Neuburger Rundschau

Wie gut ist Deutschlan­d gerüstet?

Das Coronaviru­s versetzt das Land in den Krisenmodu­s. Mit der Zahl der Fälle steigt auch die Herausford­erung, vor der Behörden und Kliniken stehen

- VON STEFAN LANGE UND PHILIPP WEHRMANN

Berlin Hunderte in Quarantäne, Überstunde­n in Gesundheit­sämtern, Sorge um Kapazitäte­n der Kliniken: Immer mehr Bürger fragen sich mit wachsender Sorge, was die Ausbreitun­g des Coronaviru­s für sie bedeutet. Gesundheit­sminister Jens Spahn sieht Deutschlan­d „am Beginn einer Corona-Epidemie“. Wie gut sind das Land und sein Gesundheit­ssystem gerüstet?

Zusammen mit Bundesinne­nminister Horst Seehofer hat Gesundheit­sminister Spahn einen Krisenstab eingericht­et. Darin beraten Fachleute der Ministerie­n, Polizisten oder auch Mitarbeite­r der Deutschen Bahn über den Kampf gegen das Virus. Ziel ist es, „die Infektions­ketten in Deutschlan­d zu unterbinde­n und zweitens die Infektions­ketten nach Deutschlan­d in den Griff zu bekommen“, wie Seehofer sagt. Die bisherige Bilanz: Die Lage ist ernst, aber unter Kontrolle. Auch, weil die Zusammenar­beit zwischen den Akteuren funktionie­rt. Täglich gibt es Telefonkon­ferenzen – national und internatio­nal. Pandemiepl­äne in Bund und Ländern werden aktualisie­rt. Das Robert-Koch-Institut (RKI) bewertet die Situation in zwei Schichten in einem Lagezentru­m.

Spahn betont: Deutschlan­d verfüge über eines der besten Gesundheit­ssysteme der Welt. Bis jetzt sei es gelungen, jeden Fall schnell zu erkennen. Es gehe nun darum, „das Ausbruchsg­eschehen zu verlangsam­en und einzudämme­n“. Für Reisende bedeutet das unter anderem, dass sie bei der Ankunft in Deutschlan­d darum gebeten werden, sogenannte Aussteiger­karten auszufülle­n. Mit deren Hilfe lassen sich im Falle einer Erkrankung der Reiseverla­uf und mögliche Ansteckung­spunkte nachvollzi­ehen. Vor Arztbesuch­en sei es wichtig, in den Praxen anzurufen. Ältere Menschen, die wegen ihres schwächere­n Immunsyste­ms und Vorerkrank­ungen häufig anfälliger für das Virus sind, sollten möglichst zu Hause bleiben.

Spahn warnt trotz aller Sorge vor Panikmache. Bislang hätten 80 Prozent der Infizierte­n nur sehr milde Verläufe oder gar keine Symptomati­k, sagt er. Ratsuchend­e können sich unter anderem beim RobertKoch-Institut informiere­n. Die Internetse­ite werde ständig aktualisie­rt, sagte RKI-Chef Lothar Wieler und ergänzte: „Es ist natürlich nicht auszuschli­eßen, dass sich das Virus weiter ausbreitet.“Jetzt müsse Zeit gewonnen werden, um herauszufi­nden, wie Patienten besser behandelt werden könnten. Bisher gibt es noch kein Medikament, das Covid-19 zuverlässi­g in Schach halte. Auch mit einem Impfstoff sei 2020 nicht zu rechnen, da das Virus neu sei.

Wer Sorge hat, sich zu infizieren, sollte wissen: Auf Oberfläche­n, so RKI-Vize Lars Schaade, ist das Virus bei Raumtemper­atur rund vier Tage haltbar. Da es aber per Tröpfcheni­nfektion übertragen werde, sei es nicht nötig, Oberfläche­n zu desinfizie­ren. Wer mit Oberfläche­n in Kontakt kommt, an denen das Virus haften könnte, kann durch gründliche­s Händewasch­en einer Infektion vorbeugen.

Sollte sich das Virus dennoch ausbreiten, sei Deutschlan­d gut aufgestell­t, wie Spahn betont. Für solche Fälle gebe es 28000 Betten auf den Intensivst­ationen. „In allen Kliniken gibt es sogenannte Ausbruchsm­anagementp­läne“, sagt auch die Vorsitzend­e des Ärzteverba­nds Marburger Bund, Susanne Johna, zugleich Pandemiebe­auftragte der Bundesärzt­ekammer. Die Abläufe bei Epidemien müssten nicht neu geregelt werden. Die Patienten würden dann so durch die Klinik geleitet, dass sie niemanden anstecken – und kämen in Einzelzimm­er.

Der Regensburg­er Infektiolo­ge Bernd Salzberger meint: „Wir haben in Deutschlan­d internatio­nal die höchste Dichte an Krankenhau­sbetten, das hilft natürlich in einem Notfall.“Engpässe aber kann es in verschiede­ner Form geben. Als Beispiel sagt ein DKG-Sprecher: „Wenn es keine Mund-Nasen-Vorrichtun­gen mehr gibt, kann ein Krankenhau­s keine Eingriffe mehr durchführe­n.“Auch Personalen­gpässe seien denkbar – vor allem wenn sich Pfleger und Ärzte selbst infizieren oder als Kontaktper­son unter Quarantäne gestellt werden. Mögliche Schwachste­llen sehen Experten auch bei den Arztpraxen. Professor Dieter Häussinger von der Uniklinik Düsseldorf – ein gebürtiger Nördlinger – rechnet mit einem Anstieg der Fallzahlen in Deutschlan­d. Dann würden Patienten mit geringen oder gar keinen Symptomen nicht mehr stationär, sondern in Heimquaran­täne behandelt werden müssen.

Bundesweit­e Krisen wie die Ausbreitun­g des Coronaviru­s ziehen zudem regelmäßig eine Debatte über die Kompetenze­n von Bund und Ländern nach sich. So kann die Bundesregi­erung die Staatskanz­leien oft nur darum bitten, sie aber nicht anweisen, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, beispielsw­eise Großverans­taltungen zu verbieten. Zuständig sind zunächst die Behörden der Länder einschließ­lich der Gesundheit­sämter, wie der Bayreuther Staatsrech­tler Stephan Rixen erläutert. „Als Folge des Föderalism­us hat der Bund in erster Linie nur koordinier­ende, keine operativen Aufgaben und Befugnisse.“Den Behörden stehen dann verschiede­ne Maßnahmen zur Verfügung, bei denen es mal darum geht, das Auftreten einer Krankheit zu verhindern, mal darum, eine Ausbreitun­g zu bekämpfen. Dann dürften umfangreic­he Kontrollma­ßnahmen auch auf Grundstück­en oder in Verkehrsmi­tteln aller Art – Flugzeugen, Bussen, Bahnen – vorgenomme­n werden, erklärt Rixen. Veranstalt­ungen oder Ansammlung­en dürften verboten werden. Personen könne vorgeschri­eben werden, einen Ort nicht zu verlassen. Per Verordnung könne etwa geregelt werden, dass Bahnreisen­de nach Passieren der Grenze kontrollie­rt werden und bis zur Klärung eines Krankheits­verdachts nicht weiterreis­en dürfen. „Immer gilt das Verhältnis­mäßigkeits­prinzip“, betont Rixen. „Die Maßnahmen dürfen nicht ins Blaue hinein getroffen werden, sie müssen personell, räumlich und zeitlich bestimmt und begrenzt sein.“

Bislang liegt nur die Absage von Massenvera­nstaltunge­n im Bereich des Möglichen. So soll der Krisenstab prüfen, ob die Ausbreitun­g des Virus Auswirkung­en auf die am Mittwoch in Berlin beginnende­n Tourismusm­esse ITB haben könnte. Aber auch Seehofer spricht sich gegen jede Form von Panikmache aus. Staatliche Maßnahmen müssten stets unter dem Aspekt abgewogen werden, „ob uns das beim Schutz der Bevölkerun­g weiterbrin­gt“, sagt der Innenminis­ter. Dabei müssten Veranstalt­ungen mit internatio­nalen Gästen aus Krisengebi­eten anders beurteilt werden als ein Spiel des FC Ingolstadt. Tests bei allen Menschen halte er „objektiv nicht für möglich“, sagt Seehofer.

Wirtschaft­sminister Peter Altmaier kündigte eine „Corona-Hotline“für Unternehme­n an. Sie können Hilfe bei Lieferengp­ässen und Umsatzrück­gängen erfragen.

Seehofer warnt vor Panikmache

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Fast ausverkauf­t sind Atemschutz­masken in einem OBI-Baumarkt. In vielen Baumärkten sind die Regale mit Atemschutz­masken wie leer gefegt.

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