Wie sich Deutschland für das Virus rüstet
In Nordrhein-Westfalen stehen 1000 Menschen zu Hause unter vorsorglicher Quarantäne, ein Mann aus Nürnberg hat sich angesteckt, Bayern richtet einen Krisenstab ein. Die Sorgen vor dem Coronavirus wachsen
Berlin/München Es scheint wie Alltag an einem regnerischen Februartag: In Cafés sitzen einige Gäste. Die Geschäfte sind geöffnet. Aber hinter den Fassaden wird deutlich, wie tief die Vorsichtsmaßnahmen vor dem Coronavirus in den Alltag der 12 500 Einwohner zählenden Gemeinde Gangelt eingreifen. Es ist Tag zwei nach dem ersten CoronavirusNachweis in Nordrhein Westfalen.
In einem Supermarkt stehen im Nudelregal nur noch wenige Packungen und eine Kassiererin meint, dass deutlich mehr gekauft werde, als sonst üblich. Der Kreis Heinsberg geht von schätzungsweise 1000 Menschen in vorsorglicher häuslicher Quarantäne nach den ersten Infektionsfällen mit dem neuartigen Coronavirus aus. Schulen und Kindergärten sind vorerst geschlossen, auch alle Kreisbehörden und Gerichte sind für den Publikumsverkehr dicht. 20 Menschen wurden in dem ländlich geprägten Kreis bislang positiv auf den Covid-19-Erreger getestet. Ein 47-Jähriger befindet sich in kritischem, aber stabilem Zustand, vor Ausbruch der Krankheit soll er bei einer Karnevalsveranstaltung aufgetreten sein.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat das Risiko einer weltweiten Verbreitung des Virus von „hoch“auf „sehr hoch“gesetzt. In
trat am Nachmittag zum zweiten Mal der von Gesundheitsund Innenministerium gemeinsam geleitete Krisenstab zusammen. Die Experten berieten unter anderem über Empfehlungen für Großveranstaltungen.
Im Vordergrund stand die Touristikmesse ITB, die eigentlich am Mittwoch ihre Pforten öffnen sollte. Am Freitagabend entschlossen sich die Organisatoren jedoch, die Messe abzusagen. Sprecher beider Ministerien betonten, dass es nicht die Bundesregierung sei, die solche Veranstaltungen verbieten könne. Dies liege im Ermessen der jeweiligen Landesregierung, der Behörden vor Ort sowie in der Verantwortung der Veranstalter. Eine andere Großveranstaltung läuft in Berlin gerade reibungslos: Von der Berlinale mit ihren vielen tausend Gästen aus aller Welt sind keine Einschränkungen wegen des Coronavirus bekannt.
Kanzlerin Merkel ließ sich am Freitagvormittag ausführlich von CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn und CSU-Innenminister Horst Seehofer über die Lage und die bereits getroffenen Maßnahmen informieren. Zudem gibt es über den Verlauf auch einen Austausch auf europäischer Ebene. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums haben sich in Deutschland Stand Freitagmittag knapp 60 Menschen mit dem Coronavirus infiziert, im Laufe des Tages wurden mehr als ein Dutzend weitere Fälle gemeldet. In dieser Zahl enthalten sind auch ein Dutzend Fälle, die bereits wieder genesen sind. Aber auch der Fall eines Arztes der Kinderund Jugendmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf: Über 50 Kontaktpersonen, darunter zahlreiche Kinder, stehen nun unter Beobachtung, ob der Mediziner sie angesteckt haben könnte.
Um die Ausbreitung einzudämmen, müssen Reisende nach Angaben
des Bundesinnenministeriums auf bestimmten Flugverbindungen und im Schiffsverkehr Angaben über den Reiseverlauf machen. So soll im Notfall nachvollzogen werden können, wo sich die betreffende Person womöglich angesteckt hat. Geprüft wird, ob solche Maßnahmen auch im Schienen- und Busverkehr ergriffen werden können. „Das wird natürlich immer schwieriger, je weiter man in den Individualverkehr hineinkommt“, sagte ein Ministeriumssprecher. Irgendjemand müsse die Zettel ja ausgeben und wieder einsammeln. Dahinter stecke die Frage, „was wir realistisch leisten können“.
Auch Bayern bereitet sich auf eine Verschärfung der Lage vor und hat die Laborkapazitäten für CoroBerlin navirus-Tests deutlich erhöht. Der weiteren Ausbreitung des Coronavirus in Europa zum Trotz: Abgeriegelte Dörfer wie in Italien soll es in Bayern jedoch nicht geben. Die Schulen werden am Montag wieder öffnen. Und nach aktuellem Stand sollen keine Veranstaltungen abgesagt werden, wie Gesundheitsministerin Melanie Huml und Innenminister Joachim Herrmann nach einer Sondersitzung der Staatsregierung mitteilten. Gleichzeitig gaben die beiden CSU-Politiker bekannt, dass der bisherige Arbeitsstab der Staatsregierung zu einem Krisenstab unter Federführung des Gesundheitsministeriums erweitert wurde.
Die Sondersitzung des Kabinetts war wegen des 15. CoronavirusFalls in Bayern angesetzt worden – es handelt sich um einen Arzt aus Erlangen. Wie bei den ersten 14 Fällen, die alle auf einen einzigen Infektionsherd zurückgingen, der mittlerweile erfolgreich entschärft wurde, suchen die Behörden auch hier nach Kontaktpersonen, um die Infektionskette zu unterbrechen. Auch ein Mann aus Nürnberg infizierte sich mit dem Coronavirus. Er war bei einer Geschäftsreise nach BadenWürttemberg positiv getestet worden. „Wir gehen all diesen Fällen nach“, sagte der Chef des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Andreas Zapf. Es bleibe zentrales Ziel der bayerischen Behörden, die Ansteckungswelle zu verlangsamen. Dazu würden alle Maßnahmen ergriffen, die möglich sind.
Der 15. bayerische Corona-Patient ist ein Mann aus Mittelfranken, der vom 19. bis 21. Februar an einem geschäftlichen Treffen in München teilgenommen und sich dort angesteckt hat. Seine Erkrankung wurde durch eine Mitteilung der italienischen Gesundheitsbehörden entdeckt, nachdem ein Italiener, der ebenfalls bei dem Treffen war, in seiner Heimat positiv auf das Coronavirus getestet worden war. Mittlerweile, so Zapf, seien den Behörden rund zehn Kontaktpersonen bekannt. Die Suche werde aber fortgesetzt. Zapf zeigte sich erleichtert, dass der neue Fall in keinem Zusammenhang zu den ersten bayerischen Fällen stehe. Damit sei klar, dass sich das Virus bisher nicht innerhalb Bayerns verbreite. Eine Garantie, dass es so bleibt, könne es aber nicht geben. Neben der Suche nach weiteren Kontaktpersonen laufen auch die Vorbereitungen auf weitere Krankheitsausbrüche auf Hochtouren. Dabei geht es um die Vernetzung aller Behörden und unterstützenden Organisationen, um die Schaffung zusätzlicher Laborkapazitäten zur Abwicklung der Tests und um die Aufklärung der Bevölkerung. Laut Zapf könnten derzeit bis zu 1200 Menschen in Bayern täglich auf das Coronavirus getestet werden, die Kapazität werde ausgebaut.
Bayerische Behörden untersuchen Fall 15