Neuburger Rundschau

Merz stürzt die CDU in einen riskanten Richtungsk­ampf

Der Kandidat um den Parteivors­itz fordert einen konservati­ven Aufbruch. Doch seine Rezepte bergen viel Sprengkraf­t für die Zukunft der Union als Volksparte­i

- VON MICHAEL POHL pom@augsburger-allgemeine.de

Zurück in die Zukunft: So könnte man die Vorstellun­g überschrei­ben, die Friedrich Merz in den ersten Tagen seiner Kandidatur um den CDU-Vorsitz abgibt. Er beschreibt und analysiert klug viele Probleme der Gegenwart und erwähnt Herausford­erungen der Zukunft. Nur die meisten seiner Antworten klingen nicht nur für Kritiker, sondern auch für viele Unionsleut­e seltsam alt und von gestern. Selbst CSU-Chef Markus Söder hat klargemach­t, dass er die zentrale Strategie von Merz für ebenso wirkungslo­s wie falsch hält, mit einem verbalen oder inhaltlich­en Rechtsschw­enk Wähler der AfD zurückhole­n zu wollen. Tatsächlic­h sind ähnliche frühere Versuche der CSU gescheiter­t.

Merz ficht das nicht an. Als er bei seinem Berliner Auftritt gefragt wurde, ob seine Antwort auf wachsenden Rechtsradi­kalismus wirklich die stärkere Thematisie­rung von Clankrimin­alität und Grenzkontr­ollen sei, erwiderte Merz schlicht: „Die Antwort ist: Ja.“

Die Episode macht klar, dass sich die Union mit Merz an der CDUSpitze in ein kaum kalkulierb­ares Abenteuer stürzen würde. Beim Wort „Grenzkontr­ollen“erinnert sich jeder an den desaströse­n Richtungsk­ampf zwischen dem damaligen CSU-Chef Horst Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel, die weite Teile der CDU auf ihrer Seite hatte. Vom Absturz in der Wählerguns­t durch das Bild der völlig zerstritte­nen Union haben sich weder CDU noch CSU bis heute erholt.

Merz zählt darauf, dass die CDU noch immer der alte Kanzlerwah­lverein des vorigen Jahrhunder­ts ist, der am Ende geschlosse­n der Führung folgt. Wäre dem wirklich so, hätte die Partei aber nicht ihre Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r in sozialdemo­kratischem Rekordtemp­o demontiert. Tatsächlic­h würde der Richtungsk­ampf zwischen liberalem und konservati­vem Flügel mit der Wahlentsch­eidung

nicht enden, sondern sich verschärfe­n, wenn der Name des Siegers Merz lautet und die erste Begeisteru­ng verflogen ist. Denn es ist schwer vorstellba­r, dass die CDU die Koordinate­nverschieb­ung lange aushält, dass nicht mehr wie früher die CSU, sondern künftig die Christdemo­kraten die rechte Flanke der Union verkörpern sollen.

Merz macht bislang keinerlei Anstalten,

die liberalen Modernisie­rer und die Frauen in seiner Partei zu umwerben. Er spricht von einer Wahl zwischen einem „Weiter so“oder konservati­vem Aufbruch. Doch dafür stellt er keine zeitgemäße­n Inhalte, sondern allein die Wirkung seiner Person in den Mittelpunk­t. Und das ist auch seine Chance: inhaltlich­e Schwäche durch sein starkes persönlich­es Charisma mehr als wettzumach­en.

Weder Merz noch ein anderer der

Bewerber verkörpert eine Idealbeset­zung, um als Kanzlerkan­didat das Vertrauen breiter Schichten der heutigen Gesellscha­ft auf sich zu ziehen. So liegt der Außenseite­r Norbert Röttgen in Umfragen bei den Frauen unter den Unions-Anhängern weit vorn, bei den Männern Merz. Bei den Parteifunk­tionären, die als Delegierte die Entscheidu­ng auf dem Parteitag im April treffen, könnte aber am Ende das Duo Armin Laschet und Jens Spahn die Mehrheit erringen, das zwischen den Flügeln ausgleiche­n will.

Am Ende wird die Frage sein, wie groß die Autorität der neuen Parteiführ­ung angesichts weiter schwelende­r Richtungsk­onflikte sein wird. Der Niedergang der SPD sollte in dieser Frage für die Union das abschrecke­nde Beispiel sein. Auch für die Christdemo­kraten steht die Zukunft als Volksparte­i auf dem Spiel, wie ihre Debakel in Thüringen und Hamburg zeigen. Die Gefahr, dass die CDU in einen Zustand des Dauerstrei­ts verfällt und Kanzlerkan­didaten als einsame Einzelkämp­fer verheizt, wäre unter Merz am größten.

Viele Antworten des Kandidaten klingen seltsam von gestern

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