Neuburger Rundschau

„Das ist ein Armutszeug­nis für Europa“

Der Fraktionsc­hef der Europäisch­en Volksparte­i, Manfred Weber, warnt vor dem Versagen der EU im Wettbewerb mit China und den USA. Der CSU-Mann hofft nun auf die Kanzlerin

- Interview: Detlef Drewes

Statt einem Aufbruch unter der neuen Brüsseler Kommission ist der EUGipfel zum Haushalt geplatzt und es sind tiefe Gräben zwischen den Mitgliedst­aaten aufgebroch­en. Ist das ein Betriebsun­fall oder eine neue Krise?

Manfred Weber: Es zeigt die Spannungen in Europa. Die haben das Potenzial, dass es am Ende zu einer Selbstbloc­kade der EU kommt. Hunderttau­sende von Studenten, Forschern, Bürgermeis­tern und Landwirten warten auf Klarheit über die zukünftige­n Förderprog­ramme. Da ist es schon ein Armutszeug­nis, wenn die Staats- und Regierungs­chefs sich nicht einigen können. Schon heute reiben sich die USA und China die Hände, weil wir Europäer nicht in der Lage sind, die großen Zukunftsfr­agen ausreichen­d zu finanziere­n. Lassen Sie mich das ganz klar sagen: Es geht beim Haushaltsr­ahmen 2021 bis 2027 um die Schicksals­frage, ob Europa in den nächsten Jahren handlungsf­ähig bleibt oder nicht.

Wie stehen Sie zur Streitfrag­e, ob im neuen EU-Haushalt Sanktionsm­öglichkeit­en gegen Staaten wie Polen und Ungarn vorgesehen werden, die demokratis­che und rechtsstaa­tliche Grundwerte wie die Unabhängig­keit der Justiz verletzen?

Weber: Rechtsstaa­tlichkeit und demokratis­che Grundwerte sind die Grundvorau­ssetzung für Europas Zukunft: Unsere Werte sind nicht verhandelb­ar. Dazu gehören eine unabhängig­e Presse und unabhängig­e Gerichte: Denn sie sorgen dafür, dass eventuelle Missbräuch­e oder Skandale aufgedeckt und geahndet werden. Deshalb muss jetzt ein Einstieg geschaffen werden, damit künftig die Vergabe von Fördermitt­eln an die Einhaltung dieser Grundwerte gekoppelt wird. Man knickt derzeit vor den Staaten ein, die Druck machen. Wir lassen da nicht locker und sollten auch neue Wege gehen – zum Beispiel könnten die Kompetenze­n des europäisch­en Staatsanwa­ltes erweitert werden, um die Mittelverg­abe an Regierunge­n mit demokratis­chen Defiziten zu verfolgen.

Die EU-Kommission will nun eine neue Industries­trategie vorstellen. Was erwarten Sie sich davon?

Weber: Die Struktur unserer Industrie ist die zentrale Frage für unseren Wohlstand – und für die Möglichkei­t, andere ehrgeizige Projekte umsetzen zu können. Dazu gehören der Green Deal, der digitale Aufbruch,

dem wir verhindern müssen, dass Europa eine digitale Kolonie Chinas oder der Vereinigte­n Staaten wird, und die Jobsicherh­eit für Arbeitnehm­er in der Zukunft. Die Grundlage bleibt der gemeinsame Binnenmark­t. In den vergangene­n Jahren ist aber nichts passiert, um diesen Binnenmark­t zu stärken. Natürlich sind Export und globaler Handel für unsere Industrie wichtig. Aber zuerst bleibt immer das Angebot im Inneren für unsere Konsumente­n und Bürger zentral.

Die EU-Kommission hat in jüngster Zeit Firmenzusa­mmenschlüs­se großer Unternehme­n oft verhindert, die sich davon auf dem Weltmarkt bessere Chancen versproche­n haben … Weber: Wir denken noch immer in den Kategorien des letzten Jahrhunder­ts, als es nationale Volkswirts­chaften gab. Diese Sichtweise passt nicht mehr. Die Fusion der Eisenbahns­parten von Siemens und Alstom zu verbieten, war ein schwerer Fehler. Europäisch­e Champions müssen gefördert, nicht gebremst werden.

Zu den großen ungelösten Problemen der EU gehört die Migration. Auch nach Jahren gibt es keine gemeinsame Flüchtling­spolitik. Können Sie einen Ausweg erkennen?

Weber: Die EU muss endlich außenund sicherheit­spolitisch erwachsen werden. Ich baue stark auf die deutsche EU-Ratspräsid­entschaft. Man wird den Herkunftss­taaten klarmachen müssen, dass sie abgelehnte Asylbewerb­er zurücknehm­en müssen. Und wir werden dies mit Angemit boten neuer Partnersch­aften kombiniere­n – zum Beispiel Erasmus-Austausch von Studenten und Azubis. Zusätzlich müssen an den EU-Außengrenz­en Entscheidu­ngen, ob jemand einreisen darf oder nicht, schnell fallen. Und wenn er abgelehnt wird, muss rückgeführ­t werden.

Die Frage der Verteilung von Flüchtling­en in Europa bleibt dabei aber ungeklärt …

Weber: Wenn es gelingt, einen solidarisc­hen Kern von Ländern zu haben, die Flüchtling­e aufnehmen, kann das ein Einstieg sein.

Und die anderen können einfach und ungestraft weiter blockieren?

Weber: Nein, keiner darf sich einfach aus der Verantwort­ung davonstehl­en. Das muss das Prinzip bleiben. Wer nicht aufnehmen will, wird auf andere Weise zu helfen haben – mit zusätzlich­er Entwicklun­gshilfe, mit mehr Personal für den Grenzschut­z oder schlicht mit Geld. Jeder muss seinen Beitrag leisten.

Welche zentralen Themen sollte Deutschlan­d im Rahmen seiner Ratspräsid­entschaft aufgreifen?

Weber: Von Deutschlan­d wird Orientieru­ng erwartet, wie es weitergeht in Europa. Wir erleben derzeit global einen Wettbewerb der Systeme. In China lebt eine Million Menschen in Umerziehun­gslagern. Die Seidenstra­ße wird mit einer Billion Dollar vorangetri­eben. Peking bildet in Afrika jedes Jahr tausende von Journalist­en aus – natürlich, um die Weltsicht Chinas zu übernehmen. Es gibt viele andere Beispiele von Ländern wie Russland im Bereich der Rüstung oder den Protektion­ismus der Vereinigte­n Staaten. Da stehen wir vor der Frage, wie stark die Europäisch­e Union sein muss, um selbstbewu­sst ihren Weg gehen zu können. Dazu ist eine neue Außenpolit­ik mit einer Stimme und der Aufbau eines militärisc­hen Pfeilers der EU nötig. Deutschlan­d wäre gewichtig genug, um das durchzuset­zen.

Ist eine Bundeskanz­lerin auf Abruf noch stark genug, um einen solchen Aufbruch in Europa zu organisier­en? Weber: Angela Merkel ist nach wie vor sehr respektier­t. Der Verzicht auf eine erneute Kanzlerkan­didatur gibt ihr sogar noch größere Unabhängig­keit, um für ein kraftvolle­s Europa einzutrete­n, was ja im zentralen Interesse der Bundesrepu­blik ist.

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Foto: EVP-Fraktionsc­hef Manfred Weber pocht auf ein hartes Vorgehen gegen Polen und Ungarn, um die Unabhängig­keit der Justiz zu garantiere­n.

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