„…und jetzt das Wetter“
Als die ARD-„Tagesschau“zum ersten Mal eine damals hochmoderne Wetterkarte zeigte, war das ein Ereignis. Seitdem sind 60 Jahre voller Hochs und Tiefs vergangen. Sogar zum Politikum wurde der Wetterbericht
Heute genügt ja ein Blick aufs Smartphone, um zu wissen, wie das Wetter wird. Die Wetter-App weiß es. Und noch viel mehr: Stündliche Vorhersagen, tägliche Vorhersagen, UV-Index, Sonnenaufgang, Sonnenuntergang, Wetter-„Radar“. Vor 60 Jahren war das noch völlig anders, als am 1. März die ARD„Tagesschau“zum ersten Mal eine hochmoderne Wetterkarte zeigte. Und den Zuschauern am Ende der 20-Uhr-Hauptnachrichtensendung erklärte, ob sie am nächsten Tag zu Sonnenbrille oder Regenschirm greifen sollten. In der Regel dauerte das nicht einmal eine Minute.
Und die ist nach wie vor gefragt: Im vergangenen Jahr sahen durchschnittlich 9,8 Millionen Zuschauer die abendliche „Tagesschau“und damit auch die Wetterkarte. Das Ritual ist dabei stets gleich: Nach den Worten „Und nun die Wettervorhersage“oder „Und jetzt das Wetter“des jeweiligen Moderators – Jan Hofer oder Judith Rakers zum Beispiel – wird die Europakarte mit den Luftdruckgebieten eingeblendet, danach kommt die Vorhersage für Deutschland mit Niederschlägen,
Wolken, Wind und Temperaturen, abschließend gibt es die Aussichten für die nächsten Tage.
Die ersten Wetterprognosen flimmerten schon in den 1950er Jahren über die Bildschirme. In der DDR wurden regelmäßig Wetterberichte gesendet; in der Bundesrepublik kamen Meteorologen – wie Heinrich Kruhl – vom Deutschen Seewetteramt einmal täglich ins Hamburger Studio. Mit dabei waren die Puppen „Sehbastian“und „Sehbienchen“, die Regenschirm oder Jäckchen trugen, je nachdem. Sollte es schneien, schneite es auch bei den Wetterpuppen – und zwar Papierflöckchen. Zuschauer empfanden sie als heiteres Element selbst an trüben Tagen.
Die Puppen verschwanden jedoch, als die Wetterkarte eingeführt wurde. Was im März 1960 durchaus revolutionär war. Mit einer für damalige Verhältnisse topmodernen Tricktechnik – bemalte Papp-Vorlagen wurden nacheinander abfotografiert, aus vielen einzelnen Bildern ergab sich der Wetterfilm. Auch die Zuständigkeit wechselte damals, vom Seewetteramt in Hamburg zum Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach. Und damit vom NDR zum Hessischen Rundfunk. Längst liefert der weit mehr als nur das „Tagesschau“-Wetter: Das neue „ARD-Wetterkompetenzzentrum“in Frankfurt am Main, das Anfang 2020 den Betrieb aufgenommen hat, produziert etwa 35 TVPrognosen für die ARD-Sender, insgesamt rund 100 Sendeminuten jeden Werktag. Die Daten stammen überwiegend vom DWD.
Passend zum Wetterkarten-Jubiläum wird am 5. März auch ein Buch erscheinen, das einen Blick hinter die Kulissen ermöglicht. In „…und jetzt das Wetter. Die beliebteste Minute der Tagesschau“(Verlag Delius Klasing, 160 Seiten, 19,90 Euro) beschreibt Silke Hansen, Leiterin des Wetterkompetenzzentrums, den Arbeitsalltag der „Wetterfrösche“damals und heute.
Dabei erklärt sie unter anderem, wie die Wetterkarte seit ihrer Premiere vor 60 Jahren immer wieder modernisiert wurde. So wurde ein besonders markantes Markenzeichen irgendwann ausgemustert: Die Windrose mit den Pieptönen – es war der Morsecode für „QAM“, was sinngemäß „Wie wird das Wetter?“heißt. Auch der streng meteorologisch-wissenschaftliche Text wurde zunehmend aufgelockert. Niederschläge würden heute konkret als Regen oder Schnee benannt, schreibt Hansen.
Änderungen führten allerdings oft auch zu Zuschauer-Protesten. Wie vor 20 Jahren, als die kleine Uhr von der Wetterkarte verschwand. Anlass für den Sturm der Entrüstung: „Fahrradfahrer nutzen beispielsweise die Vorhersagen, um zu schauen, ob sie es trocken von A nach B schaffen“, so Hansen. Also sei die Uhr wieder reingekommen.
Obwohl sie nur einige Sekunden Sendezeit hat, war die Wetterkarte häufig ein Politikum. Es gab Ministerpräsidenten oder Bürgermeister, die Städten einen Platz auf ihr verschaffen wollten. Ohne Erfolg. Die Deutschlandkarte der „Tagesschau“hat nur Platz für zehn Städte, zur besseren Orientierung. Deswegen ist etwa Köln, nicht aber Düsseldorf, die Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen, eingezeichnet. Kurios: Lange Jahre zeigte die Wetterkarte Deutschland in den Grenzen von 1937. Als das endlich geändert wurde, protestierten die Vertriebenenverbände. Und als Deutschland bereits im Juli 1990 sichtbar wiedervereinigt auf der
Karte auftauchte, war bei der ARD so mancher ungehalten: Die Einheit werde offiziell doch erst im Oktober besiegelt, hieß es. Im Sommer 2019 schließlich mutmaßten AfD-Politiker, dass die ARD eine Klimawandel-Hysterie schüre, indem sie warme Temperaturen dramatisch rot einfärbe.
Nun ja. Das Wetter jedenfalls ist immer Gesprächsthema. Unvergessen die Werbekampagne der Deutschen Bundesbahn aus den 1960er Jahren: „Alle reden vom Wetter. Wir nicht.“Und so zeigen auch die meisten Fernsehsender in Deutschland mehr oder weniger ausführliche Wetterberichte – mit mehr oder weniger technischem Aufwand.
Was sich inzwischen durchgesetzt hat: Wettervorhersagen oder Erklärungen zu Wetterphänomenen werden überaus allgemein verständlich vermittelt. Gar nicht einfach bei der komplexen Materie. Zu danken ist dafür nicht zuletzt jemandem wie Jörg Kachelmann, der in den 1990er Jahren mit Formulierungen wie „Blumenkohlwolken“frischen Wind ins Wetter-Programm brachte. Sehr empfehlenswert übrigens: Sven Plögers TV-Reihe „Wo unser Wetter entsteht“.