Neuburger Rundschau

Wann Juristinne­n kein Kopftuch tragen dürfen

Warum das Verfassung­sgericht die Länder selbst entscheide­n lässt und wo es den Unterschie­d zu Lehrern sieht

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Karlsruhe Eine Frau mit Kopftuch auf der Richterban­k – kann es das in deutschen Gerichtssä­len geben? Ja, sagt das Bundesverf­assungsger­icht. Aber wenn die Länder ein Verbot ausspreche­n, ist das zulässig.

● Warum hat die Frau geklagt? Die in Frankfurt geborene Deutschmar­okkanerin trägt in der Öffentlich­keit Kopftuch. Als sie 2017 ihren juristisch­en Vorbereitu­ngsdienst antritt, wird das zum Problem. Denn in Hessen können Rechtsrefe­rendarinne­n ihre Ausbildung zwar mit Kopftuch machen, dürfen aber keine Aufgaben übernehmen, bei denen sie als Repräsenta­ntinnen der Justiz oder des Staates auftreten. Die Frau wird vor Ausbildung­sbeginn darauf hingewiese­n.

● Was heißt das für Betroffene? Sie dürfen Verhandlun­gen nicht wie die anderen Referendar­e von der Richterban­k verfolgen, sondern müssen sich in den Zuschauerr­aum setzen. Außerdem dürfen sie keine Sitzungen

leiten, Beweise aufnehmen oder die Staatsanwa­ltschaft vertreten. Anfangs drohte Juristinne­n mit Kopftuch deshalb eine schlechter­e Gesamtnote. Heute können fehlende Leistungen durch andere Nachweise kompensier­t werden.

● Was haben die Verfassung­srichter entschiede­n? Das Verbot ist in dieser Form verfassung­sgemäß – auch weil es sich nur auf wenige eng umrissene Aufgaben bezieht. Die Richter erkennen zwar an, dass gläubige Muslimas ein Kopftuch nicht einfach ablegen können wie Christen eine Halskette mit Kreuz. Eine Juristin, die das zweite Staatsexam­en anstrebe, habe auch keine andere Wahl, als ein Referendar­iat zu absolviere­n. Der Eingriff in die Glaubensfr­eiheit sei aber gerechtfer­tigt.

● Was kann ein Verbot rechtferti­gen? Genannt wird der Grundsatz der weltanscha­ulich-religiösen Neutralitä­t des Staates, der alle Amtsträger verpflicht­e. Die Funktionsf­ähigkeit der Rechtspfle­ge fuße darauf, dass die Bevölkerun­g den Richtern und der Justiz vertraue. Ein dritter Grund ist die „negative Religionsf­reiheit“vor Gericht: Im Gerichtssa­al soll sich niemand unausweich­lich mit religiösen Symbolen konfrontie­rt sehen, die er ablehnt. Nichts davon ist für die Richter allerdings so wichtig, dass sie ein Verbot für zwingend halten. Die Entscheidu­ng des Gesetzgebe­rs in Hessen sei aber zu respektier­en.

● Wie ist die Rechtslage in den Bundesländ­ern? Unterschie­dlich. Ein ähnliches Verbot gilt in NordrheinW­estfalen, Baden-Württember­g, Berlin und Bremen. Niedersach­sen bereitet gerade ein Gesetz vor. In einigen Ländern gibt es gar keine Regelung. In Bayern sind seit 2018 für Justizmita­rbeiter bei öffentlich­en Amtshandlu­ngen religiöse Symbole und Kleidungss­tücke verboten. Justizmini­ster Georg Eisenreich begrüßte daher das Urteil: „Die Menschen müssen darauf vertrauen können, dass die Justiz neutral ist.“

● Wie sehen Muslime das Verbot? Im Verfahren hatten mehrere Verbände eine Stellungna­hme abgegeben. Der Zentralrat der Muslime beanstande­t darin, das Verbot berücksich­tige die vorurteils­beladene Sicht Dritter. Die Religionsz­ugehörigke­it stelle noch keinen Befangenhe­itsgrund dar. Der Islamrat meint, die anderen Repräsenta­nten des Gerichts würden das Kopftuch mit ihrem Glauben

oder ihrer Weltanscha­uung ausgleiche­n. Das Aktionsbün­dnis muslimisch­er Frauen kritisiert, die Referendar­innen würden auch wegen ihres Geschlecht­s diskrimini­ert.

● Was gilt sonst im Öffentlich­en Dienst? Das Bundesverf­assungsger­icht hat sich schon zweimal in wichtigen Entscheidu­ngen mit dem Kopftuch bei Lehrerinne­n befasst. Nach dem Beschluss von 2015 darf das Kopftuch an öffentlich­en Schulen nicht pauschal verboten werden. Als Voraussetz­ung muss die konkrete Gefahr gegeben sein, dass der Schulfried­en oder die staatliche Neutralitä­t beeinträch­tigt werden. Vom Kopftuch allein gehe „kein werbender oder gar missionier­ender Effekt“aus. Bekenntnis­offene Schulen sollten Toleranz gegenüber anderen Religionen vermitteln. Hier sehen die Richter den Hauptunter­schied zum Gerichtssa­al: Die Justiz trete dem Bürger hoheitlich gegenüber. Anja Semmelroch, dpa

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Foto: dpa Die Länder dürfen muslimisch­en Rechtsrefe­rendarinne­n verbieten, im Gerichtssa­al Kopftuch zu tragen.

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