Flüchtlingskrise spitzt sich wieder zu
Während sich die Türkei heftige Gefechte mit Syriens Militär liefert, machen sich immer mehr Migranten auf den Weg nach Europa. Nicht nur Griechenland ist alarmiert
Istanbul Die Türkei steht im SyrienKrieg vor einem politischen Trümmerfeld und versucht, den Westen zum Eingreifen zu bewegen. Mindestens 33 Soldaten waren am Donnerstagabend bei einem Luftangriff in der Provinz Idlib ums Leben gekommen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der Syriens Präsident Baschar al-Assad stürzen will, steht unter Druck. Er setzte der syrischen Armee ein Ultimatum: Bis zu diesem Samstag sollen sich die Regierungsverbände aus Idlib zurückziehen. Da Russland die Einheiten Assads unterstützt, drohen damit auch Auseinandersetzungen zwischen dem Nato-Land Türkei und der russischen Luftwaffe.
Dass es zu einem massiven Einmarsch türkischer Truppen nach Syrien kommt, halten Experten zwar vorerst für unwahrscheinlich. Im westlichen Verteidigungsbündnis beobachtet man den Konflikt trotzdem mit wachsender Sorge. Der Nordatlantikrat, wichtigstes Entscheidungsgremium der Nato, kam auf Bitten Ankaras zu einem Sondertreffen zusammen. Es ist erst das sechste Mal seit der Gründung 1949, dass Artikel 4 ausgelöst wird. Der Artikel besagt, dass jeder Alliierte jederzeit um Beratungen bitten kann, wenn seiner Meinung nach „die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist“. Für den Fall eines Angriffs haben sich die Nato-Staaten zu gegenseitigem Beistand verpflichtet. Das ist allerdings erst ein einziges Mal passiert – nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf die USA.
Erdogan telefonierte am Freitag mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und lotete ein Treffen aus. Gleichzeitig will er offenbar die Nato zur Unterstützung zwingen. Sein Druckmittel sind Millionen Flüchtlinge, die sich in seinem Land aufhalten. Nach Gerüchten über eine Öffnung der türkischen Grenzen für Flüchtlinge in Richtung Europa haben sich hunderte Migranten auf den Weg gemacht. Viele versuchen, nach Griechenland und damit in die Europäische Union zu gelangen. Die griechische Regierung erhöhte die Präsenz von Soldaten und setzte Tränengas ein, um illegale Grenzübertritte zu verhindern. Auch Bulgarien verstärkte den Schutz seiner Grenze zur Türkei nach den Berichten über die Flüchtlingsbewegungen. Sein Land sei vorbereitet, 1000 Soldaten an die türkische Grenze zu schicken, sagte Regierungschef Boiko Borissow.
Eigentlich hat sich die Türkei im Flüchtlingsabkommen mit der EU aus dem Jahr 2016 verpflichtet, die Syrer an der Flucht nach Europa zu hindern. Auch diesmal wies Ankara offiziell eine Öffnung der Grenzen zurück. „In der Flüchtlings- und Migrationspolitik unseres Landes, das die meisten Flüchtlinge in der Welt aufgenommen hat, gibt es keine Änderung“, hieß es in einer Stellungnahme des Außenministeriums. Ein Sprecher warnte aber zugleich, dass die Migrationsbewegungen in der Türkei Richtung Außengrenzen
„im Falle einer Verschlechterung der Situation“stetig zunehmen könnten. Die Entwicklungen in Idlib und die Massenvertreibungen dort hätten „den Migrationsdruck, der auf unserem Land lastet“, noch erhöht. Dies hätten auch die Flüchtlinge und Migranten in der Türkei verfolgt, sodass sie nun angefangen hätten, „sich in Richtung unserer westlichen Grenzen zu bewegen“. Tatsächlich hat die Türkei bereits mehr als 3,6 Millionen Menschen aus Syrien aufgenommen.
Mit dem Anwachsen der Flüchtlingsströme erhöht sich auch der Druck auf Griechenland. Mit Streiks und inzwischen gewaltsamen Protesten wollen die Einwohner der griechischen Inseln den Bau weiterer Flüchtlingslager verhindern. Athen fühlt sich allein gelassen von den europäischen Partnern.
Im Kommentar beschäftigt sich Gregor Peter Schmitz mit dem schwierigen Partner Erdogan und den wahren Aggressoren in Syrien. Eindrücke von der griechischen Insel Lesbos lesen Sie auf der Dritten
Seite und zur Lage in der Türkei berichten wir in der
Auch Bulgarien schickt Soldaten an die Grenze