Neuburger Rundschau

Ein Mann mit Hut und Hass aufs Auto Porträt

1985 brachte Klaus Gietinger den Kultfilm „Daheim sterben die Leut“in die Kinos. Seine Leidenscha­ft fürs Schreiben hat er sich erhalten – genau wie die Liebe zum Allgäu

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Einen sogenannte­n Kultfilm zu drehen, das schaffen nur wenige Regisseure. Klaus Gietinger ist dies gelungen. Zusammen mit seinem Freund Leo Hiemer schrieb er Anfang der 80er Jahre das Drehbuch zum Film „Daheim sterben die Leut“und realisiert­e ihn dann mit einem Häuflein Gleichgesi­nnter im Westallgäu, genauer gesagt rund um seine Heimatstad­t Lindenberg. Als er 1985 in die Kinos kam, schlug er ein wie die sprichwört­liche Bombe. Gietinger und seine Mitstreite­r bewiesen: Heimatfilm geht auch anders. Provinzkin­o muss nicht heile Komödienst­adl-Welt bedeuten, sondern kann durchaus kritisch-ironisch das Landleben beleuchten.

Den kritischen Blick auf Geschichte, Gesellscha­ft und Politik hat sich der studierte Sozialwiss­enschaftle­r Klaus Gietinger bewahrt. Nach dem Erfolg von „Daheim sterben die Leut“verließ er aber bald das Allgäu und zog dorthin, wo bessere Bedingunge­n herrschten für leidenscha­ftliche Filmemache­r wie ihn. In Frankfurt schrieb und drehte er Kino- und Fernsehfil­me, darunter etliche Tatort-Krimis, sowie Beiträge zur legendären ZDFKinders­erie „Löwenzahn“.

Inzwischen spielt das Filmemache­n eine kleinere Rolle. Gietinger ist zum Buchautor geworden. Von einem dezidiert linken Standpunkt aus schreibt er Sachbücher, etwa über die Ermordung Rosa Luxemburgs oder den Kapp-Putsch

1920. Die Anfänge der Weimarer Republik interessie­ren ihn, weil er wissen möchte, ob die Geschichte hätte auch anders verlaufen und Hitler verhindert werden können. Dazwischen attackiert der Eisenbahn-Liebhaber mit Leidenscha­ft das Auto: Gietinger hält es für eine Massenvern­ichtungswa­ffe und den Klimakille­r Nummer eins. Er selbst besitzt kein Auto, fährt mit Rad und Zug. Auch der literarisc­hen Fiktion widmet er sich ab und an: 2014 schrieb er einen tragikomis­chen Heimatroma­n über einen gescheiter­ten Allgäuer Fußballspi­eler, 2018 einen biografisc­hen Roman über Karl Marx, der gerade ins Chinesisch­e übersetzt wurde. Nach der Zwischenst­ation Berlin lebt Gietinger nun in Saarbrücke­n. Regelmäßig kommt er ins Allgäu, und zwar gern, wie er betont. „Hier sind meine Wurzeln und ich bin ein absoluter Fan dieser Landschaft.“Mit seiner Heimatstad­t Lindenberg, wo einst im großen Stil Hüte produziert wurden, ist er auf besondere Weise eng verbunden: Sobald Gietinger aus dem Haus geht, setzt er einen Hut auf. Er ist zu seinem Markenzeic­hen geworden.

Mit Leo Hiemer brütet er bisweilen über neuen Filmprojek­ten. Den beiden schwebt, als eine Art Fortsetzun­g von „Daheim sterben die Leut“, wieder ein kritischer Heimatfilm vor. Gietinger will sich weiterhin dem Schreiben widmen. Auch der 65. Geburtstag, den er an diesem Freitag feiert, ändert daran nichts. „In Ruhestand werde ich jedenfalls nicht gehen“, versichert er.

Klaus-Peter Mayr

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Foto: Kühne

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