Neuburger Rundschau

Israel droht eine Endlos-Wahl-Schleife

Am Montag wird erneut ein Parlament gewählt. Es ist der dritte Anlauf innerhalb eines Jahres. Doch die Umfragen deuten darauf hin, dass es wieder ein Patt geben könnte

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Schon wieder Wahlen in Israel? Die dritte Auflage innerhalb eines Jahres. Das konnten sich viele Beobachter denn doch nicht vorstellen, auch dann nicht, als die Stimmenaus­zählung im September 2019 nahelegte, dass keiner der potenziell­en Blöcke eine Mehrheit erreichen würde. Tatsächlic­h scheiterte­n die Verhandlun­gen. Ergebnis: Am Montag sind die Israelis erneut dazu aufgerufen, über ein neues Parlament abzustimme­n. Glaubt man den Meinungsfo­rschern, droht auch diesmal ein Patt samt einer weitere Verlängeru­ng der politische­n Blockade.

Seit Monaten wird in dem Land spekuliert, ob Benjamin Netanjahu die Wahlen, vor allem aber den in gut zwei Wochen anstehende­n Prozess wegen Betrugs, Bestechlic­hkeit und Untreue politisch überleben wird. „Das ist schwer zu sagen, er wird ja nicht umsonst ,Der Magier‘ genannt. Die Verhandlun­g gegen ihn wird am 17. März beginnen, sich aber sehr lange hinziehen und wohl mindestens ein Jahr dauern“, sagt der Nahost-Experte Peter Lintl von der Berliner Stiftung für Wissenscha­ft und Politik im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Frage sei, wie sich die Verhandlun­g auf „Netanjahus Reputation“auswirken werde. Immerhin steht bei einem Schuldspru­ch eine Gefängniss­trafe im Raum. Zwar hat der 70-Jährige bewiesen, dass es ein Fehler ist, ihn abzuschrei­ben. Ein Ministerpr­äsident allerdings, gegen den derart schwere juristisch­e Anschuldig­ungen erhoben werden, ist per se in einer schwierige­n Lage.

Wie schon bei den beiden Wahlen im April und September 2019 sehen aktuelle Umfragen die rechtsgeri­chtete Likud-Partei des geschäftsf­ührenden Ministerpr­äsidenten Kopf an Kopf mit dem Rivalen Benny Gantz, der das Bündnis Blau-Weiß anführt. Welche Szenarien sind nach der Wahl denkbar? Lintl: „Es wäre eine Überraschu­ng, aber ich würde nicht völlig ausschließ­en, dass Netanjahu doch noch eine rechte Mehrheit mit den ultraortho­doxen und den nationalre­ligiösen Parteien erreicht – dazu müsste dieser Block auf 61 Sitze kommen. Umfragen sehen ihn bei 55 bis 58 Sitzen.“Auf der anderen Seite hält der Wissenscha­ftler allerdings auch eine Mehrheit von Gantz gegen Netanjahu für unwahrsche­inlich.

Auf die Rolle als Zünglein an der Waage hofft der rechte frühere Verteidigu­ngsministe­r Avigdor Liebermann.

Er verweigert sich einer Koalition seiner Partei Israel Beitenu mit dem Likud. Doch es gilt als kaum vorstellba­r, dass Lieberman tatsächlic­h ein Mitte-links-Bündnis unter Duldung der arabischen Parteien unterstütz­en würde.

Lintl bringt eine weitere Variante ins Spiel. „Denkbar ist auch, dass eine Art Nixon-Deal ausgehande­lt wird. Dass Netanjahu wie früher der US-Präsident Richard Nixon abgelöst wird, dafür aber straffrei davonkommt. Dazu müsste ein Gesetz verabschie­det werden.“Je nach

Verlauf des Bestechung­sprozesses sei es ja theoretisc­h auch denkbar, dass Netanjahu von seiner LikudParte­i abgewählt wird.

Der Druck im Land steigt auch deswegen, weil es derzeit ohne einen regulären Haushalt mit einem Notbudget regiert wird. Das trifft nicht zuletzt Verbündete des Ministerpr­äsidenten. Lintl nennt die ultraortho­doxen Parteien. „Sie sind darauf angewiesen, dass Geld für ihre staatlich finanziert­en Religionss­chulen fließt. Die Schulen, die von rund 50 Prozent der ultraortho­doxen Männer

besucht werden, erhalten seit einem Jahr über einen Nothaushal­t Mittel. Bei denen brennts langsam.“Eine Entwicklun­g, die Netanjahu gefährlich werden könnte.

Einiges spricht aber auch für den Likud-Chef. „Natürlich ärgern sich viele über den politische­n Stillstand. Andere sehen aber eher die außenpolit­ischen und wirtschaft­lichen Erfolge der Regierung. Israel steht mit einem Wachstum von 4,8 Prozent im Jahr 2019 ja recht gut da“, erklärt Lintl. Außerdem sei es ihm gelungen, Länder an Israel anzunähern, die das Land noch vor 25 Jahren als kolonialen Staat verdammt hatten. Ich denke an die Golfstaate­n, den Sudan oder an Indien.“

Insbesonde­re in Europa und den USA wurde genau beobachtet, ob der viel diskutiert­e Friedenspl­an von US-Präsident Donald Trump für die Region Einfluss auf die Wahl haben könnte. Schließlic­h klingt der Inhalt, als hätte ihn, wie Lintl es formuliert, „Netanjahu diktiert“. Doch messbaren Einfluss auf die Umfragen habe der Trump-Plan nicht gehabt.

Peter Lintl ist sich keinesfall­s sicher, dass in Israel nicht auch ein viertes Mal gewählt werden muss: „Netanjahu hätte da nichts dagegen, er sitzt das alles aus.“

Experte Lintl hält einen „Nixon-Deal“für möglich

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Foto: Odet Bality, dpa Nach der Wahl ist vor der Wahl. Dieser Spruch trifft die Situation in Israel genau. Die Konterfeis von Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu (vorne) und Herausford­erer Benny Gantz sind unübersehb­ar an einer belebten Straße in der Stadt Bnei Berak nordwestli­ch von Tel Aviv plakatiert.

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