Bangen um Olympia
Unter Spitzensportlern macht sich Sorge breit, welche Auswirkungen das Coronavirus auf die Sommerspiele haben könnte. Sogar „Geisterspiele“scheinen möglich. Der Deutsche Fußball-Bund macht sich ähnliche Gedanken
Berlin Geisterspiele vor leeren Rängen, die Angst vor Ansteckung und Quarantäne, gar eine Absage des Olympia-Spektakels – oder eher Hoffnung auf die Wende und Business as usual? Die Coronavirus-Epidemie macht vielen Top-Athleten Sorgen, doch fünf Monate vor Beginn der Olympischen Spiele läuft bei den meisten die Vorbereitung nach Plan. „Wir machen mal einfach weiter unseren Job“, sagte Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler und trifft damit den Tenor vieler Kollegen.
Trotz aller Gelassenheit: Selbst „Geisterspiele“in der japanischen Metropolregion Tokio mit rund 30 Millionen Einwohnern sind für Röhler angesichts der Situation inzwischen „ein mögliches Szenario – da schwebt ein Damoklesschwert drüber“. Olympia vor leeren Zuschauerrängen wäre aus Röhlers Sicht aber „das Worst-Case-Szenario. Geisterspiele wären schlimmer als eine Absage. Es geht der Reiz der Spiele verloren.“Das Problem sei „nicht das Virus, sondern das Reisen, wenn einer im Flugzeug hustet, die Gefahr einer folgenden Quarantäne. Dann bist du 14 Tage weg vom Fenster, irgendwo isoliert und kannst nicht trainieren“, schilderte der 28-Jährige. „Viele Athleten treibt gerade akut das Thema der anstehenden Qualifikationswettkämpfe um. Das Reisen dahin ist ja derzeit ein Risiko, die Normen müssen aber erfüllt werden. Die Situation ändert sich von Tag zu Tag, und man kann sie kaum noch einschätzen“, sagte Amélie Ebert, Präsidiumsmitglied der Athleten Deutschland. „Alle stehen unter Hochspannung. Die Konsequenzen sind derzeit nicht absehbar. Wir hoffen, dass baldmöglichst mehr Informationen vorliegen“, sagte die Ex-Synchronschwimmerin, derzeit Medizinstudentin im 11. Semester.
Zehnkampf-Weltmeister Niklas Kaul würde eine Absage der Spiele verstehen. „Über allem steht die Gesundheit“, sagte der 22-Jährige in einem Sport1-Interview. Eine Absage wäre schade, sagte Kaul. „Aber es bringt ja am Ende auch nichts, wenn wir supertolle Olympische Spiele mit vielen Fans und Sportlern haben – und am Ende gibt es einen rapiden Anstieg von Corona-Infektionen, die gerade bei älteren Menschen sehr kritisch wären“, fügte der Mainzer hinzu.
Ringer-Welt- und -Europameis
Frank Stäbler will sich wie geplant auf die Sommerspiele, seinen letzten internationalen Wettkampf, vorbereiten. „Olympia ist noch weit weg. Ich hoffe, dass die Regierungen und Gesundheitsorganisationen das in den Griff bekommen“, sagte der 30-Jährige aus Baden-Württemberg. Rudolf Scharping, Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer, sagte bei der Bahnrad-WM in Berlin: „Ich gehe davon aus, dass die Olympischen Spiele stattfinden. Alles andere wäre eine unverantwortliche Spekulation.“
Schwimm-Olympiasieger Ian Thorpe hat Australiens Athleten aufgefordert, ihre Olympia-Teilnahme zu überdenken. „Ich wäre auf jeden Fall besorgt“, sagte Thorpe Medienberichten zufolge in Canberra. Das neuartige Coronavirus sei ein Risiko für die Sportler. Sie sollten zunächst an ihre Gesundheit denken, bevor sie sich für eine Olympia-Teilnahme in Tokio entscheiden, riet der 37-Jährige.
Die ungarische WeltklasseSchwimmerin Katinka Hosszu lässt sich in ihrer Vorbereitung auf Tokio nicht beeinträchtigen. „Ich kann mir wirklich nicht einmal vorstellen, dass Olympia abgesagt wird. Für die
Athleten wäre es ein Albtraum“, sagte die 30 Jahre alte dreimalige Olympiasiegerin der Nachrichtenagentur AP. Sie sehe die Nachrichten, aber in ihren Gedanken sei sie so vorbereitet, als ob Olympia stattfinde: „Verschieben ist definitiv besser als alles abzusagen.“
Eine Absage droht derzeit zwar nicht, und die Wahrscheinlichkeit lässt sich kaum in Prozenten beziffern – sie steht aber im Raum und wird zum Gesprächsthema. Selbst der frühere IOC-Vizepräsident Richard Pound, 77, hätte Verständnis für eine Absage. „Ich bin sicher“, sagte er der Süddeutschen Zeitung, „dass das IOC keine Entscheidung treffen würde, die einer Entscheidung der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Regierungen in dieser Sache zuwiderliefe.“
Fünf Monate vor Beginn der Spiele riet Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) angesichts der Sorgen vor einer Olympia-Absage zum Abwarten: „Aus meiner Sicht besteht jetzt als Sportminister noch kein Entscheidungsbedarf.“
● Aktuelle Lage in Deutschland Fußballspiele vor leeren Rängen wegen des neuartigen Coronavirus wie in Italien sind aus Sicht von Nationalter mannschaftsarzt Tim Meyer auch in Deutschland derzeit eine durchaus infrage kommende Überlegung. In einem Interview auf der DFBHomepage betonte Meyer am Donnerstag aber auch, dass der Fußball nicht isoliert entscheiden solle.
„Entscheidungen über flächendeckende Maßnahmen wie einen Zuschauerausschluss im Profifußball oder Spielabsagen in den Kreisligen müssen die Gesundheitsbehörden treffen“, sagte Meyer, der auch Vorsitzender der Medizinischen Kommission des Deutschen Fußball-Bundes ist. Er rief dazu auf, dass sich der Fußball wappnet und vorbereitet, damit von der Spitze bis an die Basis eventuelle Maßnahmen schnell und kompetent umgesetzt werden können. „Der DFB kann in seinem Zuständigkeitsbereich dafür sorgen, dass keine unnötigen Risiken eingegangen werden“, betonte Meyer. So habe der Verband am Donnerstagmorgen die Länderspielreise der U20-Juniorinnen nach Japan abgesagt. Auch eine für diese Tage geplante Inspektionsreise von U21-Trainer Stefan Kuntz nach Tokio werde es nicht geben. Das Kuntz-Team ist als EM-Zweiter für Olympia qualifiziert.