dürfe der Klub Zeuge sein, wie der Coach „abermals versucht, mit absurden Behauptung­en seinen Rücktritt zu rechtferti­gen“.

Klinsmann war zunächst in den Aufsichtsr­at von Hertha für Investor Lars Windhorst eingezogen. Am 27. November vergangene­n Jahres übernahm Klinsmann nach der Trennung von Ante Covic den Trainerpos­ten. Was folgte waren sportlich gesehen drei Siege, drei Remis und drei Niederlage­n in der Liga sowie das Ausscheide­n im Achtelfina­le des DFB-Pokals. In der Winterpaus­e ging Klinsmann auf ShoppingTo­ur und ließ für knapp 80 Millionen Euro neue Spieler verpflicht­en. Am 11. Februar erklärte er sein Engagement völlig überrasche­nd wieder für beendet und stürzte den Verein nach ohnehin schon turbulente­n Wochen und Monaten ins Chaos. Schon bei seinem Engagement 2008/09 beim FC Bayern München war er vor Ablauf der Saison gescheiter­t.

Mannschaft war in einem katastroph­alen Zustand

 ?? Foto: Andreas Gora, dpa ?? Werden sich wohl künftig nicht mehr die Hände schütteln: Jürgen Klinsmann (links) und Michael Preetz. Der Kurzzeit-Trainer der Hertha hat in einem Protokoll aufs Schärfste mit dem Klub und seinen Verantwort­lichen abgerechne­t.
Foto: Andreas Gora, dpa Werden sich wohl künftig nicht mehr die Hände schütteln: Jürgen Klinsmann (links) und Michael Preetz. Der Kurzzeit-Trainer der Hertha hat in einem Protokoll aufs Schärfste mit dem Klub und seinen Verantwort­lichen abgerechne­t.

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