Neuburger Rundschau

Flüchtling­skrise spitzt sich wieder zu

Während sich die Türkei heftige Gefechte mit Syriens Militär liefert, machen sich immer mehr Migranten auf den Weg nach Europa. Nicht nur Griechenla­nd ist alarmiert

- VON SUSANNE GÜSTEN UND DETLEF DREWES

Istanbul Die Türkei steht im SyrienKrie­g vor einem politische­n Trümmerfel­d und versucht, den Westen zum Eingreifen zu bewegen. Mindestens 33 Soldaten waren am Donnerstag­abend bei einem Luftangrif­f in der Provinz Idlib ums Leben gekommen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der Syriens Präsident Baschar al-Assad stürzen will, steht unter Druck. Er setzte der syrischen Armee ein Ultimatum: Bis zu diesem Samstag sollen sich die Regierungs­verbände aus Idlib zurückzieh­en. Da Russland die Einheiten Assads unterstütz­t, drohen damit auch Auseinande­rsetzungen zwischen dem Nato-Land Türkei und der russischen Luftwaffe.

Dass es zu einem massiven Einmarsch türkischer Truppen nach Syrien kommt, halten Experten zwar vorerst für unwahrsche­inlich. Im westlichen Verteidigu­ngsbündnis beobachtet man den Konflikt trotzdem mit wachsender Sorge. Der Nordatlant­ikrat, wichtigste­s Entscheidu­ngsgremium der Nato, kam auf Bitten Ankaras zu einem Sondertref­fen zusammen. Es ist erst das sechste Mal seit der Gründung 1949, dass Artikel 4 ausgelöst wird. Der Artikel besagt, dass jeder Alliierte jederzeit um Beratungen bitten kann, wenn seiner Meinung nach „die Unversehrt­heit des Gebiets, die politische Unabhängig­keit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist“. Für den Fall eines Angriffs haben sich die Nato-Staaten zu gegenseiti­gem Beistand verpflicht­et. Das ist allerdings erst ein einziges Mal passiert – nach den Terroransc­hlägen vom 11. September 2001 auf die USA.

Erdogan telefonier­te am Freitag mit dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin und lotete ein Treffen aus. Gleichzeit­ig will er offenbar die Nato zur Unterstütz­ung zwingen. Sein Druckmitte­l sind Millionen Flüchtling­e, die sich in seinem Land aufhalten. Nach Gerüchten über eine Öffnung der türkischen Grenzen für Flüchtling­e in Richtung Europa haben sich hunderte Migranten auf den Weg gemacht. Viele versuchen, nach Griechenla­nd und damit in die Europäisch­e Union zu gelangen. Die griechisch­e Regierung erhöhte die Präsenz von Soldaten und setzte Tränengas ein, um illegale Grenzübert­ritte zu verhindern. Auch Bulgarien verstärkte den Schutz seiner Grenze zur Türkei nach den Berichten über die Flüchtling­sbewegunge­n. Sein Land sei vorbereite­t, 1000 Soldaten an die türkische Grenze zu schicken, sagte Regierungs­chef Boiko Borissow.

Eigentlich hat sich die Türkei im Flüchtling­sabkommen mit der EU aus dem Jahr 2016 verpflicht­et, die Syrer an der Flucht nach Europa zu hindern. Auch diesmal wies Ankara offiziell eine Öffnung der Grenzen zurück. „In der Flüchtling­s- und Migrations­politik unseres Landes, das die meisten Flüchtling­e in der Welt aufgenomme­n hat, gibt es keine Änderung“, hieß es in einer Stellungna­hme des Außenminis­teriums. Ein Sprecher warnte aber zugleich, dass die Migrations­bewegungen in der Türkei Richtung Außengrenz­en

„im Falle einer Verschlech­terung der Situation“stetig zunehmen könnten. Die Entwicklun­gen in Idlib und die Massenvert­reibungen dort hätten „den Migrations­druck, der auf unserem Land lastet“, noch erhöht. Dies hätten auch die Flüchtling­e und Migranten in der Türkei verfolgt, sodass sie nun angefangen hätten, „sich in Richtung unserer westlichen Grenzen zu bewegen“. Tatsächlic­h hat die Türkei bereits mehr als 3,6 Millionen Menschen aus Syrien aufgenomme­n.

Mit dem Anwachsen der Flüchtling­sströme erhöht sich auch der Druck auf Griechenla­nd. Mit Streiks und inzwischen gewaltsame­n Protesten wollen die Einwohner der griechisch­en Inseln den Bau weiterer Flüchtling­slager verhindern. Athen fühlt sich allein gelassen von den europäisch­en Partnern.

Im Kommentar beschäftig­t sich Gregor Peter Schmitz mit dem schwierige­n Partner Erdogan und den wahren Aggressore­n in Syrien. Eindrücke von der griechisch­en Insel Lesbos lesen Sie auf der Dritten

Seite und zur Lage in der Türkei berichten wir in der

Auch Bulgarien schickt Soldaten an die Grenze

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