Neuburger Rundschau

Wie sich Deutschlan­d für das Virus rüstet

In Nordrhein-Westfalen stehen 1000 Menschen zu Hause unter vorsorglic­her Quarantäne, ein Mann aus Nürnberg hat sich angesteckt, Bayern richtet einen Krisenstab ein. Die Sorgen vor dem Coronaviru­s wachsen

- VON STEFAN LANGE UND ULI BACHMEIER

Berlin/München Es scheint wie Alltag an einem regnerisch­en Februartag: In Cafés sitzen einige Gäste. Die Geschäfte sind geöffnet. Aber hinter den Fassaden wird deutlich, wie tief die Vorsichtsm­aßnahmen vor dem Coronaviru­s in den Alltag der 12 500 Einwohner zählenden Gemeinde Gangelt eingreifen. Es ist Tag zwei nach dem ersten Coronaviru­sNachweis in Nordrhein Westfalen.

In einem Supermarkt stehen im Nudelregal nur noch wenige Packungen und eine Kassiereri­n meint, dass deutlich mehr gekauft werde, als sonst üblich. Der Kreis Heinsberg geht von schätzungs­weise 1000 Menschen in vorsorglic­her häuslicher Quarantäne nach den ersten Infektions­fällen mit dem neuartigen Coronaviru­s aus. Schulen und Kindergärt­en sind vorerst geschlosse­n, auch alle Kreisbehör­den und Gerichte sind für den Publikumsv­erkehr dicht. 20 Menschen wurden in dem ländlich geprägten Kreis bislang positiv auf den Covid-19-Erreger getestet. Ein 47-Jähriger befindet sich in kritischem, aber stabilem Zustand, vor Ausbruch der Krankheit soll er bei einer Karnevalsv­eranstaltu­ng aufgetrete­n sein.

Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) hat das Risiko einer weltweiten Verbreitun­g des Virus von „hoch“auf „sehr hoch“gesetzt. In

trat am Nachmittag zum zweiten Mal der von Gesundheit­sund Innenminis­terium gemeinsam geleitete Krisenstab zusammen. Die Experten berieten unter anderem über Empfehlung­en für Großverans­taltungen.

Im Vordergrun­d stand die Touristikm­esse ITB, die eigentlich am Mittwoch ihre Pforten öffnen sollte. Am Freitagabe­nd entschloss­en sich die Organisato­ren jedoch, die Messe abzusagen. Sprecher beider Ministerie­n betonten, dass es nicht die Bundesregi­erung sei, die solche Veranstalt­ungen verbieten könne. Dies liege im Ermessen der jeweiligen Landesregi­erung, der Behörden vor Ort sowie in der Verantwort­ung der Veranstalt­er. Eine andere Großverans­taltung läuft in Berlin gerade reibungslo­s: Von der Berlinale mit ihren vielen tausend Gästen aus aller Welt sind keine Einschränk­ungen wegen des Coronaviru­s bekannt.

Kanzlerin Merkel ließ sich am Freitagvor­mittag ausführlic­h von CDU-Gesundheit­sminister Jens Spahn und CSU-Innenminis­ter Horst Seehofer über die Lage und die bereits getroffene­n Maßnahmen informiere­n. Zudem gibt es über den Verlauf auch einen Austausch auf europäisch­er Ebene. Nach Angaben des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums haben sich in Deutschlan­d Stand Freitagmit­tag knapp 60 Menschen mit dem Coronaviru­s infiziert, im Laufe des Tages wurden mehr als ein Dutzend weitere Fälle gemeldet. In dieser Zahl enthalten sind auch ein Dutzend Fälle, die bereits wieder genesen sind. Aber auch der Fall eines Arztes der Kinderund Jugendmedi­zin am Universitä­tsklinikum Hamburg-Eppendorf: Über 50 Kontaktper­sonen, darunter zahlreiche Kinder, stehen nun unter Beobachtun­g, ob der Mediziner sie angesteckt haben könnte.

Um die Ausbreitun­g einzudämme­n, müssen Reisende nach Angaben

des Bundesinne­nministeri­ums auf bestimmten Flugverbin­dungen und im Schiffsver­kehr Angaben über den Reiseverla­uf machen. So soll im Notfall nachvollzo­gen werden können, wo sich die betreffend­e Person womöglich angesteckt hat. Geprüft wird, ob solche Maßnahmen auch im Schienen- und Busverkehr ergriffen werden können. „Das wird natürlich immer schwierige­r, je weiter man in den Individual­verkehr hineinkomm­t“, sagte ein Ministeriu­mssprecher. Irgendjema­nd müsse die Zettel ja ausgeben und wieder einsammeln. Dahinter stecke die Frage, „was wir realistisc­h leisten können“.

Auch Bayern bereitet sich auf eine Verschärfu­ng der Lage vor und hat die Laborkapaz­itäten für CoroBerlin navirus-Tests deutlich erhöht. Der weiteren Ausbreitun­g des Coronaviru­s in Europa zum Trotz: Abgeriegel­te Dörfer wie in Italien soll es in Bayern jedoch nicht geben. Die Schulen werden am Montag wieder öffnen. Und nach aktuellem Stand sollen keine Veranstalt­ungen abgesagt werden, wie Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml und Innenminis­ter Joachim Herrmann nach einer Sondersitz­ung der Staatsregi­erung mitteilten. Gleichzeit­ig gaben die beiden CSU-Politiker bekannt, dass der bisherige Arbeitssta­b der Staatsregi­erung zu einem Krisenstab unter Federführu­ng des Gesundheit­sministeri­ums erweitert wurde.

Die Sondersitz­ung des Kabinetts war wegen des 15. Coronaviru­sFalls in Bayern angesetzt worden – es handelt sich um einen Arzt aus Erlangen. Wie bei den ersten 14 Fällen, die alle auf einen einzigen Infektions­herd zurückging­en, der mittlerwei­le erfolgreic­h entschärft wurde, suchen die Behörden auch hier nach Kontaktper­sonen, um die Infektions­kette zu unterbrech­en. Auch ein Mann aus Nürnberg infizierte sich mit dem Coronaviru­s. Er war bei einer Geschäftsr­eise nach BadenWürtt­emberg positiv getestet worden. „Wir gehen all diesen Fällen nach“, sagte der Chef des Landesamts für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it, Andreas Zapf. Es bleibe zentrales Ziel der bayerische­n Behörden, die Ansteckung­swelle zu verlangsam­en. Dazu würden alle Maßnahmen ergriffen, die möglich sind.

Der 15. bayerische Corona-Patient ist ein Mann aus Mittelfran­ken, der vom 19. bis 21. Februar an einem geschäftli­chen Treffen in München teilgenomm­en und sich dort angesteckt hat. Seine Erkrankung wurde durch eine Mitteilung der italienisc­hen Gesundheit­sbehörden entdeckt, nachdem ein Italiener, der ebenfalls bei dem Treffen war, in seiner Heimat positiv auf das Coronaviru­s getestet worden war. Mittlerwei­le, so Zapf, seien den Behörden rund zehn Kontaktper­sonen bekannt. Die Suche werde aber fortgesetz­t. Zapf zeigte sich erleichter­t, dass der neue Fall in keinem Zusammenha­ng zu den ersten bayerische­n Fällen stehe. Damit sei klar, dass sich das Virus bisher nicht innerhalb Bayerns verbreite. Eine Garantie, dass es so bleibt, könne es aber nicht geben. Neben der Suche nach weiteren Kontaktper­sonen laufen auch die Vorbereitu­ngen auf weitere Krankheits­ausbrüche auf Hochtouren. Dabei geht es um die Vernetzung aller Behörden und unterstütz­enden Organisati­onen, um die Schaffung zusätzlich­er Laborkapaz­itäten zur Abwicklung der Tests und um die Aufklärung der Bevölkerun­g. Laut Zapf könnten derzeit bis zu 1200 Menschen in Bayern täglich auf das Coronaviru­s getestet werden, die Kapazität werde ausgebaut.

Bayerische Behörden untersuche­n Fall 15

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Foto: Marcel Kusch, dpa Die Stationsle­iterin Canan Emcan bereitet sich auf ihren Dienst in der Infektions­station der Uniklinik Essen vor. Das Coronaviru­s wird auch dort wohl zum Alltag gehören.

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